Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Thomas Wilke: Innendekoration. Graphische Vorlagen und theoretische Vorgaben für die wandfeste Dekoration von Appartements im 17. und 18. Jahrhundert in Frankreich, München: Scaneg 2016
Rolf Bidlingmaier: Das Kronprinzenpalais in Stuttgart. Fürstensitz-Handelshof-Streitobjekt. Ein Palast am Übergang vom Klassizismus zum Historismus, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2017
Berthold Heinecke / Hole Rößler / Flemming Schock (Hgg.): Residenz der Musen. Das barocke Schloss als Wissensraum, Berlin: Lukas Verlag 2013
Hellmut Lorenz / Anna Mader-Kratky (Hgg.): Die Wiener Hofburg 1705-1835. Die kaiserliche Residenz vom Barock bis zum Klassizismus, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2016
Stiftung Berliner Schloss: Rekonstruktion am Beispiel Berliner Schloss aus kunsthistorischer Sicht. Ergebnisse der Fachtagung im April 2010. Essays und Thesen, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2011
Stefan Hanheide: Pace. Musik zwischen Krieg und Frieden. Vierzig Werkporträts, Kassel: Bärenreiter 2007
Jeremy Black: The Battle of Waterloo. A New History, Cambridge: Icon Books 2010
Kirsten Baumann / Ralf Bleile (Hgg.): Von Degen, Segeln und Kanonen. Der Untergang der Prinzessin Hedvig Sofia, Dresden: Sandstein Verlag 2015
Michael Borgolte / Juliane Schiel / Bernd Schneidmüller u.a. (Hgg.): Mittelalter im Labor. Die Mediävistik testet Wege zu einer transkulturellen Europawissenschaft, Berlin: Akademie Verlag 2008
Bernd Schneidmüller: Grenzerfahrung und monarchische Ordnung. Europa 1200-1500, München: C.H.Beck 2011
Wilhelm Kühlmann / Anton Schindling (Hgg.): Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004
Unter den großen und politisch wie kulturell bestimmenden Dynastien Europas ragt das Haus Wittelsbach zu Recht als ein Phänomen sui generis heraus. Diese Sonderstellung liegt nicht nur in der nahezu einzigartigen Tatsache einer über 700-jährigen ununterbrochenen Regierungstradition in den bayerischen Stammlanden (1180-1918) begründet, sondern auch in der - angesichts der eben erwähnten Kontinuität oftmals vergessenen - Präsenz außerhalb Bayerns. Hier wiederum kommt der ehemaligen Kurpfalz eine bevorzugte Stellung zu, regierten doch auch am Rhein die Wittelsbacher in ihren diversen Nebenlinien von 1214 an zunächst bis zum Ende des Alten Reiches 1803 und dann, in Form der Bayerischen Pfalz, bis hinein ins 20. Jahrhundert.
Alle hier in diesem Forum nun anzuzeigenden Veröffentlichungen widmen sich, wiewohl in völlig verschiedener Art und unter anderen Aspekten und Zugängen, einzelnen und übergreifenden Fragen Wittelsbachischer Geschichte in Bayern und am Rhein. Ein vergleichender Blick darauf erscheint daher nicht nur geboten sondern auch überaus interessant.
Das achthundertjährige Jubiläum Wittelsbachischer Präsenz am Rhein bildete einerseits den Anlass zu einer großangelegten Ausstellung in Mannheim mit entsprechenden Begleitpublikationen - Kataloge wie wissenschaftliche Aufsatzbände -, anderseits aber auch zur erstmaligen Vorlage eines eher populärwissenschaftlichen Werkes, welches in Kombination von Bild und Text dieses Phänomen einem breiteren Publikum erschließen möchte.
