Matthias Judt: Der Bereich Kommerzielle Koordinierung. Das DDR-Wirtschaftsimperium des Alexander Schalck-Golodkowski - Mythos und Realität, Berlin: Ch. Links Verlag 2013, 304 S., ISBN 978-3-86153-724-3, EUR 29,90
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Der Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo) wurde am 1. Oktober 1966 im Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel gegründet. Erster Leiter war Horst Roigk, der bereits ein Jahr später von Alexander Schalck-Golodkowski abgelöst wurde. In der DDR-Planwirtschaft erwarb Schalck-Golodkowski rasch die Position eines Sonderbeauftragten, der de facto nur an die Weisungen Erich Mielkes und Erich Honeckers gebunden war. Als KoKo 1983 einer selbständigen Arbeitsgruppe im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) unterstellt wurde, konnte Mielke seinen Einfluss auf wirtschaftspolitische Entscheidungen in der DDR noch weiter vergrößern. Schalck-Golodkowski, der mit Hilfe von KoKo unter anderem auch den Kunst- und Antiquitätenhandel in der DDR kontrollierte, handelte bekanntlich 1983 und 1984 zwei Milliardenkredite mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (CSU) aus, mit denen die internationale Kreditwürdigkeit Ost-Berlins wiederhergestellt wurde. Auf diese Weise konnte die SED die drohende Zahlungsunfähigkeit in letzter Minute noch abwenden; fortan bürgte die Bundesrepublik für die Schulden des ostdeutschen Staates. KoKo leistete zwar kurzfristig einen Beitrag zur Überwindung der chronischen Zahlungsbilanzkrise der DDR, konnte aber langfristig den wirtschaftlichen Niedergang des ostdeutschen Staates in den 1980er Jahren nicht aufhalten.
Der Wirtschaftshistoriker Matthias Judt beleuchtet in seiner Studie die unterschiedlichen Aufgaben und Tätigkeitsfelder von KoKo und versucht, dessen Rolle und Funktion im planwirtschaftlichen System der DDR neu zu bewerten. Dazu hat er die Unterlagen durchgesehen, die nach dem Abschluss der Untersuchungen des Deutschen Bundestages und nach dem Ende der Strafprozesse gegen Schalck-Golodkowski an das Bundesarchiv in den 1990er Jahren abgegeben worden sind und dort in den Bestand des Ministeriums für Außenhandel (DL 2) eingegliedert wurden. Weitere wichtige Quellen sind die Bestände der SED (insbesondere die Büros Günter Mittag, Egon Krenz und Erich Honecker) sowie des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR (BStU). Die Darstellung ist chronologisch angelegt und besteht aus drei unterschiedlich langen Kapiteln.
Judt beschreibt zunächst die Entstehung von KoKo bis Anfang der 1970er Jahre; in der "Etablierungsphase" sei es vor allem um das "kurzfristige Erwirtschaften von Devisen" (29) gegangen. Die Gründung von KoKo fiel zusammen mit einer Neuausrichtung des DDR-Westhandels. Ost-Berlin war es zwar gelungen, die Rahmenbedingungen des Außenhandels zu verbessern und Büros von ostdeutschen Firmen bzw. von halbstaatlichen Einrichtungen in teilweise offizielle Handelsvertretungen umzuwandeln. Gleichzeitig verfügte die DDR aber über keinen nennenswerten Zugang zum internationalen Kreditmarkt. Die Aufgabe von KoKo bestand nun darin, die Kreditbeschaffung "auf eine stabile und [...] dauerhafte Grundlage zu stellen" (42). Schon frühzeitig begann die Verschuldung der DDR in freien Devisen zu wachsen, 1968 war das Land mit rund 1,8 Milliarden Valutamark (VM) verschuldet. Von Anfang an war KoKo mit Sonderrechten ausgestattet: So konnte Schalck-Golodkowski frei über Konten verfügen, die das Ministerium für Außen- und Innerdeutschen Handel bei der späteren Staatsbank der DDR und bei der Deutschen Außenhandelsbank AG eingerichtet hatte. Außerdem besaß KoKo Zollhoheit, was zunächst wohl auch mit der Anwendung illegaler Geschäftspraktiken zusammenhing. Von entscheidender Bedeutung war jedoch die Tatsache, dass KoKo Devisen nicht nur beschaffen, sondern auch erwirtschaften sollte; dazu war wiederum ein nahezu unbegrenzter Handlungsspielraum erforderlich.
