Rezension über:

Peter Kasper: Das Reichsstift Quedlinburg (936-1810). Konzept - Zeitbezug - Systemwechsel, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, 461 S., ISBN 978-3-8471-0209-0, EUR 64,99
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Teresa Schröder-Stapper
Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Teresa Schröder-Stapper: Rezension von: Peter Kasper: Das Reichsstift Quedlinburg (936-1810). Konzept - Zeitbezug - Systemwechsel, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 2 [15.02.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/02/25436.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Peter Kasper: Das Reichsstift Quedlinburg (936-1810)

Textgröße: A A A

Wiederholt wurde in der historischen Forschung die Forderung laut, die "mindermächtigen Territorien" oder "Kleinstaaten" einer Analyse zu unterziehen. [1] Zu diesen gehörten auch die verschiedenen kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte im Norden und Süden des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, darunter das Stift Quedlinburg. Während dessen mittelalterliche Wurzeln ein breites Interesse in der Forschung gefunden haben [2], sind Arbeiten zur Frühen Neuzeit selten. Auch eine neuere Gesamtdarstellung der Stiftsgeschichte stellt ein Desiderat dar. [3] In diese Lücke will der Autor Peter Kasper mit seiner hier zu besprechenden Studie, die als Dissertation an der Universität Tübingen entstanden ist, vorstoßen und die Ergebnisse der bisherigen Forschung in Teilen revidieren (16). Kasper konzipiert das Stift in Anschluss an Niklas Luhmann "als politisches System" und fragt nach den Systemwechseln, deren Auslösern und Resultaten (23).

In chronologischer Reihenfolge wird die Geschichte des Stifts abschnittsweise abgeschritten. Dabei werden "Phasen ohne relevante Strukturveränderungen [...] gestrafft, solche mit häufigen oder gravierenden Systemwechseln hingegen detailliert dargestellt" (23). Die elf gewählten Zeitabschnitte orientieren sich weitgehend an politischen Einschnitten in der Stifts- und Reichsgeschichte (Augsburger Religionsfriede 1555, Verkauf der Schutzvogtei von Kursachsen an Kurbrandenburg 1698, Säkularisation 1802) oder Regierungsdaten - nicht etwa der Äbtissinnen, sondern des Schutzherrn (Regierungsantritt Herzog Heinrich von Sachsen 1539, Regierungsantritt Friedrich II. von Preußen 1740). Jeder dieser Zeitabschnitte wird unter ein programmatisches "Konzept" gestellt. Während die Gründungs- und Anfangsphase im Zeichen der memoria und Herrschaftsrepräsentation des ottonischen Königshauses stand (Kap. 1), zeichnet sich die frühneuzeitliche Entwicklung des Stifts durch die zunehmende Konfrontation von Äbtissin und Schutzherr im Streit um die Landesherrschaft aus (Kap. 4-7), bis es schließlich zunächst zu einer "Modifikation" und dann zur "Auflösung" des Systems nach 1802 kam (Kap. 8-9). Die Grundlage der Arbeit besteht überwiegend aus der älteren und neueren Sekundärliteratur zum Reichsstift Quedlinburg. Lediglich dort, "wo es für die Thematik der Untersuchung relevant war, wurde auf die Quellen zurückgegriffen" (16). Dies gilt insbesondere für die End- und Übergangsphase des Stifts am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Eine neuere Beschäftigung mit dem Damenstift Quedlinburg war dringend erforderlich. Allerdings handelt es sich bei dieser Studie weitgehend um eine Zusammenschau der bisherigen Forschung, so dass der eingangs formulierte Anspruch der Arbeit, bisherige Forschungsergebnisse in Teilen zu revidieren, nicht erfüllt wird. Der gewählte lange Untersuchungszeitraum führt zudem häufig zu einer deskriptiven und stark vereinfachten Darstellung. Dies betrifft insbesondere die komplexen Herrschaftsverhältnisse im Stift, wo nicht nur Äbtissin und Schutzherr, sondern auch die Kapitularinnen und die Stadtverantwortlichen um Herrschaftsrechte stritten. Sie bildeten ein enges Beziehungsgeflecht, in dem darüber hinaus verwandtschaftliche Beziehungen sowie Kaiser und Reich als Beschützer mindermächtiger Reichsstände eine mehr oder weniger große Rolle spielten. Im Hinblick beispielsweise auf den Konkordienrezess von 1685 war die innerstiftische Konkurrenz zweier Kandidatinnen um das Amt als Äbtissin von entscheidender Bedeutung. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar sicherte sich mit ihrer Vergleichszusage gegenüber dem Kurfürsten von Sachsen als Schutzherrn und unter Verweis auf das Gesamthaus Wettin dessen Unterstützung und damit das Äbtissinnenamt. Dennoch gelingt es Kasper die konfliktreichen und bis weit ins 18. Jahrhundert auf Dauer gestellten Aushandlungsprozesse vormoderner Herrschaft im Zuge der zunehmenden Territorialisierung anhand des Quedlinburger Beispiels nachzuzeichnen, wenn auch nicht zu erklären. Die methodische Anlage der Arbeit weist hingegen Brüche auf, da die Anwendung der eingangs zugrunde gelegten Systemtheorie Luhmanns oberflächlich und ohne erkennbaren Mehrwert bleibt. Ähnliches gilt für die gewählten Analysekategorien 'Zeit' und 'Konzept'. Der Wert der Arbeit besteht in der Untersuchung der End- und Übergangsphase des Stifts, der auch eigene Quellenanalysen zugrunde liegen und die damit einen neuen Beitrag zur Erforschung Quedlinburgs leistet. Darüber hinaus kann die Studie als Anregung für weitere Forschungen zum Damenstift dienen.