Bezüglich des ersteren kann hier auf die in den bereits erfolgten Würdigungen zu findende ausführliche inhaltliche Auflistung [1] verwiesen werden, so dass der Rezensent sich von der Pflicht entbunden zu wissen hofft, diese hier noch einmal en détail wiederzugeben. Beginnen wir also mit dem Offensichtlichen: die Geschichte der Kurpfalz an sich stellt nicht gerade einen der Hauptschwerpunkte deutscher oder gar europäischer Historiographie dar. Ein maßgeblicher Faktor zur Erklärung dieser Lücke findet sich sicher in den Gegebenheiten der historischen wie aktuellen politisch-geographischen Landschaft: war die Pfalz streng gesprochen nur bis 1777 wirklich selbständig und von da an bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg engstens mit den bayerisch-wittelsbachischen Stammlanden verknüpft, so führte die weitere Aufsplitterung nach der Neuordnung infolge des Zweiten Weltkriegs zu dem kuriosen Phänomen, dass weite Territorien der historischen Pfalz heute maßgebliche Teile des «Bindestrichlandes» Rheinland-Pfalz bilden, während das (zumal ab dem 14. Jahrhundert) historisch-administrative Kerngebiet der Kurpfalz, die Gegend um Heidelberg und Mannheim, heute sich in dem ebenfalls als Doppelland seltsam unbestimmten Baden-Württemberg befindet. Diese heterogene Gemengelage und die daraus resultierende Erschwernis einer historischen Erinnerungs- und Memorialkultur (beziehungsweise des oft ausschlaggebenden entsprechenden politischen Willens) erklärt, warum hierfür - trotz einiger durchaus respektabler Ansätze und Überblicksdarstellungen [2] - Standardwerke wie etwa andernorts zu findende mehrbändige Handbücher zur Landesgeschichte naturgemäß fehlen müssen.
Kaum anders verhält es sich mit der Aufarbeitung Wittelsbachischer Präsenz außerhalb Bayerns: während die Gesamtgeschichte des Hauses einigermaßen abgedeckt erscheint [3], bleiben epochale Einzeluntersuchungen wie etwa Thomas' vergleichende Studie zur konfessionellen Hofkultur des Hauses im 16./17. Jahrhundert [4] die Ausnahme.
Dies illustriert die Schwierigkeiten und Chancen, mit welchen die Herausgeber des vorliegenden Katalogbandes zu rechnen hatten. Die Prämissen schienen offenbar derartig, dass sich das Vorbereitungskonsortium wohl zu einem relativ frühen Zeitpunkt darüber klar wurde, all die angesprochenen Desiderate nicht in einem (oder zwei) Band/Bänden lösen zu können und folglich dem offenbar für das grand public bestimmten Ausstellungskatalog noch zwei Tagungsbände zu just demselben historischen Betreff, aufgeteilt ebenfalls in Mittelalter und Neuzeit, an die Seite stellten. Das Resultat ist daher vor allem für den Ausstellungskatalog oftmals unbefriedigend, da man sich mitunter an das «wissenschaftliche» Pendant weitervermittelt glaubt, ohne im Text darauf immer explizit hingewiesen zu werden. Hinzukommt eine gewisse Uneinheitlichkeit hinsichtlich Länge der Artikel, Verwendung von beziehungsweise Verzicht auf Fußnoten/Anmerkungen und eine nicht immer ganz einleuchtende Themenauswahl sowie eine ungewohnte äußere Form mit Vermischung von Text und Ausstellungsteil. Letzteres ist wohl dem Umstand geschuldet, dass man ansonsten - also bei der üblichen Aufteilung dieser Betreffe - letztendlich drei (!) verschiedene Produkte in vier Teilen vorzuweisen gehabt hätte.
Von diesen Besonderheiten abgesehen, liegt es in der Natur der Sache, dass die oben aufgezeigten Lücken vor allem hinsichtlich der Gesamterfassung der beiden zentralen Phänomene Kurpfalz und Pfälzische Wittelsbacher in einem notwendigerweise disparaten Sammelwerk wie einem Ausstellungskatalog ohnehin nicht geschlossen werden können. Beide Betreffe sind ja wesentlich weiter denn hier konzipiert gefasst - «Wittelsbacher am Rhein» umschlösse zumindest auch die dynastische Präsenz in den rheinischen Stiften und Prälaturen, «Kurpfalz und Europa» weite kulturelle, dynastische, wirtschaftliche, militärische, geopolitische und biographische Konnotationen, welche hier nicht einmal alle angesprochen werden konnten.
