Norbert Spannenberger / Szabolcs Varga (Hgg.): Ein Raum im Wandel. Die osmanisch-habsburgische Grenzregion vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa; Bd. 44), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014, 308 S., 11 Farbabb., ISBN 978-3-515-10428-9, EUR 52,00
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Dieser Sammelband, der 17 Beiträge umfasst, geht auf eine Konferenz aus dem Jahr 2007 zurück, die vom Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas in Leipzig organisiert worden war. Er zielt auf ein Themenfeld ab, das sich auf die Nahtstellen zwischen "Okzident" und "Orient" in der frühen Neuzeit mit Schwerpunkt mittlerer Donauraum (Ungarn) bezieht und im letzten Jahrzehnt merklich mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat als zuvor. Dies liegt nicht nur an der Wiederbeforschung imperialer Perspektiven, sondern auch am Umsichgreifen kulturwissenschaftlicher Fragestellungen.
Die einleitenden "Bemerkungen" von Markus Koller behandeln "Grenzwahrnehmung und Grenzmacht" und fassen die folgenden Aufsätze zusammen, bereichern die Leserschaft aber nicht mit einem Kaleidoskop, was das Thema an sich umfasse, aber im Band nicht enthalten sein könne, um der Leserschaft vor Augen zu führen, dass das stoffliche Volumen doch um Einiges größer ist als der Inhalt des Kompendiums.
Der erste Abschnitt umfasst fünf Texte von Dariusz Kołodziejczyk, Ernst D. Petritsch, Szabolcs Varga, Nedim Zahirović und Norbert Spannenberger, die allesamt dem Subthema "Macht und Herrschaft im Grenzraum" zugeordnet sind. Sie behandeln staatspolitische, familienhistorische und migratorische Aspekte, fassen den Forschungsstand zusammen und enthalten aus Quellen erarbeitete Nova, etwa über die Grenzlandfamilie Memibegović.
Den zweiten Abschnitt mit dem Titel "Alteritäten: Die geistig-mentale Grenze" (ist es aus zeitgenössischen Rücksichten sinnvoll, nur von Einzahl zu sprechen?) tragen vier Beiträge von Detlef Haberland, Zoltán Péter Bagi, Farkas Gábor Kiss und Gábor Nagy, die sich auf Feindbilder im 16. und 17. Jahrhundert beziehen. Neben das bekannte Phänomen der Dämonisierung des osmanischen Gegners auf "christlicher" Seite wird das frühneuzeitliche Ungarn ins Blickfeld gerückt, das rund 150 Jahre innerhalb der Periode dreigeteilt war und das deshalb - von außen gesehen - nicht klar einzuordnen war. Blendend fällt etwa der Überblick von Gábor Nagy aus.
Der dritte Abschnitt enthält drei Aufsätze von Antal Molnár, Zoltán Gőzsy und Maja Quakatz zum Thema "Kirche und Religion: Grenzen und Grenzüberschreitungen". Sie beziehen sich auf organisations- und konversionsgeschichtliche Facetten im Umfeld der katholischen Kirche in Ungarn und "im Alten Reich". Insbesondere der Beitrag über zwangsgetaufte Osmanen und kulturelle Grenzgänger offenbart, das sich "Raum im Wandel" immer auch am Rücken von Menschen abspielt.
Das vierte Kapitel bündelt vier Beiträge von Gergely Tóth, Dénes Sokcsevits, Nenad Moačanin und Zsuzsa Barbarics-Hermanik, die "Die Anderen in der Historiographie und Erinnerungskultur" betreffen. Sie spannen den Bogen von der zeitgenössischen ungarischen Geschichtsschreibung bis zu den Gedächtnisorten Mohács und Szigetvár. So illustrativ der am Ende des Bandes vorhandene Tafelteil ist, so wäre auch eine Liste der Autorinnen und Autoren zweckmäßig gewesen.
Die Stärke des Bandes liegt eindeutig darin, dass es sich durchwegs um quellengestützte, den aktuellen Forschungsanforderungen gerecht werdende Beiträge handelt, die überwiegend von ungarischen und kroatischen Autoren und Autorinnen des akademischen Nachwuchses stammen und das bisherige Bild zu Epoche und Schauplatz erheblich ergänzen. Die Publizierung ihrer Beiträge im renommierten Steiner-Verlag wird den Verfassern zur Ehre gereichen, und das der südosteuropäischen Sprachen nicht kundige Publikum erhält einen nützlichen Einblick in eine ansonsten verschlossene Welt.
Der Sammelband hat aber auch Schwächen, die nicht unerwähnt bleiben können: 1. Der Gesamttitel "Raum im Wandel" wird dem Inhalt keineswegs gerecht, da sich aus den einzelnen Beiträgen keine schlüssige Antwort zur Kernfrage finden lässt; 2. Laut Titel ist das 18. Jahrhundert eingeschlossen, doch schimmert die Rolle jener Epoche für das Gesamtthema nur ganz marginal durch; 3. So aufschlussreich die publizierten Artikel auch sind, hätte es in dem Kompendium Botschaften bedurft, die der Titel verlangt, um die zeitgenössischen Relevanzen widerzuspiegeln. Dazu gehören z.B. die ersten Erfahrungen der Habsburger mit dem konfessionspolitischen Novum Orthodoxe Kirche, die unzähligen und wechselhaften Grenzübertrittserfahrungen der diplomatischen Missionen zwischen Wien und Konstantinopel, das die ganze Periode hindurch aufrecht bleibende Problem der Unkontrollierbarkeit der habsburgisch-osmanischen Grenzräume, der durchbruchartige Ausbau der Militärgrenze im Zuge des 18. Jahrhunderts, die Zuwanderung von Balkanhändlerfamilien ab Ende des 17. Jahrhunderts, die den mittleren Donauraum ethnisch und kulturell wesentlich veränderten, die Einführung des Cordon sanitaire entlang der osmanischen Grenze usf.
Freilich kann nicht alles zum Thema Gehörige in einem Band enthalten sein, aber mehr Sorgfalt bei der Betitelung eines Sammelbandes mit vielen aufschlussreichen, aber thematisch verstreuten Beiträgen wäre dann doch zu wünschen gewesen.
Harald Heppner