Rezension über:

David Potter: Constantine the Emperor, Oxford: Oxford University Press 2013, XV + 368 S., ISBN 978-0-19-975586-8, GBP 25,00
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Rezension von:
Mario Ziegler
Institut für Alte Geschichte, Universität des Saarlandes, Saarbrücken
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Mario Ziegler: Rezension von: David Potter: Constantine the Emperor, Oxford: Oxford University Press 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 7/8 [15.07.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/07/23939.html


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David Potter: Constantine the Emperor

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Unter den "Großen" der Weltgeschichte nimmt Flavius Valerius Constantinus durch seine welthistorische Entscheidung, die zuvor illegale Bewegung des Christentums zunächst zu legalisieren und danach zunehmend zu fördern, eine besondere Stellung ein. Dieser Bedeutung entspricht die mittlerweile schier unübersehbare Flut an wissenschaftlichen Publikationen, der sich mit dem Werk von David S. Potter (University of Michigan) ein neues Werk hinzugesellt. Auch in diesem wird dem Leser unmissverständlich bereits in den ersten Sätzen die Bedeutung des Kaisers vor Augen geführt: "The Roman emperor Constantine changed the world. [...] Without Constantine, Christianity probably would not occupy the place that it does today."

Das Werk untergliedert sich in acht große Teile, die wiederum in mehrere Kapitel aufgeteilt sind. "Imperial Resurrection" (5-28) umfasst die Zeit vom Krisenjahr 260 und der Gefangennahme Valerians durch den Sassanidenherrscher Schapur I. bis zum Herrschaftsantritt Diocletians. Der zweite Teil (29-64) ist der Regierung des Diocletian selbst gewidmet, ehe mit "Constantine and Diocletian" (65-104) erstmals der Protagonist des Werkes stärker in den Blick genommen wird. Zum Scheitern der von Diocletian geschaffenen Tetrarchie leitet der vierte thematische Block, "Fathers and Sons" (105-128) über. Den Weg Konstantins zur Herrschaft beleuchtet "The Road to Rome" (129-160), dessen zentrale Punkte die Geschehnisse um die Schlacht an der Milvischen Brücke und die Mailänder Vereinbarung bilden. Die Jahre des Arrangements mit Licinius werden im sechsten Teil, "War and Peace" (163-203) behandelt. Hier kommt die innere Neuordnung des Reiches ebenso zur Sprache wie die Belange des nun als religio licita in die Zuständigkeit des Kaisers fallenden Christentums, etwa der Donatistenstreit (193ff.). "Triumph and Tragedy" (205-247) wird mit dem Sieg über den letzten verbliebenen Thronrivalen Licinius im Jahr 324 eröffnet, der Konstantin die Alleinherrschaft sicherte (207ff.). Doch stellte ihn die Hinzugewinnung der östlichen Reichhälfte andererseits vor die Notwendigkeit, mit den dortigen Verhältnissen umzugehen und mit dem bislang von Licinius verwalteten Staatsapparat zusammenzuarbeiten. Das bedeutsamste Ereignis aus Sicht der christlichen Kirche war das 325 in Nicaea einberufene Konzil, das die schweren Kontroversen um die vom alexandrinischen Presbyter Arius vertretene christologische Lehre beizulegen versuchte (225ff.). Im Abschnitt "Ruler of the World" (249-291) wird der Blick erneut erweitert und die größeren Zusammenhänge im Reich in Form der Verwaltung, der Gesellschaft, des Zusammenlebens der Religionen und der neuen Kapitale Konstantinopel, aber auch über die Reichsgrenzen hinaus im Verhältnis zu den Nachbarn (den Goten, dem Königreich Armenien und vor allem dem persischen Weltreich) in den Blick genommen. Das Lebensende des Herrschers (gestorben am 22. Mai 337) und seine Taufe auf dem Sterbebett durch den arianischen Bischof Eusebius von Nikomedia wird nur sehr knapp (290-291) beleuchtet.

Es schließen sich ein Epilog (292-299) und die Appendix "Finding Constantine" (301-306) an, in der die antiken Quellen über das Leben des Kaisers vorgestellt werden. Eine Chronologie (307-309) ermöglicht eine schnelle Orientierung bezüglich der zentralen Ereignisse, das Personenverzeichnis (311-316) sowie der Index (361-368) eine ebensolche bezüglich der wichtigsten verzeichneten Persönlichkeiten und Sachverhalte. Die umfangreiche Bibliographie (347-359) berücksichtigt die Literatur bis zum Jahre 2012. Hervorzuheben ist, dass Potter auch die einschlägige deutsche, italienische und französische Forschung rezipiert, auch wenn einige wichtige deutschsprachige Titel fehlen. [1]

Angesichts des umfangreichen Themas kann nur auf einige Details eingegangen werden. Manche der favorisierten Datierungen sind in der Forschung äußerst umstritten und werden mehrheitlich anders vertreten als durch Potter. Dies betrifft Konstantins Geburtsjahr, das auf "around AD 282" (1) bzw. "probably February 27, 282" (28) bestimmt wird. Dies ist offenkundig nur möglich, wenn die vielfältigen Quellen, die Konstantin zum Zeitpunkt seines Todes 337 ein Alter über 60 Jahren bescheinigen [2] verworfen werden. Mit diesen Quellenangaben, die in vielen aktuellen Publikationen zu einer Datierung des Geburtsjahres auf den Beginn der 270er Jahre geführt haben, [3] setzt sich Potter in keiner Weise auseinander.