Das erreichte Amalgam weist denn auch zahlreiche erfreuliche und grundlegende Beiträge ebenso auf wie es nicht weniger zahlreiche Nachfragen und Wünsche offen lässt.
Für den Mittelalterband sind gerade die analytischen Überblicke hinsichtlich der Gesamtproblematik sowie der Heiratsverbindungen und der daraus resultierenden «Europäisierung» sehr schön gelungen und können durchaus fürderhin als Referenz betrachtet werden. Bezüglich der pfälzischen Binnenwahrnehmung gilt dies auch für die Beiträge zu Städte und Burgen, doch hätte man sich hier - im Hinblick auf den im Untertitel aufscheinenden Anspruch - eventuell ein wenig mehr an europäischer Vergleichsebene gewünscht. Warum sich die gerade in dieser Perspektive maßgeblichen Aspekte der Geschichte der Juden, der Gründung der Universität Heidelberg sowie des für das Gesamthaus kapitalen Vertragwerkes von Pavia mit zwei, letzterer sogar nur mit einer (!) Seite begnügen mussten, bleibt hingegen ebenso schleierhaft wie andererseits die Berechtigung mancher Texte, deren Titelrelevanz - unabhängig von Gehalt und Wert - sich dem Betrachter nicht unmittelbar erschließt.
Die kulturhistorische Komponente wird gut und anschaulich aufgearbeitet, dies nicht zuletzt durch den legitimen Rückgriff auf zwei die Geschichtswissenschaft momentan besonders faszinierende Phänomene - die Residenzen- und Mäzenatenforschung.
Weniger kohärent als der stringenter chronologisch geordnete Schwesterband präsentiert sich der Neuzeitteil, wiewohl auch hier die chronologisch-politischen wie dynastischen Ausführungen zu überzeugen wissen, gleichfalls die Betreffe zur großen deutschen und europäischen Politik, wie Kurwürde, Reichsvikariat, Dreißigjähriger Krieg und Migrationsgeschichte. Ob hingegen Beiträge zu fürstlichen Testamenten und Prunkrüstungen der Renaissance - wie gesagt: bei aller Berechtigung dieser Genres an sich! - in dem (zu?) groß abgesteckten Rahmen essentiell seien, mag der Leser für sich entscheiden. Auch hier ist die Residenzenforschung gut und anschaulich vertreten, doch hat sich in diesen Themenblock die hier völlig deplazierte, in sich aber sehr schöne Biographie Philipp Wilhelms von Pfalz-Neuburg verirrt, während man andere Einzeluntersuchungen zur europäischen und weltweiten Ausstrahlung der Pfälzer Wittelsbacher, etwa - um nur einen zu nennen - zur mehr denn illustren Vita des Kurpfälzer Prinzen Rupert (Prince Rupert of the Rhine, 1st Duke of Cumberland & 1st Earl of Holderness, 1619-1682 [5]) vergeblich sucht.
Hofkultur, Wissenschaftspflege und Hofmusik hingegen werden überzeugend vorgestellt, bleiben aber auf die bekannten epochalen Höhepunkte (so die Hofmusik unter Carl Theodor) beschränkt. Ein letzter Block widmet sich dem Übergang an die Nachfolgestaaten nach der Sattelzeit der napoleonischen Ära; hier wäre ein eigenständiger Aufsatz zu den diplomatischen und wirtschaftlichen wie städtebaulichen Bemühungen König Ludwigs I. um die Pfalz durchaus willkommen gewesen.
Aufmachung und Qualität der begleitenden Dokumentation (Abbildungen und vor allem die sehr schönen Karten) sind exemplarisch und sprechen für sich.