Anmerkungen:

[1] Matthias Schnettger: Kleinstaaten in der Frühen Neuzeit. Konturen eines Forschungsfeldes, in: Historische Zeitschrift 286 (2008), 605-640; Karl Ottmar von Aretin: Reichsverfassung und Mindermächtige. Geistliche Fürsten und italienische Vasallen als Stütze der kaiserlichen Reichspolitik, in: Annali dell'Instituto storico Italo-germanico in Trento 30 (2004), 189-205; Heinz Duchhardt: Kleinstaaten zwischen den Großreichen, in: Kleinstaaten in Europa. Symposium am Liechtenstein-Institut zum Jubiläum 200 Jahre Souveränität Fürstentum Liechtenstein 1806-2006 (Liechtenstein politische Schriften; Bd. 42), hg. v. Dieter Langewiesche, Schaan 2007, 79-91; Anton Schindling: Mindermächtige Territorien und Reichsstädte im Heiligen Römischen Reich: Stände oder Kleinstaaten?, in: Kleinstaaten in Europa. Symposium am Liechtenstein-Institut zum Jubiläum 200 Jahre Souveränität Fürstentum Liechtenstein 1806-2006 (Liechtenstein politische Schriften: Bd. 42), hg. v. Dieter Langewiesche, Schaan 2007, 37-58.

[2] Vgl. u.a. Gerd Althoff: Gandersheim und Quedlinburg. Ottonische Frauenklöster als Herrschafts- und Überlieferungszentren, in: Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster 25 (1991), 123-144; Irene Crusius: Im Dienst der Königsherrschaft. Königinnen, Königswitwen und Prinzessinnen als Stifterinnen und Äbtissinnen von Frauenstiften und -klöstern, in: Nonnen, Kanonissen und Mystikerinnen. Religiöse Frauengemeinschaften in Süddeutschland. Beiträge zur interdisziplinären Tagung vom 21. bis 23. September 2005 in Frauenchiemsee (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 235; Germania Sacra; Bd. 31), hgg. v. Eva Schlotheuber / Helmut Flachenecker / Ingrid Gardill, Göttingen 2008, 59-77.

[3] Vgl. Clemens Bley (Hg.): Kayserlich - frey - weltlich. Das Reichsstift Quedlinburg im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit (Studien zur Landesgeschichte; Bd. 21), Halle 2009; Jochen Vötsch: Zwischen Kursachsen, Preußen und dem Kaiser: Das Reichsstift Quedlinburg zu Beginn des 18. Jahrhunderts, in: Sachsen und Anhalt 24 (2002/2003), 295-316.

Teresa Schröder-Stapper