Vadim Oswalt / Jens Aspelmeier / Suzelle Boguth: Ich dachte, jetzt brennt gleich die Luft. Transnationale historische Projektarbeit zwischen interkultureller Begegnung und Web 2.0 (= Forum Historisches Lernen), Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2014, 222 S., ISBN 978-3-89974887-1, EUR 32,80
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Die transnationale historische Projektarbeit ist ein in den letzten Jahren gefördertes und schnell gewachsenes Lernfeld, dessen didaktisch-methodische Erschließung jedoch noch hinterherhinkt. Zum einen werden historische Lernkulturen immer noch in nationalen Bezügen gedacht. Zum anderen stellt der hohe Grad an Interdisziplinarität neue Anforderungen, die sich aus der Verschränkung von transnationaler Begegnung, historischer Projektarbeit und politischen Bildungsabsichten ergeben. Von Seiten der Geschichtsdidaktik gab es bislang keine Auseinandersetzung mit dieser Thematik.
Mit diesem Handbuch liegt nun die erste systematische und zugleich empirisch ausgerichtete Erkundung der vornehmlich auf die Zeitgeschichte bezogenen transnationalen Projektarbeit vor. Die konzeptionellen Überlegungen, die die Autoren für die Planung, Beantragung, Durchführung und Reflexion grenzüberschreitender Vorhaben entwickeln, knüpfen an theoretische Vorannahmen zur historischen Projektarbeit, zum Lernen mit digitalen Medien und zur interkulturellen Begegnung an. Indem sie sich dabei auf wesentliche theoretische Aspekte konzentrieren, bleibt genügend Raum für einen Vergleich der anspruchsvollen normativen Erwartungen mit der Projektpraxis und damit für eine erfahrungsgestützte Vorgehensweise, durch die didaktisch-methodische Empfehlungen für die Gestaltung einer besonderen Lernsituation gewonnen werden.
Die empirischen Stichproben beziehen sich auf sechs ausgewählte Projekte der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", die unter dem Leitgedanken "Europeans for Peace" durchgeführt wurden. Die prozessorientierte Analyse beruht auf themenzentrierten Einzel- und Gruppeninterviews mit Projektleitern und Schülern aus Bulgarien, Israel, Deutschland und Polen. Dazu kommen eine Fragebogenuntersuchung und die Auswertung der Projektpräsentationen auf Homepages und in Berichten. Der Lesbarkeit und dem Handbuchcharakter kommt zugute, dass nicht einzelne Projekte in ihrem Verlauf dokumentiert werden, sondern nur die für die jeweiligen didaktisch-methodischen Handlungsfelder signifikanten Untersuchungsergebnisse angeführt werden.
Im ersten Kapitel befasst sich der Gießener Geschichtsdidaktiker Vadim Oswalt mit Konzepten historischen Lernens. Herausgestellt werden zunächst die geschichtsdidaktischen Theorien zur historischen Sinnbildung und zum Geschichtsbewusstsein, deren Erklärungsansätze auf die Standpunktgebundenheit und identitäre Bedeutung der Auseinandersetzung mit Vergangenheit führen. Anhand der empirischen Daten wird belegt, dass im Vergleich zum "normalen" Geschichtsunterricht persönliche Konzepte von Geschichte und stereotype Denkweisen durch den transnationalen Austausch offensichtlich stärker in Frage gestellt werden. Der qualitative Unterschied der Lernsituationen wird für den Gegenwartsbezug von Geschichte explizit gemacht. Während dieser im Unterricht erfahrungsgemäß durch Quellenarrangements und andere Impulse erst angestoßen werden muss, verhandeln Schülerinnen und Schüler in transnationalen Geschichtsprojekten die jeweiligen Gegenwartsbezüge spontan und selbstverständlich. Weil dies offensichtlich eher im privaten Austausch der Jugendlichen und nicht auf offizieller Ebene passiert, plädiert Oswalt dafür, der informellen Ebene mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Neben den verändernden Einflüssen auf das Geschichtsbewusstsein ist das historische Methodenwissen ein weiterer aufschlussreicher Punkt der Analyse. Mit Blick auf die vielen Zeitzeugenbegegnungen in transnationalen Geschichtsprojekten, die zu selten eine Kontextualisierung und Überprüfung des Erzählten berücksichtigen, wird der Abstand zu den fachlich-inhaltlichen Verfahren eindrücklich markiert. Diese verlangen bekanntlich eine triftige und nachvollziehbare Beantwortung historischer Fragen durch eine multiperspektivische und methodisch kontrollierte Erschließung von Quellen und Darstellungen. Gleiches wird für den Umgang mit historischen Bildern konstatiert, die ohne interpretative Verfahren in ihrer Bedeutung kaum zu erschließen sind. Dass sie dennoch im Vergleich zu Textquellen transnational für leicht einsetzbar gelten, führt Vadim Oswalt auf ihren vorrangig illustrativen Einsatz zurück.