Der begleitende Aufsatzband - besprochen werden kann hiervon nur der Neuzeitteil, da der korrespondierende Mittelalterband auch auf wiederholte Nachfrage hin vom Verlag nicht zu erhalten war - vermag die angeführten Bedenken und Desiderate nur zum Teil zu beheben, wiewohl auch hier Bedeutung und Qualität der einzelnen Beiträge unbezweifelt ist. Interessanterweise finden sich hier einige sehr wertvolle analytische Überblicksdarstellungen, vor allem zur Außen- und Kulturpolitik, welche man gerne in dem für eine breitere Leserschaft konzipierten Ausstellungskatalog gesehen hätte, ist das Verständnis dieser Sachverhalte doch grundlegend für eine Durchdringung des Gesamtphänomens. Doch auch dies gilt nur für Einzelbetreffe. Im Bereich der Musikgeschichte etwa hat sich der Leser mit einem einzigen Beitrag zu begnügen; dieser behandelt - wiewohl auch hier auf höchstem Niveau - die Geschichte der deutschsprachigen Messkomposition anhand des Beispiels der Werke Ignaz Hofbauers. Die auch europäisch enorm relevante Mannheimer Hofmusik wird ansonsten - wie erwähnt - "nur" in einem achtseitigen Überblicksbeitrag der gleichen Autorin angerissen, was insgesamt etwas dürftig erscheint.
Dieses Einzelbeispiel mag und muss in unserem Kontext zur Illustration des Gesamten genügen: ein buntes Sammelsurium verschiedenster Einblicke, Wertungen und Ausblicke, deren Verdienst für sich genommen nicht bestritten werden kann. Jede Zeile der Bände kann mit Gewinn gelesen werden; ein geschlossenes und im anspruchsvollen Titel evoziertes Gesamtbild hinterlassen sie - im Gegensatz zu anderen kürzlich zu diesem thematischen Komplex erschienenen knapperen, aber materialstärkeren und aussagekräftigeren Publikationen [6] - jedoch beim Betrachter kaum, was nicht zuletzt auch an der für viele Betreffe durchaus zu hinterfragenden Aufteilung in die beiden vermeintlichen zeitlichen Großräume liegen mag - eine Gliederung, welche manche Kontinuitäten deutlich zu kurz kommen lässt.
Gegenüber der in Katalog- und Sammelbänden vielleicht nur schwer zu vermeidenden Disparität präsentiert sich die erwähnte zweite Publikation ungleich strukturierter und homogener. Hartmut Ellrichs Lese- und Bildband stellt ohne großen akademischen Anspruch auf Innovation, aber mit Liebe zum Detail anschaulich das Gesamtphänomen «Wittelsbacher in Bayern und am Rhein» vor. In knappen Einzeldarstellungen erhält der Leser hier Informationen sowohl zu den einzelnen Fürsten der diversen Hauslinien (in Auswahl), als auch zu deren geographisch-topographischem kulturellem Vermächtnis. Vollständigkeit wird auch hier nicht angestrebt, was im Rahmen eines Bandes wohl auch kaum zu leisten ist. Erfreulicherweise aber finden sich hier auch Orte berücksichtigt, welche der allgemeinen Aufmerksamkeit mitunter entgehen - an erster Stelle seien hier die ausführlich behandelten Grablegen genannt, dazu aber auch die Nebenresidenzen. Chronologisch auffallend ist die, trotz beschränkten Raums, große Berücksichtigung des 19. und 20. Jahrhunderts, welche man sich bei den Mannheimer Publikationen verstärkt gewünscht hätte.
Entstanden ist so ein charmanter und durchaus informativer, in dieser Form wohl auch einzigartiger Bildband von nicht zu unterschätzendem Aussagegehalt, was nicht zuletzt der gekonnten Bildauswahl und liebevollen Aufmachung durch den Verlag zu danken ist. Grundlegende, wiewohl etwas repetitiv verwendete Literatur wird im Anhang aufgeführt, dazu einige genealogische Überblickstafeln. Leider vermisst man ein Register, was vor allem in prosopographischer Hinsicht (Künstler, Baumeister, aber auch Agnaten) sehr nützlich gewesen wäre.
