Frank Zelko: Greenpeace. Von der Hippiebewegung zum Ökokonzern (= Umwelt und Gesellschaft; Bd. 7), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, 358 S., 27 s/w-Abb., ISBN 978-3-525-31712-9, EUR 34,99
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Ein gewaltiges Fabrikschiff jagt einen Wal. Die Harpune richtet sich auf das erschöpfte Tier. Da drängt sich ein kleines Schlauchboot in die Schusslinie und ermöglicht ihm die Flucht. Derartige Bilder vom Kampf "David gegen Goliath" bestimmen das öffentliche Image von Greenpeace. Über die internen Vorgänge der Umweltorganisation ist dagegen wenig bekannt. Zwar liegen mehrere Erinnerungsschriften der Gründergeneration vor. [1] Wissenschaftliche Analysen sind jedoch rar, da Greenpeace nur selten Zugriff auf interne Dokumente gewährt.
Mit Frank Zelkos Monografie liegt nun die erste historische Untersuchung der "Regenbogenkämpfer" vor. Das 2014 bei Vandenhoeck & Ruprecht in der Reihe "Umwelt und Gesellschaft" erschienene Buch ist eine erweiterte Fassung der englischen Ausgabe von 2013. Der deutsche Untertitel "Von der Hippiebewegung zum Ökokonzern" sowie das Titelbild, das eine Greenpeace-Aktion in Rio de Janeiro von 2006 zeigt, sind allerdings irreführend. Zelko konzentriert sich auf die turbulente Gründungsphase bis 1980. Die späteren Jahre, in die einige der spektakulärsten Kampagnen, der Anschlag auf die "Rainbow Warrior" durch den französischen Geheimdienst im Juli 1985, aber auch die eigentliche Professionalisierung zum "Ökokonzern" fallen, werden nicht systematisch analysiert. Eine gewisse Ausnahme bildet das Zusatzkapitel der deutschen Ausgabe, das die Anfänge von Greenpeace Deutschland skizziert und bis in die Gegenwart fortschreibt. Der englische Titel "Make It a Green Peace! The Rise of a Countercultural Environmentalism" beschreibt den inhaltlichen Schwerpunkt präziser. Zelko geht es nicht darum, in einem spektakulären "Aufklärungsbuch" im Stile von Olivier Vermonts "La face cachée de Greenpeace" [2] die dunklen Seiten der Organisation zu enthüllen. Vielmehr ordnet er ihre Ursprünge, Entstehung und Weiterentwicklung in den Kontext der Alternativkultur der Zeit ein.
Zelkos Studie beruht auf umfangreichen Archivrecherchen - darunter persönliche Unterlagen prägender Greenpeacer wie Ben Metcalfe, Patrick Moore oder Rex Weyler - und zahlreichen Interviews, die größtenteils 1999 und 2000 entstanden. Im Mittelpunkt stehen die maßgeblichen Kampagnen und Persönlichkeiten der 1970er-Jahre, deren Ideale, Motive und Handlungsstrategien: "Wie formten die Anfänge den Weg, den die Organisation nahm? In welchem Maße wurde sie den Visionen und Idealen ihrer Gründer gerecht? Und inwiefern haben sich die facettenreichen Anfänge sowohl als inspirierend wie auch als problematisch für die Entwicklung und die heutige Erscheinungsform ausgewirkt?" (9f.)
Zelkos Quellenmaterial und biografische Methode gewähren tiefe Einblicke in Denken und Handeln der Alternativszene Nordamerikas der 1960er- und 1970er-Jahre. Ausführlich stellt er Lebensweg und Gedankenwelt der Greenpeace-Gründer vor - und angesichts ihrer informellen Anfänge als "lockeres Netzwerk von Aktivisten und Journalisten" (27) sind dies nicht wenige. Als entscheidend für Aktionsstil und Organisationskultur wertet Zelko Irving Stowe, Jim Bohlen und Bob Hunter, drei höchst unterschiedliche Persönlichkeiten mit Wurzeln in der Friedensbewegung (Stowe, Bohlen), Neuen Linken (Stowe) und Gegenkultur (Hunter), die in der Kritik der westlichen Mainstreamgesellschaft und der "holistischen Philosophie der populären Ökologie" (39) einen gemeinsamen Nenner fanden.
Nach der Vorstellung der wichtigsten Personen nimmt das Buch mit der Beschreibung der ersten Greenpeace-Kampagnen deutlich Fahrt auf. Deren Urzelle war das 1969 in Vancouver von Stowe, Bohlen und Paul Coté initiierte "Don't Make a Wave Committee", das sich gegen unterirdische US-Atomwaffentests in Amchitka vor der kanadischen Küste richtete. Inspiriert von Aktionen der Quäker in den 1950er-Jahren plante man spektakulär mit einem Boot ins Testgebiet vorzudringen. Dessen Name sollte "Green Peace" lauten, um auf die ökologischen Folgen der Tests hinzuweisen (55). Bereits diese Kampagne enthielt viele für Greenpeace typische Elemente: das Instrument der gewaltfreien direkten Aktion und der Anspruch, Zeugnis abzulegen; der Glaube an das "revolutionäre Potential holistischer Ökologie" (61); die von der Medientheorie Marshall McLuhans beeinflusste Überzeugung, durch die Instrumentalisierung der Massenkommunikationsmittel (Schlagzeilen-Aktionen) einen allgemeinen Bewusstseinswandel auslösen zu können; die Mischung aus wissenschaftlicher Detailarbeit und populärer Mythologisierung; sowie die konspirative Durchführung der Aktionen. In Hunters Ansatz der "Gedankenbombe" fand diese Handlungsphilosophie ihre für Greenpeace charakteristische Zuspitzung.
