Jeffrey D. Burson / Ulrich L. Lehner (eds.): Enlightenment and Catholicism in Europe. A Transnational History, Notre Dame, IN: University of Notre Dame Press 2014, X + 482 S., ISBN 978-0-268-02240-2, USD 46,00
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Seit etlichen Jahren hat die Forschung zum 18. Jahrhundert und zur Aufklärung nach Jahrzehnten der Ausblendung einen intensiveren Blick auf die katholischen Länder Europas und die katholische Theologie geworfen. Debattiert wurde und wird dabei, ob überhaupt und inwieweit von einer "katholischen Aufklärung" (Catholic Enlightenment; l'Aufklärung catholique) die Rede sein kann. Mitunter wurde dabei - von bestimmten normativen Vorannahmen zum "Wesen" der Aufklärung ausgehend - die Existenz einer katholischen Aufklärung als gleichsam a priori unmöglich negiert. Andere Forscher, darunter zugegebenermaßen der Rezensent, haben sich gegen solche exkludierende Tendenzen ausgesprochen und auf vielfältige Verbindungen zwischen Reformbestrebungen in Kirche, Theologie und katholischen Staaten und der allgemeinen Aufklärung und die Verankerung katholischer Akteure in den aufklärerischen Netzwerken verwiesen. Andere Studien plädieren dafür, ganz allgemein von einer "religiösen Aufklärung" oder bestenfalls von einer "christlichen Aufklärung" zu sprechen. [1]
In diesen Kontext reiht sich der zu besprechende Band - anders als der neutrale Titel es zunächst vermuten lässt - mit einer klaren Position ein, die Mitherausgeber Jeffrey D. Burson in einer ausführlichen, nuancierten Einleitung deutlich benennt und überzeugend begründet. Burson und Lehner vertreten wie die übrigen Beiträgerinnen und Beiträger das Konzept einer vielgestaltigen, uneinheitlichen katholischen Aufklärung innerhalb einer ebenfalls vielfältigen Aufklärung und lehnen dementsprechend normative Konzepte von Aufklärung ab. In Auseinandersetzung mit David Sorkin und Helena Rosenblatt plädiert Burson mit guten Gründen auch dafür, über der durchaus sinnvollen und gewinnbringenden Suche nach übergreifenden Affinitäten und Gemeinsamkeiten innerhalb einer "religiösen" oder "christlichen" Aufklärung nicht die Kontexte und Traditionszusammenhänge zu übersehen, aus denen heraus die Bestrebungen der Akteure im katholischen Raum ein spezifisches katholisches Profil erhielten.
Der Band bietet neben dieser Einleitung weitere 18 Beiträge, die einen weiten internationalen Forschungshorizont und in Verbindung damit auch einen weiten geografischen Horizont eröffnen. Tatsächlich ist Europa von Irland und der britischen Insel bis hin nach Polen, von Deutschland bis nach Italien und der iberischen Halbinsel im Blick. Das macht ein internationales Autorenteam möglich, zu dem mit Ulrich L. Lehner und Thomas Wallnig auch zwei deutsche Forscher gehören. Gerichtet ist der Band an Aufklärungsforscher unterschiedlicher Disziplinen einerseits und an Studierende und Nachwuchswissenschaftler andererseits, die sich einen Einblick in das Feld transnationaler vergleichender Forschungen zur katholischen Aufklärung verschaffen wollen. Das Zielpublikum ist dabei insbesondere im angelsächsischen Raum lokalisiert, dem durch englischsprachige Beiträge ein Zugang zum Thema verschafft werden soll, vermutlich weil die Herausgeber annehmen, dass die fehlenden Kenntnisse von Fremdsprachen dies sonst verhindern. Dem diente vor wenigen Jahren auch der "Companion to the Catholic Enlightenment" [2], an dem nicht nur die beiden Herausgeber, sondern auch andere Autoren des vorliegenden Bandes beteiligt waren. Im Unterschied zu diesem "Companion" erfolgt die Erschließung hier allerdings nicht durch systematische Länderartikel, sondern durch biografische Beiträge, die dann jedoch überwiegend wieder nach den Herkunftsländern der Akteure geordnet werden. Nur ein kurzer Teil (part 7, 353-387) ist ausdrücklich "transnational trajectories" gewidmet. Das kontrastiert zunächst etwas zum Anspruch, eine transnationale Geschichte zu schreiben. Gegenüber diesem ersten Eindruck präsentieren sich die einzelnen Artikel dann doch - wenn auch in unterschiedlichem Umfang - sensibel für die nationale Grenzen überschreitenden Aspekte, d.h. für die Ländergrenzen ignorierende mediale Kommunikation und für den direkten Erfahrungsaustausch der Akteure. Der biografische Ansatz ist anschaulich und leicht eingängig, doch ist seine Grenze nicht weniger deutlich - und den Herausgebern auch völlig bewusst -, denn eine irgendwie geartete thematische Fokussierung ist so kaum zu gewinnen. Die Auswahl der behandelten Personen ist nicht näher begründet. Zweifellos lässt sich bedauern, dass der Band lediglich einen einzigen Beitrag zu einer katholischen Aufklärerin bietet, Massimo Mazzotti zu Maria Gaetana Agnesi, was auf ein gravierendes und von Burson auch benanntes Forschungsdefizit hinweist. Irritierend mag es auf den ersten Blick erscheinen, die Namen Joseph de Maistre und Félicité de Lamennais in diesem Reigen katholischer Aufklärer zu lesen. Gerade diese beiden von Carolina Armenteros verfassten Artikel verdeutlichen aber prägnant, dass die katholische Aufklärung selbst dort wirksam sein konnte, wo man sie nicht erwarten würde, in der Gegenaufklärung und Gegenrevolution. Armenteros gelingt es zu zeigen, wie Lamennais' und de Maistres Werke Elemente der katholischen Aufklärung aufnahmen, wobei de Maistres von Origines gespeiste theologische Argumentation sogar plausibel als eigenständige Form katholisch-aufklärerischen Denkens beschrieben wird.
Akzeptiert man den gewählten biografischen Zugang mit der genannten Grenze, dann bietet der Band tatsächlich den versprochenen Einblick in die aktuellen Forschungen zur bunten Vielfalt katholischer Aufklärung in Europa, wozu auch die allen Beiträgen hinzugefügten, zum Teil ausführlichen Literaturverzeichnisse beisteuern, in denen die deutschsprachige Forschung jedoch ebenso wie in Bursons Einleitung etwas untergewichtet erscheint. In Verbindung mit dem genannten "Companion" verfügt das Lesepublikum nun nicht nur im angelsächsischen Raum über gediegene Überblicke, die hoffentlich weitere Spezialforschungen anstoßen werden.
Anmerkungen:
[1] Vgl. zur Forschungsgeschichte Bernhard Schneider: Katholische Aufklärung. Werden und Wert eines Forschungsbegriffs, in: Revue d'histoire ecclésiastique 93 (1998), 354-397; Ulrich L. Lehner: Introduction: The Many Faces of the Catholic Enlightenment, in: Ders. / Michael Printy (eds.): A Companion to the Catholic Enlightenment in Europe, Leiden / Boston 2010, 1-61.
[2] Ulrich L. Lehner / Michael Printy (eds.): A Companion to the Catholic Enlightenment in Europe (= Brill's Companions to the Christian Tradition; Vol. 20), Leiden / Boston 2010.
Bernhard Schneider