Wiegt dieses Desiderat vielleicht nur mittelschwer, so kommt man doch um das Konstatieren eines anderen, durchaus gravierenden, nicht herum: das völlige Fehlen, das heißt die Nichtberücksichtigung der ebenfalls schon angesprochenen geistlichen Wittelsbacher am Rhein und ihres kulturellen Erbes. Zumal die nahezu zweihundertjährige Sekundogenitur der Wittelsbacher in Kurköln (1583-1761) und ihr enormes kulturelles Vermächtnis müssten, gemäß Ausrichtung und Titel ("am Rhein"), in diesem Band unbedingt vertreten sein, wurde doch auch die Neuburger Residenz Düsseldorf mit ihren Nebensitzen (Benrath und Bensberg) aufgenommen. Dieses Fehlen bleibt umso unerklärlicher, als der Autor in seinem Vorwort auf dieses spezifisch Wittelsbachische Vermächtnis eigens hinweist und dabei den Bogen gar bis ins Emsland, zu der von Clemens August von Bayern dort errichteten Anlage in Clemenswerth, spannt. Ansonsten aber findet der interessierte Leser hier in gebotener Knappheit - die daraus resultierenden Einzelnachfragen und notwendigen Verkürzungen bei bestimmten Aspekten seien hier bewusst nicht angesprochen - ein anschauliches Bild weiter Teile des eingangs evozierten Gesamtphänomens.
Hat Ellrichs Werk bereits den Bogen in die bayerischen Stammlande geschlagen, so sei diese Bücherrundschau nicht ohne einen kurzen Blick auf ein letztes, nicht zu vernachlässigendes Werk nun rein Münchener Relevanz beendet - ein Werk, welches sich zwar aufgrund seiner eindeutig akademischen Ausrichtung deutlich von den vorgenannten unterscheidet, aber durch seine starke Betonung des Aspekts des Kulturtransfers seinerseits einen wichtigen Beitrag zu einer breiteren Erfassung des Gesamtbetreffs «Wittelsbach» liefert.
Das Anliegen der hier in leicht gekürzter Form vorliegenden Habilitationsschrift Eva-Bettina Krems' ist es, die Wechselwirkungen, Einflussnahmen und Wirkmächtigkeiten vor allem der französischen Hofes, respektive des französischen Repräsentationsideals des Grand Siècle auf den zeitgenössischen Münchener Hof der Kurfürsten Ferdinand Maria und Maximilian II. Emanuel in der Zeit von 1650 bis 1730 nachzuzeichnen und näher zu analysieren [7].
Methodisch sinnvoll beginnt die Autorin dabei mit einer Darlegung der für ihren Ansatz dominierenden Parameter von «Perzeption und Kommunikation» (44-130), nachdem zuvor in einer sehr schönen Einleitung das Phänomen der Europe française, also des allgemein unter französischem Kultureinfluss stehenden Kontinents der Epoche, wie auch der Gesamtkontext der «Wittelsbacher 1650-1730» angerissen, beziehungsweise evoziert wurde. Wiewohl man ob der mitunter markanten Kürze einzelner Abhandlungen (etwa der Komplexe «[Wittelsbachische] Heiratsallianzen» und «Wittelsbacher zwischen Habsburg und Bourbon» auf zusammen lediglich sieben Seiten, 51-57) erstaunt sein mag, so liegt dennoch mit diesen konzisen Analysen eine erste Einordnung des Gegenstands anhand der oben erwähnten Kriterien vor. In geschickter Verknüpfung von kulturhistorischer Relevanz und tagespolitischer, beziehungsweise geostrategischer Realität und Kalkül (so die überaus komplexe Rolle des Münchener Hofes bei der Kaiserwahl 1657/58) gelingt es der Verfasserin ein wiewohl auch hier wieder knapp gehaltenes, aber dennoch hinreichendes und stimmiges Bild der Rahmenbedingungen ihrer Erörterung zu zeichnen, ein Bild - das ist der Erwähnung wert - in welchem auch in der Literatur bislang überaus stiefmütterlich behandelte, vermeidliche Randgestalten, wie Herzog Maximilian Philipp und seine Reisen der 1660er Jahre eine relativ breite Berücksichtigung finden.
