Rezension über:

Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz / Wolfgang Ischinger (eds.): Towards Mutual Security. Fifty Years of Munich Security Conference, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, 477 S., 59 Abb., 16 Farbtafeln, ISBN 978-3-525-30054-1, EUR 49,99
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Rezension von:
Helmut R. Hammerich
Potsdam
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Helmut R. Hammerich: Rezension von: Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz / Wolfgang Ischinger (eds.): Towards Mutual Security. Fifty Years of Munich Security Conference, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 10 [15.10.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/10/24790.html


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Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz / Wolfgang Ischinger (eds.): Towards Mutual Security

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"Hotel Weltpolitik" ist der Titel einer Dokumentation des Bayerischen Rundfunks über die 50. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Der noble Bayerische Hof ist einmal im Jahr Treffpunkt der politisch Mächtigen und Einflussreichen. Über 400 Teilnehmer, darunter 20 Staats- und Regierungschefs und 90 Regierungsdelegationen, gaben sich im Februar diesen Jahres die Ehre. Über 700 Journalisten waren akkreditiert.

Die Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz krönt das Jubiläumsjahr mit einem Sammelband, von Wolfgang Ischinger, Tobias Bunde, Antje Lein-Struck und Adrian Oroz klug konzipiert und sorgfältig zusammengestellt. Die mit knapp 500 Druckseiten stattliche Publikation ist in sieben Kapitel gegliedert, die sowohl die Entstehungsgeschichte der Konferenzreihe als auch die unterschiedlichsten Themenfelder der vergangenen fünf Jahrzehnte abdecken. Die Zeit nach dem Fall der Mauer steht dabei im Schwerpunkt. Nicht weniger stattlich ist die Autorenliste, sind doch zahlreiche ehemalige und aktive Regierungschefs, Außen- und Verteidigungsminister, Politiker und Sicherheitsberater, ranghohe Militärs und Fachjournalisten vertreten. Wertet man diese Liste aus, dann lässt sich feststellen: Weltpolitik wird von Männern gemacht. Von den 60 Beiträgen sind nur sechs aus Frauenhand.

Die ersten Beiträge unterstreichen die Bedeutung der Konferenz für das westliche Bündnissystem im Allgemeinen und das deutsch-amerikanische Verhältnis im Besonderen. US-Vizepräsident Joseph R. Biden betont in seinem Grußwort, wie wichtig solche regelmäßigen Zusammenkünfte für funktionierende multinationale Partnerschaften sind.

Auch wird an den Gründer Ewald-Heinrich von Kleist-Schmenzin (1922-2013) erinnert, der bis 1998 die Zügel fest in der Hand hielt. Seine Idee war es, eine Plattform zu schaffen für Gespräche zwischen angelsächsischen und europäischen Entscheidungsträgern und Experten in einer lockeren Atmosphäre. John McCain zufolge, der über viele Jahre die amerikanische Kongress-Delegation anführte, gelang es von Kleist, einen transatlantischen Familiengeist zu wecken und zu pflegen.

Die I. Internationale Wehrkunde-Begegnung mit 60 Gästen fand Ende 1963 statt. Das neue Format mit elitärem Club-Charakter bot deutlich mehr als herkömmliche Tagungen. Neben dem offiziellen Programm, so erinnern sich die Nachfolger von Kleists, Horst Teltschik und Wolfgang Ischinger, waren es sowohl die arrangierten als auch die zufälligen Begegnungen im Hotel, die Aus- und Absprachen fern der Öffentlichkeit ermöglichten. Über die Jahre entwickelten sich so persönliche Netzwerke, die das transatlantische Verhältnis prägten. Viele Teilnehmer der frühen Stunde wurden später politische Entscheidungsträger, die sich Dank ihrer Konferenzerfahrungen nicht nur von rein nationalen Interessen leiten ließen.

Sieben Beiträge blicken auf die spannenden Veranstaltungen während des Kalten Krieges zurück. Uwe Nerlich, Direktor des Centre for European Security Strategies in München, zeichnet den schwierigen Weg eines transatlantischen Diskurses über die alles entscheidende Frage des Atomwaffeneinsatzes nach. Neben solch traditionsreichen Einrichtungen wie dem Council on Foreign Relations in New York, dem Chatham House und dem Institute for Strategic Studies in London vergleichbare deutsche Institute zu gründen, war eine große Herausforderung. Mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) gelang dies rascher als erwartet, doch erst mit der Wehrkunde-Tagung gelang das "political bridge-building" (107).

