Jonathan J. Arnold: Theoderic and the Roman Imperial Restoration, Cambridge: Cambridge University Press 2014, XII + 340 S., ISBN 978-1-107-05440-0, GBP 60,00
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Das hier zu besprechende Buch ist keine systematische Darstellung der Herrschaft Theoderichs und schon gar keine Biographie. Es beginnt mit Ausführungen über Ennodius und Cassiodor und endet mit Betrachtungen über Felix, den ersten und einzigen Konsul des 6. Jahrhunderts, der aus Gallien stammte. Es ist für Studierende zu anspruchsvoll und wiederholt doch vieles, was denen, die sich mit Theoderich auskennen, altbekannt ist. Es besteht zu einem hohen Prozentsatz aus Paraphrasen und Zitaten der beiden genannten Autoren, die in der Regel ohne den literarischen und historischen Kontext präsentiert werden, während die Auseinandersetzung mit Forschungspositionen in die Fußnoten verbannt ist. Dabei erhebt der Verfasser den Anspruch, eine völlig neue Interpretation der Herrschaft Theoderichs zu entwickeln: Keineswegs nämlich habe der König über zwei Völker, Goten und Römer, geherrscht oder zumindest beansprucht, eben dies zu tun, wie die Forschung bislang meist annahm und Cassiodor unaufhörlich verkündete. Vielmehr sei die ethnische Unterscheidung zwischen Goten und Römern für die Selbstdarstellung Theoderichs und seine Wahrnehmung durch die "Italo-Römer" bedeutungslos gewesen: "Goths were Romans, and Theoderic and his family the most Roman of them all" (174). Ebensowenig treffe die von Mommsen herrührende Auffassung zu, dass Theoderich in Italien als Stellvertreter des Kaisers im Rang eines patricius geherrscht habe. Nach Arnold war Theoderich schlicht und einfach Kaiser des Westreichs: "He was princeps Romanus, or Roman emperor, acknowledged as such by his own subjects and presented as such, though in a deferential and conciliatory manner, to the East" (90).
Arnold formuliert diese Thesen mit spürbarer Freude an der Provokation; er entwickelt sie freilich nicht in Form einer strukturierten Argumentation, sondern dadurch, dass er aus einer Collage von Quellen-Zitaten einen Diskurs konstruiert, den er abwechselnd Theoderich und den "Italo-Römern" zuschreibt. Das Buch gliedert sich in fünf Teile und zehn Kapitel. Im ersten Teil "An Empire Turned Upside-Down" behandelt Arnold zunächst Ennodius (Kap. 1), dann Cassiodor (Kap. 2); beide gelten ihm gleichermaßen als Repräsentanten der "italo-römischen Eliten". Die Lebensbeschreibung, die Ennodius Epiphanius, dem 496 verstorbenen Bischof von Pavia, gewidmet hat, zeigt nach Arnold zum einen, dass für die "Italo-Römer" das Weströmische Reich niemals aufgehört habe zu existieren (27). Zum anderen aber bringe dieser Text die Überzeugung zum Ausdruck, dass die "italo-römische Gesellschaft" vor der Ankunft Theoderichs zum Untergang verurteilt gewesen sei (36). Spezifisch für Ennodius sei lediglich die Auffassung, dass Odoaker sich in keiner Hinsicht von seinen kaiserlichen Vorgängern unterschieden habe (27). In diesem Punkt war Cassiodor bekanntlich anderer Meinung; auch er jedoch habe den Zustand des Westreichs vor Beginn der Herrschaft Theoderichs als sehr kritisch beurteilt. Der zweite Teil "Emperor Theoderic" dient dem Nachweis, dass Theoderich sich als Kaiser präsentiert habe und als solcher sowohl von den "Italo-Römern" als auch im Ostreich wahrgenommen und anerkannt worden sei. Arnold geht unter der Überschrift "Princeps Romanus" (Kap. 3) zunächst auf die Titulatur ein: Dass der König sich selbst niemals Augustus oder imperator nannte, keine leges erließ und auch keine Gold- oder Silbermünzen im eigenen Namen prägte, habe nichts zu bedeuten (77); das Zeugnis des Prokopios (Bella 5,1,26), der betont, dass Theoderich die Prärogativen des Kaisers beachtet habe, sei ohne Beweiskraft, weil der