Ferdinand Opll / Martin Scheutz: Der Schlierbach-Plan des Job Hartmann von Enenkel. Ein Plan der Stadt Wien aus dem frühen 17. Jahrhundert (= Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 13), Wien: Böhlau 2014, 232 S., 2 herausnehmbare Faltkarten, ISBN 978-3-205-79504-9, EUR 39,00
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Sarah Pichlkastner: Das Wiener Stadtzeichnerbuch 1678-1685. Ein Bettlerverzeichnis aus einer frühneuzeitlichen Stadt (= Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 12), Wien: Böhlau 2014, 415 S., einige Abb., ISBN 978-3-205-79521-6, EUR 79,80
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Im vergangenen Jahr sind zwei Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung im Böhlau-Verlag erschienen. Ferdinand Opll und Martin Scheutz stellen mit ihrer Edition den Schlierbach-Plan des Job Hartmann von Enenkel aus den 1620er Jahren vor. Der Plan - benannt nach dem Auffindungsort Stift Schlierbach - stützt sich weitgehend auf die älteren Angielini-Pläne. Obwohl der Schlierbach-Plan damit eine Lücke zwischen den 1560er Jahren und den Stadtplänen aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts schließt, wurde er von der Forschung bislang vernachlässigt. Die zweite Edition rückt ebenfalls eine bislang vernachlässigte Quelle in den Vordergrund; denn Sarah Pichlkastner legt mit ihrer im Druck erschienen Masterarbeit die Edition eines Wiener Bettlerverzeichnisses vor. Sie geht dabei auf 16 Visitationen ein, die in den Stadtzeichnerbüchern von 1654 bis 1684 verzeichnet sind. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten damit beide Editionen die Stadt Wien im 17. Jahrhundert.
Die Veröffentlichung zum Schlierbach-Plan gliedert sich in drei Teile. Zunächst wird der Plan datiert, die Verfasserfrage geklärt und im Folgenden dann das Leben des Job Hartmann von Enenkel skizziert, den Opll und Scheutz als typischen Vertreter des protestantischen Adels in Österreich vorstellen (14). Der eigentlichen Edition stellen die Autoren eine kurze kartographische Einordnung voran, in der der Plan als eine "translinguale Quelle" (23) verortet wird. Mit Blick auf die Editionsgrundsätze betonen Opll und Scheutz, dass der Maßstab des edierten Dokuments ebenso beizubehalten sei wie die Ausrichtung; gegebenenfalls ließe sich für den Leser ein Orientierungspfeil einfügen, um den praktischen Nutzen zu erhöhen. Abschließend wird das Spannungsverhältnis zwischen Ständen und Landesherrn im frühen 17. Jahrhundert thematisiert, bevor Opll und Scheutz die akribische Verzeichnung der Hofquartiere und Freihäuser auswerten. Dem vorliegenden Plan werden konsequent vergleichbare kartographische Darstellungen gegenübergestellt, um den Schlierbach-Plan zeitlich einordnen zu können, aber auch, um Aussagen über den Zweck des Plans treffen zu können.