Das Hauptaugenmerk der Studie hingegen liegt auf der konkreten Verwirklichung der einleitend gewonnen Erkenntnisse, nämlich in jener als «Modelladaption» bezeichneten Umsetzung externer Impulse am Münchener Hof. Vor allem Charakter, Bedeutung und Wirkung der Residenz (im doppelten Sinne des Wortes) kommt hier eine besondere Rolle zu, diese eingehende Untersuchung zählt vor allem in ihren Ergebnissen zu den maßgeblichen Leistungen des Werkes. Die Verknüpfung von Politik, Zeremoniell, Architektur sowie fürstlichem Eigenanspruch und souveräner Repräsentation gelingt vorbildlich und der konstatierte Umbruch um 1660 kann nachdrücklich und überzeugend belegt werden.
Da der Fokus der Darstellung auf München, beziehungsweise das Münchener Umland (Schleißheim, Dachau) gelegt ist, werden die Jahre der Abwesenheit Max Emanuels von Bayern, also sowohl die Statthalterschaft in Brüssel, wie auch das Exil in Frankreich, ausgeklammert. Ob dies zurecht geschieht, bleibt diskussionswürdig, da gerade die Brüsseler Einflüsse mit ihrer Vermengung von spanischer und burgundisch-flandrischer Tradition doch auf weite Strecken - wiewohl bislang noch wenig untersucht - ebenfalls stilbildend für die bayerischen Gegebenheiten wurden. Wenig Berücksichtigung findet auch die zeitlich vorausgehende geistig-kulturelle savoyardische Erbschaft der Kurfürstin Henriette Adelaïde [8], also die Verschränkung von (nord-)italienischen und französischen Elementen, wie sie vor allem in Konzeption und Gestalt der Hofkirche St. Cajetan (Theatinerkirche) [9] zum Ausdruck kamen. Diese Punkte werden zwar mitunter erwähnt, hätten aber gegebenenfalls der eingehenden Vertiefung bedurft.
Unbedingt treffend hingegen erscheint der letzte große Abschnitt des gut, wiewohl nicht originell [10], erkannten Modellwechsels ab 1715, also ab der Restitution Max Emanuels in seinen Erblanden. Ein Ausblick auf die Regierungsjahre Carl Albrechts ab 1726 sowie ein gelungenes Fazit runden den Band ab.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Eva-Bettina Krems mit ihrem Werk eine gelungene Umsetzung innovativer methodischer Tendenzen der Geschichtswissenschaft in einem streng umrissenen Kontext vorlegen konnte und damit über weite Strecken hierfür Modellcharakter beanspruchen kann. Intentionen, Motivationen und Realisationen der Hauptakteure treten deutlich nachvollziehbar in gut lesbarer Sprache zutage, eine gelungene Bildauswahl begleitet nicht nur den Text, sondern unterstreicht diesen überzeugend in Form visueller Anmerkungen.
