Robert Born / Andreas Puth (Hgg.): Osmanischer Orient und Ostmitteleuropa. Perzeptionen und Interaktionen in den Grenzzonen zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa; Bd. 48), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014, 336 S., ISBN 978-3-515-10848-5, EUR 52,00
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Die Forschung zum frühneuzeitlichen Europa erlebt seit der Jahrtausendwende einen Umbruch, der dem Osmanischen Reich zunehmend eine Rolle nicht mehr nur als Gegner, sondern auch als politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Partner zugesteht. Diese Perspektive hat prägende Impulse aus der Mittelmeerforschung erhalten [1], kann in der deutschen Wissenschaft aber ebenso auf die lange Tradition der Südosteuropaforschung zurückblicken. [2] Und nicht zuletzt auch die Osmanistik weist verstärkt auf transregionale Verflechtungen hin. [3] Die Projektgruppe "Osmanischer Orient und Ostmitteleuropa. Vergleichende Studien zu Perzeptionen und Interaktionen in den Grenzzonen" (2006-2013) am Geisteswissenschaftlichen Zentrum für Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas der Universität Leipzig hat zu diesem Transformationsprozess einen wichtigen Beitrag geleistet.
Der vorliegende Band ist einer von insgesamt neun Sammelbänden, die aus den verschiedenen Tagungen dieser Projektgruppe hervorgegangen sind. Er basiert auf der ersten internationalen Konferenz, welche im Oktober 2007 in Zusammenarbeit mit Stephan Conermann an der Universität Bonn veranstaltet wurde, und dient quasi als programmatische Einführung für die weiteren Veröffentlichungen der Gruppe, die größtenteils bereits erschienen sind und in der einige der in diesem Band aufgegriffenen Themen weiter vertieft werden.
In der Einleitung (7-20) stellen die Herausgeber gemeinsam mit Evelin Wetter dementsprechend zunächst das Projekt selbst vor und umreißen somit gleichzeitig den thematischen Rahmen der Sammlung. Die Autoren konstatieren, dass Ostmitteleuropa als "Großregion, für die die Konfrontation mit der osmanischen Expansion seit dem 15. Jahrhundert ein geradezu konstitutives Strukturmerkmal war" (9), in der Forschung zum Verhältnis zwischen christlichem Europa und Osmanischem Reich bisher zu wenig Berücksichtigung gefunden habe. Um diese Lücke zu füllen, wurde konkret nach "charakteristische[n] Prozesse[n] und Phänomene[n]" (10) der Interaktion mit dem "Osmanischen Orient" (10) bzw. dessen Wahrnehmung gefragt. Ein besonderer Schwerpunkt sollte hierbei auf kulturelle Aneignungsprozesse gelegt werden, "die gerade für die ostmitteleuropäische Osmanen-Erfahrung ein wesentliches Charakteristikum bilden" (10).
Die in dem hier anzuzeigenden Band zusammengestellten Aufsätze decken diesem Anspruch gemäß ein breites Spektrum an Themen und methodischen Ansätzen ab, die von der zu erwartenden Fülle an Texten über Eigen- und Fremdwahrnehmung sowie Identitätskonstruktionen (Éva Sz. Simon, 33-46; Detlef Haberland, 47-60; Radu G. Păun, 75-106; Brigitta Pesti, 107-130; Alberto Saviello, 131-156; Klaus Schneiderheinze, 185-206; Claire Norton, 281-300, ein ganz besonderes Glanzstück der Sammlung), über Reisen ins Osmanische Reich (Alicja Borys, 61-72), Wirtschaftsbeziehungen (Mária Pakucs-Wilcocks, 207-228), osmanische Außenpolitik (János J. Varga, 23-32), diplomatisches Zeremoniell (Tetiana Grygorieva, 229-252), Beobachtungen zum sogenannten millet-System (Sándor Papp, 301-320), Übersetzer für Osmanisch (Gábor Kármán, 253-277) und der Bildsprache von Grabmalen (Antje Kempe, 157-184) bis hin zu konfessionellen Auseinandersetzungen unter ungarischen Christen (Béla Vilmos Mihalik, 321-336) reichen. Überraschend ist ob dieser Themenvielfalt und den in der Einleitung genannten Schwerpunkten allerdings, dass sich nicht ein einziger Aufsatz eingehender mit der Problematik der religiösen Konversion zwischen Christentum und Islam beschäftigt.