Diesem Anspruch kommen die Autoren in vorbildlicher Art und Weise nach, wenn sie nach der sorgfältigen topographischen Beschreibung des Plans schließlich die inneren Merkmale auswerten. Als spannend erweisen sich dabei auf der einen Seite detailreiche Aufrisse von einzelnen Gebäuden. So zeigt der Schlierbach-Plan ein seltenes Bild der Schottenkirche ("Unser Frau zun Schotten"), nämlich die Ansicht vor ihrem Umbau ab dem Jahr 1638. Ein Vergleich mit dem jeweiligen Ausschnitt aus dem Angielini-Plan ermöglicht dem Leser direkte bildliche Vergleiche auf einer Doppelseite (74f.). Weitere Hinweise auf die Datierung des Plans liefert die Darstellung des Laurenzerklosters am Fleischmarkt, das 1627 bei einem Brand schwer beschädigt wurde (138). Auf der anderen Seite enthält der Schlierbach-Plan 122 Bezeichnungen einzelner Gebäude (öffentliche Gebäude wie die Schranne, das Kanzleibad, die Spanische Botschaft, ein Stadthaus mit Fleischbank, das Waaghaus etc.), worunter sich ausgesprochen viele adelige Freihäuser befinden. Anhand eines Vergleichs der Wiener Hofquartiere zwischen 1566 und 1664 (Tabelle 7) können Opll und Scheutz zeigen, dass der Adel ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts 50 Adelspalais errichtete bzw. kaufte. Damit kehrten sich die Besitzverhältnisse in Wien geradezu um. Waren 1566 noch 73,7 % der Häuser in bürgerlichem Besitz, so waren es 1664 nur noch 56 %, wobei der Anteil des Adels kontinuierlich zunahm und das Bürgertum verdrängte (175). Dieses Phänomen ist natürlich in vielen Residenzstädten zu beobachten. Ein Vergleich zeigt, dass es im 17. Jahrhundert beispielsweise in Innsbruck 20 und in Graz 56 adelige Freihäuser gab. Allerdings hatte dieser "Boom" (176) negative Auswirkungen auf die städtischen Steuereinnahmen.
Der Schlierbach-Plan scheint daher im Zusammenhang mit der Prüfung des Wiener Freihäuserbestands entstanden zu sein, um einen Vergleich zwischen den alten Freihäusern des 16. Jahrhunderts mit dem Ist-Zustand um 1620 zu ermöglichen. Von praktischem Nutzen sind zwei Faltkarten, die eine moderne Neuzeichnung des Schlierbach-Plans sowie zwei verkleinerte Reproduktionen des Angielini- und des Schlierbach-Plans enthalten.
Sarah Pichlkastners Edition ergänzt die Informationen, die der Schlierbach-Plan für das Wien des frühen 17. Jahrhunderts beispielsweise zur Ausdehnung und Umgestaltung von Stadt und Vorstädten bereitstellt. Trotz der nicht zu unterschätzenden Bedeutung, die Bettelverzeichnisse für Fragen der (städtischen) Sozial- und Alltagsgeschichte, aber auch für Medizingeschichte und Mobilitätsforschungen haben, fehlte bis jetzt eine moderne Edition von Wiener Bettelregistern (Bestand "Bürgerspital" des Wiener Stadt- und Landesarchivs). Pichelsteiner legt eine Edition des Wiener Stadtzeichnerbuchs für den Zeitraum von 1678 bis 1685 vor. Sie macht damit eine Quelle zugänglich, die für Wissenschaftler verschiedenster Fachrichtungen aufschlussreich ist.
Spätestens seit den 1560er Jahren war das Betteln mit sogenannten Bettelzeichen - ab den 1570er sprach man von Stadtzeichen - in Wien (wieder) erlaubt (20). Anzunehmen ist, dass es sich um Abnäher handelte, die sichtbar an der Kleidung getragen werden mussten. Die Bettlerinnen und Bettler wurden vom Bürgerspital kontrolliert, was sich insgesamt "in das Schema katholischer Städte bzw. Territorien [einfügt], in denen tendenziell Betteln in eingeschränkter Form eher erlaubt war als in protestantischen Gebieten" (20f.). Die Ausgabe von Bettelzeichen macht Pichlkastner dabei nur als eine von mehreren Methoden der Armenfürsorge aus, die solange Bestand hatten, bis Kaiser Leopold I. schließlich die Weichen für die Wiener Armenfürsorge neu stellte (23), ein umfassendes Bettelverbot erließ und stattdessen ein Großarmenhaus initiierte.
