Rezension über:

Ulisse Morelli: Domiziano. Fine di una dinastia (= Philippika. Marburger altertumskundliche Abhandlungen; 71), Wiesbaden: Harrassowitz 2014, 346 S., ISBN 978-3-447-10189-9, EUR 74,00
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Rezension von:
Patrick Reinard
Seminar für Alte Geschichte, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Patrick Reinard: Rezension von: Ulisse Morelli: Domiziano. Fine di una dinastia, Wiesbaden: Harrassowitz 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 10 [15.10.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/10/25639.html


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Ulisse Morelli: Domiziano

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Das Buch ist nach einer kurzen Einleitung (11-15), in welcher Forschungsstand sowie Quellenlage sehr knapp geschildert werden und der Aufbau der Arbeit erläutert wird, in drei Hauptkapitel unterteilt: I. Il regno Domiziano (17ff.), II. I comandi provincali (167ff.) und III. L'interregno di Nerva (241ff.). Ziel der Untersuchung ist eine genaue Betrachtung der personellen Verbindungen und Strukturen einflussreicher Männer während der Herrschaftszeit Domitians. Deren Anteil an dem Ende des Kaisers und der Herrschaftsübernahme Nervas soll eruiert werden.[1]

Das erste Kapitel ist chronologisch aufgebaut und in vier Unterkapitel gegliedert. In I.1 (I primi anni (81-85 d.C.); 19ff.) wird die Entwicklung der Regentschaft Domitians bis zu zur zeitweiligen Verbannung der Domitia Longia abgehandelt. Das zweite Unterkapitel (I.2 Complotti e sollevazioni militari. La fase centrale del regno (86-90); 68ff.) behandelt u.a. die "misteriosa congiura dell'87" sowie die Verschwörung des Saturninus (85ff.). Bereits dieses Unterkapitel basiert auf einer prosopographischen Auswertung, welche im I.3 (La fase finale del principato. La riemersione della questione dinastica (90-96); 103ff.) dann noch ausführlicher und ergiebiger betrieben wird. In chronologischer Abfolge werden zunächst die Prozesse gegen Mettius Pompusianus (105ff.), L. Salvius Otho Cocceianus (111f.), Ser. Cornelius Scipio Salvidienus Orfitus (112ff.), M'. Acilius Glabrio (114ff.) und L. Aelius Lamia Plautius Aelianus (118ff.) dargestellt. Jeweils wird nach personellen Verbindungen gefragt. Anschließend wird die Philosophen-Vertreibung des Jahres 93 n. