Joseph Furttenbach: Lebenslauff 1652-1664. Herausgegeben von Kaspar von Greyerz, Kim Siebenhüner und Roberto Zaugg (= Selbstzeugnisse der Neuzeit; Bd. 22), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2013, 359 S., 13 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-22144-7, EUR 44,90
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Der Ulmer Baumeister, Architekt und Ingenieur Joseph Furttenbach fand bisher zwar einigermaßen regelmäßig Erwähnungen in Theater- oder Architekturgeschichten des 17. Jahrhunderts, wurde aber erst einmal Hauptgegenstand einer umfangreicheren, dann aber nur in Auszügen erschienenen, Untersuchung. [1] Seine zahlreichen Traktate wie beispielsweise Architectura civilis, Architectura privata, die Büchsenmeisterey-Schul und nicht zuletzt ein Reisebericht über seinen zwölfjährigen Italienaufenthalt zeugen eindrücklich von dem von ihm akkumulierten Wissen. [2] Die nun vorliegende Edition des "Lebenslauff", seiner im Ulmer Stadtarchiv überlieferten autobiografischen Aufzeichnungen, leistet einen großen Beitrag, um das Bild dieses außergewöhnlichen, im 17. Jahrhundert lebenden Generalisten zu vervollständigen. Der Wert der als Band 22 in der Reihe "Selbstzeugnisse der Neuzeit" erschienenen Edition geht aber über ihre Bedeutung als Quelle zum Leben Joseph Furttenbachs deutlich hinaus. Der tritt nämlich nicht nur als Autobiograf, sondern auch als barocker Baumeister, Lutheraner, Hüter seiner Kunstkammer und in erheblichem Maße als cultural broker in Erscheinung, so dass die Quelle - ganz abgesehen von der Beantwortung solcher Fragen, für die Selbstzeugnisse in den vergangenen Jahren äußerst fruchtbar herangezogen wurden - Ansatzpunkte für zahlreiche aktuelle Forschungsfragen liefert. Über Furttenbachs Tätigkeit als Ulmer Ratsherr, das sei hier einschränkend angemerkt, finden sich hingegen kaum Informationen.
Der Edition liegt der im Stadtarchiv Ulm erhaltene zweite Band des "Lebenslauff" zugrunde, dessen Aufzeichnungen den Zeitraum von 1652 bis 1664 abbilden; der erste Band gilt als verloren. Zum Beginn der Aufzeichnungen stand Furttenbach bereits in seinem 62. Lebensjahr und war in Ulm seit langem etabliert. Inhaltlich stellen sein Familienleben, die Krankheit und der tragische Tod seines Sohns Joseph Furttenbach d.J. 1655 sowie der Konflikt mit seinem - so möchte man nach der Lektüre beinahe sagen - Antagonist und Feind - Johann Kohn, einem ehemaligen Geschäftspartner, die großen Linien dar. Ebenso viel erfährt man über die furttenbach'sche Kunstkammer und deren unterschiedlichste Besucher. Geradezu stolz führte er über selbige Buch, sodass der großbürgerlich-repräsentative Charakter der Sammlung die stetig vergrößert und gepflegt wurde, bildhaft hervortritt. Auch zeigt sich, welche Anziehungskraft seine Sammlung für Reisende aus aller Welt besaß (136). Ein von ihm erwähntes, leider bisher aber unauffindbares Besucherregister zählte nach eigener Auskunft auf, dass "von anno 1626: bis a[nn]o 1656 [...] schon auf die 600: vornemme herren vnd liebende der künsten" sein "hauß vnnd kunstcammern visitirt" hatten (212). Den diesbezüglichen Höhepunkt dürften die beiden Besuche des Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz am 6./7. Juli 1653 dargestellt haben, über die Furttenbach ausführlich berichtet (137-141). Wenn auch ein im Stadtarchiv Ulm erhaltenes Inventar der Kunstkammer bisher nicht ediert vorliegt, so erlaubt es die nun vorliegende Quelle immerhin (unter Zuhilfenahme von Furttenbachs Architectura privata), den Aufbau der Sammlung und die dort bewahrten Gegenstände zu eruieren.
