Rezension über:

Marita Bombeck / Gudrun Sporbeck: Kölner Bortenweberei im Mittelalter. Corpus Kölner Borten (= Corpus Kölner Borten; Bd. 1), Regensburg: Schnell & Steiner 2012, 299 S., ISBN 978-3-7954-2533-3, EUR 89,00
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Rezension von:
Maria Männig
Institut für Kunstwissenschaft und Medientheorie, Staatliche Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe
Redaktionelle Betreuung:
Tobias Kunz
Empfohlene Zitierweise:
Maria Männig: Rezension von: Marita Bombeck / Gudrun Sporbeck: Kölner Bortenweberei im Mittelalter. Corpus Kölner Borten, Regensburg: Schnell & Steiner 2012, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 10 [15.10.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/10/21636.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Marita Bombeck / Gudrun Sporbeck: Kölner Bortenweberei im Mittelalter

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Für den Terminus der "Kölner Borten" steht symptomatisch die Figur des Kanonikus, Sammlers und Kunsthistorikers Franz Bock. Von historistischer Sammelwut erfasst, trug der Sulpiz Boisserée der sakralen Textilkunst seit 1853/54 Musterproben aus ganz Europa zusammen, die er zum Teil vor Ort kurzerhand abgeschnitten hatte. [1] Mit diesen aus heutiger Sicht zweifellos zu verurteilenden Eingriffen bildete er jedoch den Grundstock für eine systematische und museale Erfassung dieser Gruppe mittelalterlicher Textilien.

Bei Borten handelt es sich um ornamental oder figural gestaltete Bandgewebe, deren Breite im Fall Kölns im 13. Jahrhundert zwischen drei und sechs Zentimetern variiert. Dreihundert Jahre später wurden gar Webbreiten von über zwanzig Zentimeter erreicht. Borten dienten der Verzierung von liturgischen Textilien und stabilisierten im Bereich der Paramentik stark beanspruchte Stellen, wie Nähte und Kanten. Ihr fragmentarischer Charakter resultiert nicht nur aus den genannten ungelenken Sicherungsmaßnahmen, sondern auch aus dem nutzungsbedingten Verschleiß oder - im Fall von Grabfunden - dem rascheren Verfall der ehemaligen Trägerstoffe.

Dieser grundsätzlich defizitären Situation nahm sich ein zwischen 2007 und 2009 realisiertes Forschungsprojekt mit dem Ziel an, den weltweit größten Bestand von insgesamt 180 Kölner Borten in Bezug auf ihre ikonografischen, formalen und materialtechnischen Charakteristika zu erfassen sowie zu datieren. Als Resultat in Buchform liegt nun der erste Band des "Corpus Kölner Borten", herausgegeben von Marita Bombek und Gudrun Sporbeck, vor, der sich dem mittelalterlichen Bestand des Konvoluts widmet. Dem umfangreichen Katalog sind drei Beiträge vorangestellt, welche die Kölner Bortenweberei jeweils wirtschafts- und kulturhistorisch, formal-gestalterisch und textiltechnologisch verorten.

In ihrem kulturhistorischen Eingangsbeitrag stellt Bombek die Relevanz des Textilhandels für die Stadt Köln seit dem frühen Mittelalter dar. Der höchst einflussreichen Herkunftsbezeichnung "Köln", der Trademark "koufmansgoit zû colne" (18) steht die Frage nach der tatsächlichen Provenienz der Objekte gegenüber. Die seit Bock verbindliche kunsthistorische Konvention, Köln als Ursprungsort der Textilien anzunehmen, stand zwischenzeitlich in Frage. [2]

Dem vorliegenden Band liegt der Versuch zugrunde, den Denkmalbestand nachhaltig nach Köln zu lokalisieren. Für diese plausibel vorgetragene Argumentation ausschlaggebend ist die Bedeutung der Rheinmetropole als Handelsumschlagplatz für Wolle, Seide und Leinen. Auf dieser Basis wurde Köln zu einem Zentrum der weiterverarbeitenden textilen Gewerbe. International führend war die Stadt sowohl in der Herstellung von Goldgarn als auch im Bereich des Färbewesens. Alle diese Fertigungszweige münden schließlich im Exportschlager der Stadt, der Bortenweberei. In den goldgrundigen Samitgeweben kam in erster Linie Häutchengold, aber auch Goldlahn zum Einsatz. Die farbigen Kompartimente wurden in Seide ausgeführt. Das für die Haupt- und Bindekette benötigte, an der Oberfläche nicht sichtbare Leinen wurde als stabilisierendes und vergleichsweise billiges Trägermaterial verwendet. Allerdings, dies macht Bombeks Beitrag auch deutlich, sind nur in den seltensten Fällen aus erhaltenen Textquellen eindeutige Rückschlüsse auf konkrete Erzeugnisse wie Borten möglich.