Gegenüber diesen eindeutig positiven constats fallen geringfügige Einwendungen und Bedenken weniger ins Gewicht. Neben der schon angesprochenen Kürze mancher Abschnitte wäre hier noch die Terminologie vor allem in der Titelwahl zu erwähnen. So ist hier und auch mitunter im Text von «den Wittelsbachern» die Rede, dabei aber fast ausschließlich der Münchener Hof gemeint. Dies erscheint angesichts der dieser Besprechung zugrundeliegenden weiten Verbreitung des Gesamthauses gerade in dem behandelten Zeitraum unglücklich. Weiters muss das vollkommene Fehlen des musikalischen Aspektes erwähnt werden, was angesichts vor allem des Kulturtransfer-Gedankens merkwürdig wirkt. In diesem Zusammenhang so maßgebende Personen wie Agostino Steffani [11], Pietro Torri [12], Evaristo Felice Dall'Abaco [13] oder die Dynastie der Fiocco [14] finden keinerlei Erwähnung. Sicherlich lag der Analysefokus auf der Architektur und bildenden Kunst, doch da auch Rituell, Zeremoniell und allgemeine Repräsentanz - berechtigterweise - miteinbezogen wurden, hätte dies zumal erweiternd auch für die Musik erfolgen sollen. Eine letzte kleine Nachfrage scheint sich mehr an den Verlag zu richten, nämlich hinsichtlich der ausschließlichen Berücksichtigung von Namenseinträgen im Register; hier wäre, gerade angesichts der Ausrichtung der Arbeit, zumindest ein zusätzliches topographisches Verzeichnis überaus sinnvoll gewesen.
Diese wenigen Punkte aber vermögen nicht, den ansonsten überaus positiven Gesamteindruck des Werkes zu beeinträchtigen. Die französischen Einflüsse auf den Münchener Hof der «Barock»zeit, schon in der ältesten Forschungsliteratur ab dem 19, Jahrhundert immer wieder postuliert, haben hier einen nachdrücklichen Erweis erfahren. Monokausal erklären sie sicher das Gesamtphänomen der bayerischen Hof- und Landeskultur der Zeit nicht - diese ist eher in jenem Verschnitt italienischer («welscher») und eben französischer Traditionsstränge zu finden, wie Henriette Adelaïde sie bereits am elterlichen Turiner Hof idealtypisch und in einer den hier zugrundeliegenden Untersuchungsansatz weit übersteigenden Form und Schnittmenge (von politischer Theorie, reformkatholischer Spiritualität und kulturell-künstlerischer Innovation) kennengelernt hatte und welche dann in den späteren Jahren des Grand Siècle auch in Frankreich unter dem Gesamtbegriff der goûts réunis [15] diskutiert wurde. Doch dies ist Perspektive für eine weitere und umfassendere Studie, welche auf die soliden Resultate und Methoden der vorliegenden aufzubauen wissen wird.
Damit sind wir am Ende unserer promenade littéraire angelangt. Ausmaß und Bedeutung des eingangs postulierten Unikats Wittelsbachischer Relevanz für weiteste Teile der deutschen wie europäischen Geschichte konnten in allen besprochenen Werken nachgewiesen und illustriert werden. Eine Gesamtdarstellung des Phänomens zu erwarten wäre illusionär und auch unfair den Autoren und Herausgebern gegenüber. Wichtige Steine auf dem Weg zur Vervollständigung dieses schillernden Mosaiks aber können sie alle, wenn auch in unterschiedlicher Dichte und Leuchtkraft, beisteuern.
Anmerkungen:
[1] Z.B. Michael Kitzing: Rezension des Mittelalter-Bandes unter: http://ifb.bsz-bw.de/bsz368588629rez-1.pdf (3. Jun 2014); der Gesamtinhalt der beiden Bände unter: http://d-nb.info/1022757474/04, bzw. http://d-nb.info/1041918569/04 (3. Jun 2014)
[2] Etwa: Rudolf Haas / Hansjörg Probst: Die Pfalz am Rhein. 2000 Jahre Landes-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte, Mannheim 1984; Meinrad Schaab: Geschichte der Kurpfalz, Bd 1. Mittelalter, Stuttgart 1999, Bd 2. Neuzeit, Stuttgart 1992; Armin Kohnle: Kleine Geschichte der Kurpfalz, 4. Aufl., Karlsruhe 2011.
[3] Für den vorliegenden Betreff am besten: Ludwig Hüttl, Das Haus Wittelsbach - die Geschichte einer europäischen Dynastie, München 1980; vgl. daneben: Adalbert Prinz von Bayern: Die Wittelsbacher. Geschichte unserer Familie, 2. Aufl., München 1980; Hans und Marga Rall: Die Wittelsbacher in Lebensbildern, München 2005; Hans-Michael Körner: Die Wittelsbacher, München 2009; vgl. auch Anm. 7.