Das zweite, von Vadim Oswalt und Suzelle Boguth verfasste Kapitel wendet sich den digitalen Medien zu, da diese die Kommunikation über Grenzen hinweg entscheidend erleichtern. Auch hier zeigt sich, dass die Hemmnisse weniger in einem Gefälle der Ausstattung zu suchen sind und der Nachholbedarf eher in den fachspezifischen Anwendungen von Web-2.0-Angeboten besteht. Das beginnt bereits bei der unzureichenden Konzeptualisierung durch die Projektleiter, die mit dem Einsatz digitaler Medien zuerst das Moment der Motivation betonen und das Internet als "tool par excellence" für die Beschaffung von Informationen wertschätzen. Die Einschränkungen, die dabei geltend gemacht werden, schließen an allgemeine mediendidaktische Konzepte an. Mit Vadim Oswalt und Suzelle Boguth wird so zwar die Verlässlichkeit von Informationen bewertet, aber sie beanstanden an dieser Stelle zu Recht, dass keine fachlichen Kriterien bereitstehen. Dies sehen sie exemplarisch gespiegelt in der Unbeholfenheit der Jugendlichen, die Qualität von im Internet recherchierten Quellen einzuschätzen. Ein anderes Beispiel wird mit den Webpräsentationen der Projektergebnisse angebracht, die - besonders bei den intensiv betriebenen biografischen Zugängen durch Zeitzeugengespräche - in eine Menge von Einzelbeiträgen zerfallen, sodass ihre historischen Zusammenhänge und multiperspektivischen Bezüge nicht mehr erkennbar sind.
Das dritte Kapitel, das Jens Aspelmeier verantwortet, nimmt schließlich organisatorische und kommunikative Aspekte auf, indem es die unterschiedlichen nationalen Schulstrukturen und Lernkulturen problematisiert und den Aspekt der Mehrsprachigkeit herausstellt. Hier wird den normativen Erwartungen, dass sich die Projektteilnehmer in der Drittsprache Englisch verständigen, die Kommunikationssituation in den Projekten gegenübergestellt. Sie wird durch das Switchen in den Sprachen und durch Asymmetrien gekennzeichnet, die durch unterschiedlich ausgeprägte Englischkenntnisse bedingt sind.
Insgesamt plädieren Vadim Oswalt, Jens Aspelmeier und Suzelle Boguth für realistische Erwartungen an transnationale Geschichtsprojekte. Vor allem aber leisten sie mit ihrem Handbuch einen konstruktiven Beitrag zu ihrer Forderung, dieses neue Lernfeld auf geschichtsdidaktische Ansätze zu beziehen. Obwohl die Berechtigung der bislang stärker rezipierten interkulturellen Pädagogik und neuer kreativer Ausdrucksformen für bestimmte Projektphasen nicht bestritten wird, führt das Buch deutlich vor Augen, dass diese Zugänge nur bedingt für den geschichtsbezogenen transnationalen Austausch weiterhelfen.
Anke John