Geschichtsschreiber Oströmer war und nach den Ereignissen schrieb. Entscheidend sei vielmehr, dass Theoderich den Titel eines princeps geführt habe, denn dieser Titel sei nicht weniger offiziell gewesen als Augustus oder imperator. Theoderich habe sich bewusst gerade für diesen Titel entschieden, weil er auf diese Weise an die Ideologie des Prinzipats habe anknüpfen können, die für die "Italo-Römer" stets bedeutsam geblieben sei. In Kap. 4 "The Imperial Image" wendet Arnold sich der Herrschaftsrepräsentation in Bildmedien zu. Er meint, es gebe gute Gründe für die Annahme, dass Theoderich eine Art Diadem als Herrschaftsinsignie getragen habe, und bestreitet, dass das Goldmedallion von "Senigallia" (in Wahrheit Morro d'Alba) spezifisch gotische Züge aufweise, denn auch Römer hätten hin und wieder einen Oberlippenbart getragen. Im dritten Teil "Italo-Romans and Roman Goths" geht es um die Wahrnehmung der Goten durch ihre "italo-römische" Umgebung. Nach Arnold verkörperten die Goten in den Augen der römischen Bewohner Italiens genau die Tugenden, die Rom einst selbst besessen, aber im 5. Jahrhundert verloren habe: civilitas und virtus. Die Siege, die Theoderich mit seinen Goten errang, seien für sie daher römische Siege gewesen: "Under a Gothic aegis the western Roman Empire reasserted its Roman claims of cultural superiority and hegemony over its neighbours, speaking of itself once more as a beacon of civilization" (133). Gewiss habe man von zwei Völkern gesprochen, und kulturelle und soziale Unterschiede zwischen Goten und Römern seien unbestreitbar. Diese Unterschiede hätten jedoch nicht verhindern können, dass die Goten in Italien als römisch wahrgenommen wurden (Kap. 5: "Men of Mars"). In Kap. 6 "Rex genitus, vir inlustris" will Arnold zeigen, dass Theoderich sich nicht nur selbst als Römer verstanden habe, sondern in Italien auch so wahrgenommen worden sei. Dass Theoderich schon in jungen Jahren eine "consciously east Roman identity with attributes that were recognizable to other Romans and other Goths" (147) entwickelt habe, hält er aufgrund des langjährigen Aufenthalts in Konstantinopel für zumindest wahrscheinlich. Für die Haltung der "Italo-Römer" stehen auch hier Ennodius und Cassiodor: Beide hätten keinen Widerspruch zwischen der oströmischen Laufbahn als magister militum, consul und patricius und der Herkunft aus einer gotischen Königsfamilie gesehen, da sie den Amalern durch und durch römischen Tugenden zuschrieben; Cassiodors verlorene Schrift "De origine actibusque Gothorum" sei eine Art Herrschergeschichte gewesen und habe eben diese Agenda verfolgt (172f.).
Während Arnold in den ersten drei Teilen mitunter zwischen Diskurs und Realität unterscheidet, gehen diese beiden Ebenen im vierten und fünften Teil "Italia felix" bzw. "Renovatio imperii" vollkommen ineinander über. Arnold paraphrasiert unter der Überschrift "Italy revived" (Kap. 7) zunächst das "Leben des Epiphanius", fügt dann Stellen aus Cassiodor hinzu, wo dieser die wohlmeinenden Absichten seines königlichen Herrn zum Ausdruck bringt, und folgert daraus, dass Theoderich "enorme Summen" in den Wiederaufbau der Städte Italiens investiert habe. Am meisten habe freilich Rom von diesem königlichen Euergetismus profitiert, so Kap. 8 "Rome rejuvenated": Auch wenn Theoderich die Stadt nur ein einziges Mal ausgesucht hat (Arnold liebäugelt freilich mit der Idee, dass er noch ein zweites Mal nach Rom gekommen sei: 208 Anm. 32), so habe er die Romani di Roma doch in einer Weise gefördert, wie es vor ihm nur Maxentius, Constantin der Große und Valentinian I. getan hätten (?). Gewiss habe Theoderich den Senatoren dabei viel Spielraum für eigene Initiativen und Investitionen gelassen; gerade dies aber zeuge von einer Partnerschaft, die für beide Seiten vorteilhaft gewesen sei.