Nicht minder problematisch ist die Frage des Geburtsjahres der Kaisermutter Helena. Dieses wird von Eusebius von Caesarea (Eus. VC 3,46,1) und den ihm folgenden Sokrates (HE 1,17,13) und Sozomenos (HE 2,2,4) um das Jahr 250 bestimmt. Doch diese Datierung, der üblicherweise die moderne Forschung folgt, [4] wischt Potter mit dem lapidaren Hinweis weg: "...the statement accords with Eusebius' inaccurate statements about Constantine's age and makes her about a decade older than she was." (343 Anm. 1, vergleiche auch 275). Wie er allerdings zu diesem Ergebnis kommt, bleibt dem Leser verborgen.

Hier scheint ein strittiger Aspekt in Potters Studie auf, nämlich seine Gewichtung der Quellen. Es ist nicht zu leugnen, dass christliche Autoren wie Eusebius ein bewusst positives Konstantinbild zeichnen wollen und dunkle Punkte in der Vita des Protagonisten verschleiern. Dennoch geht Potter in der radikalen Abqualifizierung der Eusebianischen Werke weiter als große Teile der althistorischen Forschung: "The fundamental problem with Eusebius' history is that his picture of Constantine's struggle against paganism is wrong and that his understanding of Constantine's conversion is based on a fantasy." (303). Gleiches Misstrauen wird Lactanz entgegengebracht: "Lactantius' statement that Constantine suffered reverses in the early stages of the campaign is unrelated to any other source and would seem to be the product of his desire to stress the importance of the vision that he wrongly places in the immediate context of the battle of the Milvian Bridge at DMP 44.5." (328 Anm. 8).

Die Einstellung Konstantins zum Christentum zu verschiedenen Phasen seiner Herrschaft ist ein in der Forschung breit behandeltes Thema. Es ist Potter sicherlich zuzustimmen, dass Konstantins conversio das Ergebnis einer längeren Entwicklung war, die ihn über mehrere Stationen zum Christentum führte (150ff.). Einige der vertretenen Thesen sind jedoch zweifelhaft. So hält es Potter für möglich, dass im Zusammenhang mit der Schlacht an der Milvischen Brücke die Kombination der beiden Buchstaben Chi und Rho nicht als Hinweis auf den Hoheitsnamen Christos verstanden werden müssten, sondern das Adjektiv chrestos - und damit einen Wunsch nach Kriegsglück - meinen könnten (143). Selbst wenn diese - per se wenig plausible - Annahme, die voraussetzt, ein genuin nichtchristliches Symbol sei kurz darauf sowohl von Konstantin als auch von den Christen selbst als wichtiges Glaubenssymbol umgedeutet worden, zutreffen sollte, bleibt eine eindeutige Aussage des Lactanz (Lact. mort. pers. 44,5) durch Potter unerwähnt: "Christum in scutis [Constantinus] notat."

Noch verblüffender ist, wenn Selbstaussagen des Kaisers - wenn auch in sekundärer Überlieferung durch die Vita Constantini des Eusebius - nicht in die Betrachtung einbezogen werden, was neue Perspektiven der Interpretation eröffnen würde. So fehlt sowohl eine ausdrückliche Untersuchung der von Konstantin nach eigenen Worten angestrebten Christianisierung der Gesellschaft (zum Beispiel Eus. VC 2,28,2) als auch seine Verurteilung des Paganismus (zum Beispiel Eus. VC 2,24,2-3).

Ungeachtet der hier geäußerten Bedenken beinhaltet das Werk Potters viele interessante Betrachtungen (sehr beachtlich etwa seine Überlegung zu den antiken Wurzeln des Antisemitismus, die Potter keineswegs bei Konstantin, sondern viel eher bei Hadrian oder Vespasian vermutet, 280f.) und zwingt den Leser dazu, bekannte Positionen erneut auf den Prüfstand zu stellen.


Anmerkungen:

[1] So etwa K. L. Noethlichs: Die gesetzgeberischen Maßnahmen der christlichen Kaiser des vierten Jahrhunderts gegen Häretiker, Heiden und Juden, Diss. Köln 1971, F. Kolb: Diocletian und die Erste Tetrarchie, Berlin 1987 oder B. Kriegbaum: Die Religionspolitik des Kaisers Maxentius, Archivum Historiae Pontificiae 30 (1992), 7-54.

[2] Aurelius Victor: Liber der Caesaribus 41,16; Epitome de Caesaribus 41,15; Eusebius: Vita Constantini 4,53; Hieronymus: Chronicon ad ann. 337; Zonaras 13,4.

[3] Ausführlich bei T. D. Barnes: The new empire of Diocletian and Constantine, Cambridge/Mass., London 1982, 39f., in der letzten Zeit zum Beispiel K. Rosen: Konstantin der Große. Kaiser zwischen Machtpolitik und Religion, Stuttgart 2013, 67.

[4] Vergleiche etwa R. Klein: Helena II (Kaiserin), RAC XIV (1988), 355-375, hier 355; J. W. Drijvers: Helena Augusta. The Mother of Constantine the Great and the Legend of Her Finding of the True Cross, Leiden 1992, 12f.; H. A. Pohlsander: Helena: Empress and Saint, Chicago 1995, 5.

Mario Ziegler