Einer der einflussreichsten US-Senatoren, Sam Nunn, erinnert an die Gefahr eines "early first use" taktischer Atomwaffen aufgrund der konventionellen Schwäche der NATO in den 1970er Jahren. Die Ergänzungen der Senate Defense Bills sollten seinen Namen tragen und stehen noch heute für die Drohung Washingtons, Truppen abzuziehen, wenn die Bündnispartner nicht ihre Verteidigungsausgaben erhöhen. Auch durch die Gespräche in München, so Nunn, sei es bei Drohungen geblieben. Allerdings ist das Problem einer gerechten Lastenteilung bis heute ungelöst.

Die süddeutsche Bühne wurde auch genutzt, um Politik- und Strategiewechsel einzuleiten oder zu verkünden. Staatssekretär a. D. Lothar Rühl führt dafür Bonns neue Ostpolitik und die Nachrüstungsdebatte um den NATO-Doppelbeschluss als Beispiele an. Guido Westerwelle spricht in diesem Zusammenhang von der Konferenz als einem Testgelände für politische Lösungen (207), wobei die Mehrzahl der Dauergäste als Realpolitiker neuen Ideen meist skeptisch gegenüber stand.

Mit dem Ende des Kalten Krieges und den neuen außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen sollte die Konferenz gewaltig anwachsen. Nicht nur Mitglieder neuer Parteien, auch NGOs und Regierungsvertreter ehemaliger Ostblockstaaten erhielten Einladungen. So nimmt seit 2001 der russische Außenminister an der Konferenz teil.

Ein Höhepunkt war sicherlich die Aussprache zwischen Deutschlands Außenminister Fischer und dem amerikanischen Verteidigungsminister Rumsfeld über den Irak-Krieg im Jahre 2003. Fischers "Sorry, I am not convinced!" ist legendär.

Neuigkeitswert haben die Beiträge von Klaus Naumann, Rudolf Scharping und George Robertson über die multinationalen Absprachen, die zu den NATO-Luftschlägen im Kosovo-Konflikt 1999 führten. Vor allem die Minister der rot-grünen Bundesregierung profitierten nun von ihren Münchner Kontakten. Um Moskau ins Boot zu holen, war der damalige Generalleutnant Harald Kujat in politischer Mission unterwegs.

Zahlreiche Beiträge unterstreichen die Befindlichkeiten Russlands gegenüber der NATO und den USA. Im Jahre 2007 sprach Präsident Putin in München über russische Interessen. Die Umsetzung seiner Ziele erschüttert derzeit ganz Europa. Admiral James Stavridis, SACEUR von 2009 bis 2013, schreibt dazu: "Russia will remain problematic for the alliance while President Putin remains in power, which will probably be for a long time to come." (240) An einer strategischen Partnerschaft mit Moskau, so die einhellige Meinung, geht aber kein Weg vorbei.

Schließlich gibt es auch kritische Anmerkungen zur Münchner Konferenz. Constanze Stelzenmüller weist zu Recht auf die Dauergast-Problematik hin. Sind die alten Haudegen des Kalten Krieges bereit für neue Themen wie Wirtschaftskrisen, Klimawandel oder Cyber-Sicherheit? Wird die junge Generation überhaupt ernst genommen? Können sich Formate wie die Munich Young Leaders oder das Women's Breakfast durchsetzen?

Eberhard Sandschneider von der DGAP wiederum fordert ein Umdenken hinsichtlich Asiens. Der Westen müsse lernen, Macht und Verantwortung zu teilen, um die globalen Probleme in den Griff zu bekommen. Die transatlantischen Beziehungen seien dafür nur bedingt tauglich.

Nicht zuletzt muss das große Polizeiaufgebot mit rund 3500 Polizisten angesprochen werden, das jedes Jahr die Kritiker ohne Einladungskarte in Schach hält. Ein Beitrag über diesen steten Protest hätte dem Band gut zu Gesicht gestanden.

Immerhin zeigen die Gästeliste und das Tagungsprogramm, dass Wolfgang Ischinger diese Kritikpunkte aufgreift und die MSC im Wandel ist. Der closed-shop wurde bereits durch das Internet und das große Medieninteresse aufgebrochen. Das "Hotel Weltpolitik" hat - wie die transatlantischen Beziehungen oder die NATO - also keineswegs ausgedient.

Trotz des Festschriftcharakters und der disparaten Einzelbeiträge ist der Band informativ und lesenswert. Vieles ist bekannt, doch zahlreiche Beiträge liefern neue Erkenntnisse bzw. werfen Fragen auf, die lohnenswerte Forschungsfelder für Historiker und Politikwissenschaftler abstecken.

Helmut R. Hammerich