Die KoKo-Aktivitäten in den 1970er Jahren charakterisiert der Verfasser vor dem Hintergrund der Entspannungspolitik als "Modernisierungsphase" (29), in der es darum gegangen sei, den Kapitalstock der DDR-Volkswirtschaft zu modernisieren und für einen kontinuierlichen Devisenzufluss zu sorgen. Im Zusammenhang mit den sogenannten Gegengeschäftsvereinbarungen ergab sich für die DDR die Möglichkeit, Produkte oder "vermarktungsfähige Erzeugnisse", wie z.B. Kraftstoffe, "zur Refinanzierung der ursprünglichen Anlagenimporte" (30) zu nutzen. Ost-Berlin hoffte, durch diese Kompensationsvorhaben neue Märkte für DDR-Produkte zu erschließen. Die Kreditkrise, in die die DDR Anfang der 1980er Jahre geriet, stellte eine Zäsur dar, da sich die Devisenbeschaffung fortan wieder auf die Verwirklichung kurzfristiger Ziele konzentrierte. In dieser Zwangslage versuchte die DDR, den Export in westliche Länder auszuweiten und gleichzeitig den Import zu drosseln. Außerdem sollte die Zahlungsfähigkeit gegenüber westlichen Gläubigern durch "besondere Tauschgeschäfte mit der Sowjetunion unter Hinzuziehung von Waren aus weiteren Ländern" (30) sichergestellt werden. Ab Mitte der 1980er Jahre war KoKo wieder maßgeblich daran beteiligt, Deviseneinnahmen aus Exporten zu erzielen. Dadurch konnte die DDR jedoch keine Vorteile für die Modernisierung der eigenen Wirtschaft mehr erzielen; sie entwickelte sich vielmehr zu einer "verlängerten Werkbank" von westlichen Unternehmen.
Judt beschreibt einzelne Aktivitäten von KoKo, wie beispielsweise die Müllgeschäfte mit West-Berlin und Hamburg oder auch die Mineralölgeschäfte, und stellt Firmen vor, die KoKo frühzeitig zur Durchführung der eigenen wirtschaftlichen Aktivitäten gründete (insbesondere Zentralkommerz und Intrac). Der Autor thematisiert aber auch die Beteiligung von KoKo am Freikauf politischer Gefangener aus der DDR sowie die sogenannten Kirchengeschäfte, bei denen Ost-Berlin die schwierige wirtschaftliche Lage der beiden christlichen Kirchen in der DDR ausnutzte, um Sondergeschäfte mit der Bundesrepublik einzufädeln, die zwischen 1966 und 1989 ein Finanzvolumen von immerhin rund 2,8 Milliarden VM umfassten. Die Darstellung bietet jedoch nur wenig Neues über Personal und Struktur von KoKo, was zweifellos der nach wie vor unübersichtlichen Quellenlage beim BStU geschuldet ist. Auch die Unterstellung unter das MfS wird kaum thematisiert. Diese und weitere Fragestellungen hätten jedoch in einer Studie über KoKo zumindest aufgegriffen werden müssen: Muss das MfS entgegen der bisherigen Forschungsmeinung doch als eigenständiger wirtschaftspolitischer Akteur verstanden werden und welche Rolle hatte das Ministerium in der DDR-Zentralverwaltungswirtschaft? Mit seiner Untersuchung hat Judt dennoch einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von KoKo vorgelegt und gleichzeitig Anregungen für weitere Forschungen geliefert. Dabei scheut er sich nicht, provokante Schlussfolgerungen zu ziehen: In seinem Fazit betont er etwa, dass KoKo letztlich zum Niedergang der DDR beigetragen habe.
Dierk Hoffmann