Philip Murphy: Monarchy and the End of Empire. The House of Windsor, the British Government, and the Postwar Commonwealth, Oxford: Oxford University Press 2013, XIV + 240 S., ISBN 978-0-19-921423-5, GBP 45,00
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Schon das Vorwort macht den Autor sympathisch: "I decided not to include material from the Royal Archives in this book. Scholars are not able to see material relating to the current reign. They are also required to submit for approval work that cites material from the Archive, something I was not prepared to do." (XIII)
Philip Murphy bringt damit auf den Punkt, was viele Historiker erleiden, die sich ernsthaft mit Monarchiegeschichte des 20. Jahrhunderts beschäftigen wollen. Die restriktive Zugangspolitik der Royal Archives Windsor, die er hier beklagt, betrifft alle königlichen Archive in Europa. Selbst in Bayern, wo die Monarchie vor fast hundert Jahren abgeschafft wurde, ist das Haus Wittelsbach nicht einmal bereit, die Tagebücher Ludwigs I. (1786-1868) zugänglich zu machen. [1]
Was die royalen Häuser hier treiben, erinnert an die Spielsituation des Gefangendilemmas. Alle königlichen Archivare sind Gefangene ihres internationalen Materials. Sie arbeiten miteinander, damit sie die Kontrolle über die eigenen und die Briefe der internationalen Briefpartner behalten können. Nur so kann verhindert werden, dass politisch Brisantes an die Öffentlichkeit gelangt. Wir werden also nicht die Briefe einsehen können, die Mitglieder der deutschen, schwedischen oder spanischen Königsfamilien in den 1930er-Jahren an ihre englischen Verwandten schrieben (sie wären in den Royal Archives), und umgekehrt werden wir nie die englische Korrespondenz in deutschen, schwedischen oder spanischen Archiven einsehen dürfen. [2] Würde ein Spieler (d.h. ein königliches Archiv) seinen Giftschrank öffnen, könnte er zwar Transparenz und gute Öffentlichkeitsarbeit demonstrieren, hätte damit aber die anderen Spieler verraten. Keiner der königlichen Spieler ist zu diesem Schritt bereit. Zwar hat uns der Kampf des Guardian um die Herausgabe der Briefe von Prinz Charles einen kleinen Schritt nach vorne gebracht, aber an der Archivsituation wird sich weiterhin nichts ändern. Der Grund ist einfach: Historiker können sich nicht so teure Anwälte leisten wie der Guardian.
Auch Philip Murphy hat keinen Anwalt eingeschaltet, sondern versucht, das Beste aus einer schlechten Situation zu machen. Er ist viele Umwege gegangen, um die Rolle der britischen Monarchie im Nachkriegs-Commonwealth aus anderen Quellen zu entschlüsseln. Sein Interesse an dem Thema wurde durch eine Entdeckung geweckt. Murphy stellte bei einem Editionsprojekt fest, dass die britische Regierung seit 1962 versuchte, afrikanische Kolonien, die in die Unabhängigkeit entlassen wurden, davon abzuhalten, die Königin als ihr Staatsoberhaupt zu behalten (13). Die - inoffizielle - Losung lautete stattdessen, alles zu versuchen, um republikanische Strömungen zu unterstützen. In der Sekundärliteratur fand Murphy für dieses Verhalten keine Erklärung. Mit diesem Rätsel verbindet er nun die allgemeine Frage, wie Großbritannien mit seinen ehemaligen Kolonien umging. Tatsächlich ist es eine völlig andere Strategie, als z.B. Frankreich sie bis heute für seine alten Kolonien verwendet. Obwohl öffentlich in Großbritannien immer wieder die besondere Beziehung der Royal Family zum gesamten Nachkriegs-Commonwealth beschworen wurde, waren politische Entscheidungsträger privatim lange Zeit der Meinung, dass nur Menschen "of British stock" (d.h. weiße Australier, Kanadier etc.) echte Loyalitäten mit Großbritannien verbinden könnten. Ein weiterer Grund, warum sie versuchten, die Krone von ehemaligen afrikanischen Kolonien fernzuhalten, war die Befürchtung, die Queen in "peinliche Situationen" zu bringen (es ist ja auch sicher kein Vergnügen, mit Mugabe fotografiert zu werden). Man wollte so ihre symbolische "Reinheit" erhalten und damit alles vermeiden, was das nationale Prestige schädigen könnte.