Sichtbar wird in den Aufzeichnungen ferner die wichtige Rolle, die der Raum südlich der Alpen auch nach Furttenbachs Etablierung in Ulm für ihn spielte. Er selbst hatte einen großen Teil seines Wissens und seiner Kenntnisse im Rahmen einer zwölfjährigen Italienreise als Autodidakt erworben, sodass hier der Grundstein für seine Karriere zu sehen ist. Nicht nur die Errungenschaften italienischer Provenienz in seiner Kunstkammer, sondern auch die im "Lebenslauff" mit einigermaßen großer Regelmäßigkeit auftauchenden Erwähnungen über Ereignisse in Italien, etwa in Genua, Rom oder Neapel, zeigen, dass die italienische Halbinsel für Furttenbach auch in seiner Ulmer Zeit ein wichtiger Bezugspunkt geblieben war. In den meisten Fällen dürfte es sich bei den Informationsquellen, aus denen sich sein Wissen speiste, um Messrelationen handeln. An einigen Stellen aber werden auch Personen genannt, sodass ein Ansatzpunkt für die Frage nach Netzwerken und der Zirkulation von Wissen sowie dem Informationstransfer zwischen Italien und Deutschland gegeben ist. Beispielsweise tritt namentlich der Augsburger Samuel Österreicher auf, der am 1. Oktober 1657 aus Genua berichtete (251).
Den Hauptteil des Bandes macht die Edition des "Lebenslauff" aus, die mit dem auch im Manuskript vorangestellten, ediert immerhin 35 Seiten umfassenden, chronologisch gegliederten Register beginnt (87-122). Die nüchternen, keinerlei Emotionen zeigenden Einträge geben den Inhalt der nachfolgenden Quelle wieder, was deren thematisches Erschließen unter verschiedenen Fragestellungen ganz erheblich erleichtert. Mit Blick auf die - wie bereits erwähnt - vielseitigen Auswertungsmöglichkeiten vermag das Register das große Ganze allerdings nicht im Geringsten abzubilden. Die kritische Edition selbst beinhaltet, neben dem Vorwort Furttenbachs, Einträge vom 7. Juni 1652 bis zum 31. Dezember 1664 und umfasst damit über 200 Textseiten, in denen der Autor seine Sicht auf die kleinen Dinge des täglichen Lebens ebenso wie auf größere Ereignisse kundtut (123-327). Mit Recht betont Kaspar von Greyerz in seinem vorangestellten und auch als Einleitung zur Edition dienenden Beitrag über Joseph Furttenbach, dass sich der "tatsächliche Wert der Aufzeichnungen" erst "jenseits des Registers" erschließt (12). Ob dieser Feststellung erscheint es dem Rezensenten denn auch wenig sinnvoll, durch weitere, zwangsläufig den eigenen Forschungsinteressen geschuldete Beispiele den Eindruck zu erwecken, dass dieses außergewöhnliche Selbstzeugnis in irgendeiner Form spezielle und begrenzte Auswertungsmöglichkeiten böte. Das Gegenteil ist der Fall.
Neben dem erwähnten Beitrag von Greyerz' sind der Edition jeweils kurze aber sehr prägnante Kommentare vorangestellt, die in einem Umfang von knapp 20 Seiten das nun vorliegende Selbstzeugnis mit anderen Bereichen aus dem Leben und Wirken Joseph Furttenbachs in Verbindung setzen. So beleuchtet Roberto Zaugg die Rolle Furttenbachs als cultural broker zwischen Italien und Deutschland (25-43) und Kim Siebenhüner nimmt seine Kunst- und Rüstkammer in den Blick (45-65). Andreas Trautmanns Beitrag, der den Kommentarteil abschließt, ordnet die sich im "Lebenslauff" widerspiegelnden wirtschafts- und geldgeschichtlichen Aspekte in einen größeren Kontext ein (67-85).
Abgerundet wird der Band durch ein Personenregister sowie durch eine Bibliografie der Quellen und Forschungsliteratur, die die zukünftige Beschäftigung mit Joseph Furttenbach, dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit des 17. Jahrhunderts, erleichtern wird. Am Ende der Lektüre dieser verdienstvollen Edition erscheint der Ulmer Baumeister in der Tat als Mensch, der "seine eigenen konfessionellen und kulturellen Bindungen im Interesse der ihm am Herzen liegenden kulturellen Mediation" zu überwinden verstand und der als "typischer Anhänger überkonfessionell-großbürgerlicher Repräsentationsformen" und als "geradezu barocker Lutheraner" charakterisiert werden kann (23).
Anmerkungen:
[1] Margot Berthold: Joseph Furttenbach von Leutkirch. Architekt und Ratsherr in Ulm (1591-1667), in: Ulm und Oberschwaben 33 (1953), 119-179.
[2] In Auswahl seien nur genannt Joseph Furttenbach: Halinitro-Pyorobalia. Beschreibung einer newen Büchsen-Meisterey [...], UIm 1627; Ders.: Newes Itinerarium Italiae [...], Ulm 1627 [ND: Hildesheim 1971]; Ders.: Architectura civilis [...], Ulm 1628 [ND: Hildesheim 1971]; Ders.: Architectura privata [...], Ulm 1641 [ND: Hildesheim 1971].
Sebastian Becker