Der fünfte und letzte Teil beschäftigt sich dann mit der Frage, wie die Integration der Provence in den Herrschaftsbereich Theoderichs wahrgenommen worden sei. Dabei dient die Provence aufgrund der vergleichsweise günstigen Quellenlage als Fallbeispiel für die Integration von Provinzen, die einstmals zum Westreich gehört hatten. Arnold versucht in Kap. 9 "Becoming Post-Roman" anhand von Briefen und anderen Texten des Ennodius zu zeigen, dass die römischen Bewohner Galliens in den Augen der Römer Italiens in einer Art Gefangenschaft lebten und der Gefahr ausgesetzt waren, ihre Bildung durch Anpassung an ihre barbarische Umgebung einzubüßen. Aus diesem Grund habe die Integration der Provence in den Herrschaftsbereich Theoderichs als Rückkehr in den Kreis römischer Kultur dargestellt und verstanden werden können; so Kap. 10 "Gallia Felix". Den Ausführungen Arnolds zufolge war diese "Re-Romanisierung" Galliens keineswegs bloße Propaganda, Ideologie oder Perzeption, sondern wurde von einem umfassenden Programm zum Wiederaufbau der durch den Krieg verwüsteten Landschaft begleitet: "Such recovery, of course, would benefit Italy's coffers [...] But the impact that this would have on Gaul's supposedly barbarized and now ravaged population was more important. Their lives would be improved significantly, while their enrichment would serve as another positive indicator, both at home and abroad, of their very real and Roman restoration" (284). Der Konsulat des Felix erscheint so als krönender Abschluss einer Politik, die mit großem Erfolg die Wiederherstellung des Weströmischen Reiches erstrebt habe. In einem Epilog blickt Arnold auf die Ereignisse nach dem Tode Theoderichs und kann bis zum Beginn der Reconquista keinerlei Anzeichen für Spannungen oder ernsthafte Probleme erkennen. Die Frage, weshalb die gotische Herrschaft in Italien dann überhaupt endete, bleibt dabei offen.
Arnold hat eine Gabe für pointierte Formulierungen; das wird seinem Buch gewiss eine gute Platzierung auf dem "citation index" einbringen. Ob seine Thesen zu überzeugen vermögen, steht freilich auf einem anderen Blatt. Der Rezensent hegt in dieser Hinsicht erhebliche Zweifel. Das liegt erstens daran, dass es dem Buch durchweg an sozialgeschichtlichem Realismus mangelt: Die Kategorien, mit denen Arnold die Gesellschaft des spätrömischen Italiens und seiner Nachbarn beschreibt, sind so vage und abstrakt, dass sie für eine historische Analyse nicht taugen. Zweitens fehlen Überlegungen darüber, inwiefern die Äußerungen des Ennodius und Cassiodor als repräsentativ für bestimmte soziale Gruppen gelten können; überhaupt vermisst man das Bemühen, soziale Gruppen adäquat zu erfassen. Drittens leiden viele Interpretationen daran, dass Arnold die Texte, die als Quellen für die Haltung der "Italo-Römer" dienen, häufig selektiv und ohne Berücksichtigung der Kontexte interpretiert. Zwar begegnen hin und wieder salvatorische Klauseln, die den Verdacht abwehren sollen, Texte panegyrischen oder hagiographischen Charakters würden für bare Münze genommen. In der Regel geschieht aber genau das. Auch die Briefe des Ennodius lassen sich jedoch, wie Bianca-Jeanette Schröder gezeigt hat[1], nur dann angemessen verstehen, wenn man die Adressaten, die kommunikative Situation, aber auch die literarische Tradition berücksichtigt. Cassiodors "Varien" schließlich verdanken ihre Entstehung nicht anders als die Verlautbarungen und Entscheidungen römischer Kaiser in der Regel den Anfragen und Bitten von Untertanen und Amtsträgern; sie richten sich daher an bestimmte Adressaten und formulieren Antworten auf deren Anliegen. Blendet man diesen Kontext aus, gewinnt man zwar Mosaiksteinchen für ein trügerisches Bild königlicher Selbstdarstellung, verfehlt aber die Art und Weise, wie Theoderich auf die Erwartungen und Wünsche seiner Untertanen reagierte.
Anmerkung:
[1] Bildung und Briefe im sechsten Jahrhundert. Studien zum Mailänder Diakon Magnus Felix Ennodius (Millennium-Studien; 5), Berlin / New York 2007.
Hans-Ulrich Wiemer