Die ersten Greenpeace-Kampagnen - es folgten Aktionen gegen französische Atomtests im Südpazifik, Walfang und Robbenjagd - waren vom verbissenen Ringen der Hauptbeteiligten geprägt, der Organisation ihren Stempel aufzudrücken. Dabei stießen zwei Protestkulturen aufeinander: Eine eher traditionelle, um die Anerkennung der Eliten in Wissenschaft, Politik und Verwaltung bemühte Fraktion, sowie eine auf Bewusstseinsveränderung der Massen zielende Gruppe mit stark esoterischem Einschlag ("Mechaniker vs. Mystiker" (77)). Weitere Konfliktlinien existierten zwischen Friedens- und Umweltaktivisten, Natur- und Tierschutz. Mit der 1974 initiierten Kampagne gegen den Walfang verabschiedete sich Greenpeace weitgehend von seinen Wurzeln im Anti-Atomwaffenkampf. Die spektakulären Aufnahmen von jungen Öko-Aktivisten, die sich in ihren Zodiacs der Walfangflotte entgegenstellen, verwandelten Greenpeace in die ersten medialen "Öko-Superstars" der Welt (139). Während die Pole des ökologisch-wissenschaftlich begründeten Arten- und des stark emotionalisierten Tierschutzes hier noch Hand in Hand gingen, traten die Widersprüche der Greenpeace-Umweltphilosophie bei der Kampagne gegen die kanadische Sattelrobbenjagd - einer brutalen, populationsökologisch aber unbedenklichen Praxis - umso deutlicher zu Tage.
In lebendigem, fast romanhaftem Stil zeichnet Zelko die Kontroversen, Intrigen und Machtkämpfe nach, die sich um die Ausrichtung der Organisation und ihrer Kampagnen entspannen. Dabei arbeitet er heraus, welch große Bedeutung persönliche Motive und Eitelkeiten, aber auch der Zufall in der Frühphase von Greenpeace hatten - z.B. die Befragung des I Ging vor kritischen Entscheidungen. Kontrollbedürfnisse bestimmten nicht nur die Beziehung der Greenpeace-Führungsriege untereinander, sondern auch das Verhältnis von Vancouver zu den in aller Welt entstehenden Zweigvereinen. Die egalitär-anarchischen Ideale der Gegenkultur standen dabei von Beginn an in Gegensatz zur straffen Planung der Aktionen und der Unterscheidung zwischen den wenigen Aktivisten und der großen Masse an Unterstützern. Je komplexer die Kampagnen wurden und je stärker Greenpeace expandierte, desto mehr wurde das anfängliche Konsensprinzip durch hierarchische Entscheidungsstrukturen ersetzt (242). Dieser Institutionalisierungs-, Professionalisierungs- und Differenzierungsprozess fand 1979 mit der Gründung von Greenpeace International einen vorläufigen Abschluss.
Die deutsche Ausgabe des Buches wird abgerundet von einem zusätzlichen Kapitel zu den Anfängen von Greenpeace Deutschland, wobei Zelko ähnliche Machtkämpfe wie bei der Gründung von Ur-Greenpeace identifiziert. Angesichts der starken Graswurzel-Tradition der deutschen Umweltbewegung und der straff hierarchischen Organisation von Greenpeace waren die Debatten um Partizipation hier besonders lebhaft - und führten 1982 zur Abspaltung von "Robin Wood" als basisdemokratische gewaltfreie Aktionsgemeinschaft. Insgesamt wertet Zelko die Entwicklung von Greenpeace als Erfolgsgeschichte: Die medienwirksamen Protestaktionen hätten erheblich zu Verbesserungen des Umweltschutzes der letzten drei Jahrzehnte beigetragen (301).
Die Studie gibt einen profunden Einblick in die Persönlichkeiten, Ereignisse und Prozesse, welche Charakter, Ideologie und Handlungsstrategie von Greenpeace in ihrer Gründungs- und Entwicklungsphase prägten. Zelkos Stärke ist die präzise und detailreiche empirische Darstellung, die er mit feiner Ironie auf den Punkt bringt. Eine systematische sozialhistorisch-politikwissenschaftliche Analyse von Diskursen, Handlungsformen oder Mitgliederstruktur liefert das Buch hingegen nicht. Auch auf eine Diskussion des Forschungsstands verzichtet Zelko. Eher beiläufig bezieht er sich auf aktuelle Debatten zu Zivilgesellschaft. Dabei bewertet er die "'Anstachelung' ökologischer Sensibilität durch gewaltfreie direkte Aktion" (278) als das vielleicht bedeutendste Vermächtnis der Organisation und wichtigen Beitrag zur globalen Bürgerpolitik - auch wenn die Verbreitung von Zivilgesellschaft und partizipatorischer Demokratie für Greenpeace nie oberste Priorität besaß (270).
Anmerkungen:
[1] Exemplarisch: Michael Brown / John May: The Greenpeace Story, London 1989; Jim Bohlen: Making Waves. The Origins and Future of Greenpeace, Montréal 2001; David McTaggart: Rainbow Warrior. Ein Leben gegen alle Regeln. Die Autobiographie des Greenpeace-Gründers, München 2001; Rex Weyler: Greenpeace: How a Group of Ecologists, Journalists and Visionaries Changed the World, Vancouver 2004; Robert Hunter: The Greenpeace to Amchitka. An Environmental Odyssee, Vancouver 2004; David Patrick Moore: Confessions of a Greenpeace Dropout. The Making of a Sensible Environmentalist, Vancouver 2010.
[2] Olivier Vermont: La face cachée de Greenpeace. Infiltration au sein de l'Internationale écologiste, Paris 1997.
Ute Hasenöhrl