Sporbeck konzentriert sich in ihrer Abhandlung auf die Fertigungstechnik und die Gattungsspezifik der Kölner Borten. Die Untersuchung geht von dem höchst eindrucksvollen, genuin mittelalterlichen Ensemble der auf 1200-1280 datierten sogenannten Kasel des Albertus Magnus aus, die sogar noch bis vor einigen Jahren zu besonderen Anlässen angelegt wurde. Insbesondere in Messgewändern kamen die kostbaren Textilien zum Einsatz. Ausschlaggebend hierfür war, dass sich die voluminöse Glockenform seit der Wende zum 13. Jahrhundert in einen nach unten spitz zulaufenden Zuschnitt mit Öffnungen für die Arme veränderte. [3] Liturgiegeschichtlich ist diese Entwicklung eng mit der Transsubstationslehre verknüpft, die 1215 zum Dogma erhoben wurde. Im Zuge der Hostienelevation, jenem Ritual, bei dem sich der Priester vor der Gemeinde abwendet, wurden die "Kaselrückseiten als Schauseiten und Bildträger mit vielschichtigen und allegorisch zu deutendem Sinngehalt" (55) betont.

Neben funktionellen Aspekten, dem Verdecken und Schonen von Nähten, verliehen die Borten beispielsweise Stiftern sichtbare Präsenz durch Tituli und Wappen und rückten sie somit in unmittelbare Nähe zum Heilsgeschehen.

Polar stehen die figürlichen den reduktiv-ornamentalen Borten gegenüber. In der letzteren Gruppe manifestieren sich die als kölnisch zu bezeichnenden Charakteristika in den eingewebten Inschriften sowie in einschlägigen Motiven wie Sternrosetten und Blütenbäumchen. Die Farbstreifen- und "geschachten Blöckchenreihen" (48) vergleicht die Autorin überzeugend mit dem um 1315 datierten Schmuckfußboden aus St. Gereon.

Während einzelne Funde frühestens in das 12. Jahrhundert verweisen, nimmt der Denkmalbestand an Kölner Borten in den folgenden Jahrhunderten insgesamt zu. Für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts lassen sich sogar rückwirkend einzelne Werkstattzusammenhänge aufgrund von entsprechenden Zeichen bestimmen.

Der Theorieteil schließt mit einer materialtechnischen Analyse von Monika Nürnberg mit Einsichten zur Herstellungsweise. Wie die Autorin feststellt, verbreitern sich die Borten signifikant im 15. Jahrhundert. Dieser Umstand korreliert mit einer deutlichen Tendenz zu szenischen Darstellungen. Insbesondere die figürlich gestalteten Borten wurden nun durch nachträgliche Kolorierung und durch Stickereien zusätzlich aufgewertet. Mittels der Stickerei, die im Gegensatz zur - an ein vorgegebenes Raster orientierten - Webtechnik ein freieres Arbeiten ermöglicht, gelang es, Gesichter sowie Gewandfalten plastisch zu modulieren und damit in Konkurrenz zur Malerei zu treten.

Besonders lobenswert ist der Blick über den rein textilgeschichtlichen Tellerrand hinaus, den die Autorinnen wagen, um das Corpuswerk kunsthistorisch und kulturwissenschaftlich zu kontextualisieren. Damit bilden sich Anknüpfungspunkte zu angrenzenden mediävistischen Disziplinen wie Stadt- und Wirtschaftsgeschichte bzw. Liturgie- und Kirchengeschichte. Der Katalog führt 131 Objekte auf. Hervorzuheben ist die hohe Qualität der Farbabbildungen mit vielen Detailaufnahmen sowie eine übersichtliche Kombination aus Beschreibung und Materialtechnik, die den Band zu einem wertvollen Studienbuch machen.


Anmerkungen:

[1] Evelyn Wetter: Mittelalterliche Textilien. Bd. III: Stickerei bis um 1500 und figürlich gewebte Borten, Riggisberg 2012, 9.

[2] Ebenda, 211.

[3] Joseph Braun: Die liturgische Gewandung im Occident und Orient, Freiburg im Breisgau 1907, 184ff.

Maria Männig