Das reiche Tableau ist in drei thematische Sektionen gruppiert, die jedoch nicht in allen Fällen stimmig sind. So ist etwa die Einordnung von Pakucs-Wilcocks' minutiös recherchiertem Aufsatz über den Orienthandel durch Siebenbürgen in die Sektion "Imaginationen und Integrationen des Fremden" nicht schlüssig, umso mehr als der Untertitel dieser Sektion auf "Prozesse rhetorischer und visueller Bewältigung, Interaktion und Aneignung" verweist. Denn Pakucs-Wilcocks geht es im Kern um die Nachzeichnung von Warenströmen und nicht um den Konsum osmanischer Güter und deren Rolle im kulturellen Leben Transsilvaniens.
Es ist sicherlich der Stellung geschuldet, die dieser Band innerhalb der Veröffentlichungsstrategie der Leipziger Projektgruppe einnimmt, dass die Herausgeber vom Versuch einer Synthese der Beiträge Abstand genommen haben. Die im Lichte der Forschung der vergangenen Jahre etwas lapidar anmutende Schlussfolgerung, die Grenze zwischen dem christlichen Europa und dem Osmanischen Reich sei "eine Grenze wie jede andere" gewesen (18-19) [4], ist eher als Aufforderung an die Forschung zu sehen, althergebrachte Vorstellungen von unbedingten Antagonismen über Bord zu werfen (vgl. auch 8-9). Als Folge stehen die Aufsätze lose nebeneinander, was insbesondere bei der Fülle der Beiträge zum Kernthemenkomplex der Perzeption ins Auge sticht, denn hier gibt es einige Parallelen und inhaltliche Bezüge, deren deutliche Herausarbeitung wünschenswert gewesen wäre.
Die unzweifelhafte Stärke des Sammelbandes ist es, insbesondere Polen, Ungarn und Siebenbürgen in den Mittelpunkt von Untersuchungen zum Verhältnis zwischen Osmanischem Reich und christlichem Europa zu rücken. Hier gibt es unweigerlich Ähnlichkeiten zu den Diagnosen, die bereits aus anderen geografischen Kontexten bekannt sind, aber auch Hinweise auf gewisse Eigenheiten, von denen beispielhaft auf die Möglichkeit eines spezifisch ungarischen Zugangs zum osmanischen "Anderen" auf Grundlage des eigenen Herkunftsmythos (Saviello) und die Bedeutung "orientalischer" Kleidungsstücke und Waffen bei der Selbstrepräsentation des polnischen Adels (Schneiderheinze) hingewiesen sei.
Robert Born und Andreas Puth haben einen interessanten Sammelband vorgelegt, der nicht nur die Beachtung von Spezialisten der ostmitteleuropäischen und osmanischen Geschichte, sondern der europäischen Geschichte im Allgemeinen verdient. Dies gilt auch deshalb, weil die Aufsätze von Alicja Borys, Claire Norton und Radu G. Păun das Erkenntnispotenzial von Quellengattungen demonstrieren, die im Mainstream historischer Forschung bisher kaum Beachtung gefunden haben. Noch wichtiger aber ist, dass sich die Geschichte Europas in der Frühen Neuzeit nicht länger sinnvoll ohne das Osmanische Reich als Akteur schreiben lässt, der mehr war als bloßer "Erbfeind" und passiver Gegenpart zur christlich-europäischen Selbstdefinition. Mit Blick auf Europas Verhältnis zu diesem Vielvölkerreich und dessen Nachfolgerin Türkei ist die Beschäftigung mit Ostmitteleuropa eine notwendige Ergänzung zu einer Forschungsliteratur, die gerade in der lingua franca der Wissenschaft von Arbeiten zu Kontakt und Austausch im Mittelmeerraum dominiert wird.
Anmerkungen:
[1] Für einen, leider mittlerweile nicht mehr ganz aktuellen, Überblick über die maßgebliche Literatur, siehe Eric R. Dursteler: On Bazaars and Battlefields. Recent Scholarship on Mediterranean Cultural Contacts, in: Journal of Early Modern History 15 (2011), 413-434.
[2] Vgl. den Literaturüberblick in der Einleitung zu Andreas Helmedach / Markus Koller / Konrad Petrovszky / Stefan Rohdewald (Hgg.): Das osmanische Europa. Methoden und Perspektiven der Frühneuzeitforschung zu Südosteuropa, Leipzig 2014.
[3] Beispielhaft: Suraiya Faroqhi: The Ottoman Empire and the World around It, London 2006.
[4] Die Autoren der Einleitung zitieren Gilles Veinstein: The Islamic-Christian Border in Europe, in: Europe and the Islamic World: A History, ed. by. John Tolan / Henry Laurens / Gilles Veinstein, Princeton 2013, 109-253, hier 187.
Tobias Graf