[4] Andrew L. Thomas: A House Divided - Wittelsbach Confessional Court Cultures in the Holy Roman Empire, c. 1550-1650, Leiden / Boston 2011, vgl. meine Besprechung unter: http://www.sehepunkte.de/2011/03/18631.html.
[5] Frank Kitson: Prince Rupert - Portrait of a Soldier, London 1994; ders.: Prince Rupert - Admiral and General-at-Sea, London 1999.
[6] So v.a. Gerhard Immler: Die Wittelsbacher, Darmstadt 2013.
[7] Ausgangspunkt für die Betrachtung sollte der sehr gelungene und weit gefächerte Beitrag von R. Babel sein, welcher hier leider keine Berücksichtigung fand: Rainer Babel: The Duchy of Bavaria - The Courts of the Wittelsbachs, in: John Adamson (ed.): The Princely Courts of Europe 1500-1700, London 2000, 189-209.
[8] vgl. Manfred Heim: Ferdinand Maria - die italienische Heirat, in: Alois Schmid / Katharina Weigand (Hgg.): Die Herrscher Bayerns, München 2001, 218-230; Roswitha von Bary: Henriette Adelaide. Kurfürstin von Bayern, 2. Aufl., Regensburg 2004.
[9] Olivier Chaline: Val-de-Grâce et Théatins, in: Rainer Babel (Hg.): Bourbon und Wittelsbach - Neuere Forschungen zur Dynastiengeschichte (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte; 33), Münster 2010, 365-385; Frank Purrmann: Agostino Barellis Doppelturmplanung für die Fassade der Theatinerkirche in München. Zu einem neu entdeckten Kupferstich des Jean Sauvé, München 2011 (online unter: http://de.zisska.de/wp-content/uploads/file/bibliographisches/theatinerkirche.pdf, 7. Apr 2014)
[10] Die «Retrospektiv-Inszenierung» Max Emanuels nach seiner Rückkehr 1715 thematisierte bereits M. Junkelmann stark, v.a. im Hinblick auf militärische Erfolge des Kurfürsten vor 1700, welche in Kunst und Architektur nach 1715 breite Berücksichtigung fanden. Marcus Junkelmann: Theatrum Belli - Höchstädt, Schleißheim, Blenheim (Arte & Marte. In Memoriam Hans Schmidt; Bd. 1), Herzberg 2000.
[11] Colin Timms: Polymath of the Baroque - Agostino Steffani and His Music, Oxford / New York 2003; vgl. für den (kultur-)historischen Kontext: Lucien Bély: La société des princes, Paris 1999, 158-160.
[12] Inga Mai Groote: Pietro Torri, un musicista veronese alla corte di Baviera, Verona 2003.
[13] Francesco Passadore: Catalogo tematico delle composizioni di Evaristo Felice Dall'Abaco (1675-1742), Padova 2004; Laura Och / Marco Materassi: Vorwort zu: E. F. Dall'Abaco: [XII] Sonate da camera a violino e violoncello opera quarta, Firenze 1999, [7]-[17].
[14] Christiane Stellfeld: Les Fiocco, une famille de musiciens belges aux XVIIe et XVIIIe siècles, Bruxelles 1941.
[15] So der Titel einer 1724 erschienenen Konzertsammlung François Couperins (1668-1733); die Diskussion (zuweilen der Kampf) um die Vereinbarkeit von italienischer und französischer Kultur beherrschte weite Teile der Ästhetikdiskussion des 18. Jahrhunderts, vgl. nicht nur für den musikalischen Kontext: Don Fader: Philippe II d'Orléans's 'chanteurs italiens', the Italian cantata and the goûts-réunis under Louis XIV, in: Early Music 35/2 (2007), 237-250.
Josef Johannes Schmid