Doch die Queen hatte eine andere Vorstellung als ihre Minister, wenn es um das Commonwealth ging. Murphys Buch zeigt detailliert, dass es aus diesem Grund immer wieder zu Spannungen zwischen dem Palast und Whitehall kam. Während die meisten Politiker und hochrangige Beamte nur noch geringen Enthusiasmus für das Commonwealth aufbringen konnten, ist der Enthusiasmus der Queen bis heute nicht zu bremsen. Sie denkt hierbei auch historisch. Wir wissen, dass seit Queen Victoria die britische Monarchie das Empire gekonnt benutzte, um sich selbst zu inszenieren. Es gab ihr Relevanz in Zeiten, in denen sie relevanzlos zu werden begann. Als das Empire zerbrach, entwickelte man ein neues royales Narrativ. Aber dieses Narrativ wurde, wie Murphy zeigt, so stark, dass es Elisabeth II. eine Einflusssphäre gab, in der sie gelegentlich selbstständig agieren konnte: "Commonwealth affairs have become an area in which the Palace expects a certain freedom of action without ministerial direction." (192) Das konnte den Ministern kaum gefallen, und die Auseinandersetzungen mit Margaret Thatcher hierüber wurden sogar teilweise publik (und natürlich sofort von allen Seiten dementiert).
Murphy demonstriert uns, dass das Überleben der Monarchie im Commonwealth eine historische Anomalie ist, und er zeigt uns nebenbei auch einen bisher unbekannten Aspekt des britischen Dekolonisationsprozess. Sein Buch macht auch klar, wie wenig wir tatsächlich über den verdeckten Einfluss der Monarchie bis heute wissen. Wir lassen uns immer noch von gekonnten Inszenierungen wie Hochzeiten, Taufen etc. ablenken und stellen daher nicht die wichtigen Fragen. Doch selbst wenn wir versuchen, sie zu stellen, wie der Guardian es jüngst getan hat, werden wir bei unseren Nachforschungen behindert. Murphys Buch ist daher richtungsweisend für Historiker und engagierte Journalisten. Es ist ausgezeichnet recherchiert und ermöglicht uns einen wichtigen Blick hinter die Kulissen von Whitehall und Buckingham Palace.
Wenn die Queen den Kampf um ihre Rolle im Commonwealth nicht gewonnen hätte, so Murphy, wäre dieses Konstrukt schon vor Jahrzehnten eingeschlafen. Kein Brite unter 50 interessiert sich heute ernsthaft für Folkloreveranstaltungen und die drögen Commonwealthspiele. Wenn die Presse darüber berichtet, dann immer in Zusammenhang mit Elisabeth II. Das zeigte sich 2012 während ihrer goldenen Regierungsfeier, aber auch bei jedem Afrika-, Australien-und Neuseelandbesuch ihrer fotogenen Enkel. Murphy nennt daher die Monarchie völlig zu Recht the "Life support machine for a dying organization" (195). Dass man eines Tages die Geräte abschalten könnte, ist jedoch gar nicht so unwahrscheinlich. Beim Tod der Queen wird Prinz Charles sich um die Position eines Head of the Commonwealth bewerben müssen. [3]
Bewerbungsgespräche können bekanntermaßen auch schlecht ausgehen.
Anmerkungen:
[1] "Es gibt keinen vernünftigen Grund, diese Quelle weiter zu verschließen." Paul Hoser, zitiert in: Dirk Walter: Die geheimen Tagebücher des Königs, Münchner Merkur Nr. 204, Freitag, 5. September 2014, 10.
[2] Nur für deutsch-britische Quellenbestände bis 1918 in den Royal Archives gibt es jetzt den Band von Franz Bosbach / John Davis / Karina Urbach (eds.): Common Heritage. Documents and Sources relating to German-British Relations in the Archives and Collections of Windsor and Coburg, Berlin 2015.
[3] "Queen Elizabeth's heir will not automatically become Head of the Commonwealth. It will be up to Commonwealth Heads of Government to decide what they want to do about this symbolic role." (192)
Karina Urbach