Pichlkastner gibt Einblicke in die Vergabe der Stadtzeichen und die Befehlshierarchie, die Visitationen in Auftrag gab (Tabelle 1: Verzeichnis der in den Stadtzeichnerbüchern eingetragenen Visitationen, 1654-1684). Pro Visitation wurde jeweils die Anzahl der würdigen bzw. unwürdigen Bewerberinnen und Bewerber für das Stadtzeichen in den Registern vermerkt. Die Zahl derjenigen, denen offiziell erlaubt wurde zu betteln, blieb in den 1650er Jahren zunächst stabil bei etwa 500 Personen. Ab Mitte der 1670er Jahre stieg die Zahl der Bewerber und der ausgegebenen Stadtzeichen allerdings sprunghaft an (Tabelle 2), so dass schließlich von etwa 750 Bettelnden auszugehen ist (32f.). Die Edition gibt Aufschluss über etwas mehr als 900 arme Wienerinnen und Wiener, die in der Stadt bettelten und als "Stadtzeichner/Stadtzeichnerinnen" in die Verwaltungsakten eingingen.
Die vorliegende Edition enthält den vollständigen Text des ausgewählten Protokollbuchs. Lediglich behutsam eingegriffen wurde bei der Vereinheitlichung der Interpunktion und der stillschweigenden Korrektur von offensichtlichen Fehlern. Erklärende Zusätze finden sich in einem Anmerkungsapparat. Umfangreiche Register (365-415) erschließen die Namen der Stadtzeichnerinnen und Stadtzeichner (Register I) sowie die Namen anderer genannter Personen (Register II). Das topographische Register ist ebenfalls zweigeteilt. Es deckt zum einen das heutige Stadtgebiet Wiens ab und listet zum anderen Orte außerhalb des heutigen Stadtgebiets auf. Der Leser kann sich auf diese Weise leicht die bettelnden Menschen erschließen, die ihn interessieren oder Hinweisen auf Herkunftsorte nachgehen. Die kurzen Einträge laden aber auch schlicht zum Blättern ein.
So zeigen sich auf wenigen Seiten die Schicksale von Menschen, die oft nur die Tatsache eint, dass sie keiner Arbeit mehr nachgehen können und ihnen Bettelplätze - oft vor Kirchen und Klöstern, größeren Höfen oder markanten Gebäuden - zugewiesen werden. Pichlkastner betont, dass Frauen vor allem der Platz vor St. Anna oder bei den "Oberen Jesuiten" (314) zugewiesen wurde. Während Männer zu dritt am Zwettlhof betteln sollten, waren die Frauen bei den beiden genannten einträglichen Bettelplätzen sogar zu zehnt.
Weitere Analysekriterien geben Aufschluss über die jeweilige Herkunft, Berufsstand, Wohnort/Aufenthaltsort, Statur, Aussehen und Alter. Oft lassen sich Hinweise darauf finden, dass die Bettler sich früher als Soldaten verdingt hatten oder kriegsversehrt aus den Türkenkriegen zurückgekehrt waren. Sie stammten auch nicht ausnahmslos aus Wien. Aber für die Ausgabe eines Stadtzeichens mussten sie doch wenigstens längere Zeit in Wien gelebt haben. Insofern wird bei "Pizl Veith, von Fridberg aus dem Bayrland geb(ürtig)" (146) gleich noch vermerkt, dass er bereits seit 50 Jahren in Wien lebe und dort auch bei Gärtnern und Hauern gearbeitet habe. Da er 1682 wegen körperlicher Gebrechen allerdings keiner solchen Arbeit mehr nachgehen konnte, wurde ihm das Betteln gestattet. Diese Einblicke in das Leben der Ärmsten der Armen machen die Studie von Sarah Pichlkastner zu einer Fundgrube.
Beide Editionen werden vorbildlich in den Entstehungszusammenhang und in den Forschungskontext eingeordnet. Sie geben gerade in der Zusammenschau neue Einblicke in das Wiener Stadtgefüge: hier die Stadt als höfisch-adeliges Zentrum, das die Bürger zunehmend verdrängt, dort die Verwaltung des Elends und die Perspektive auf lukrative oder aussichtslose Bettelplätze.
Britta Kägler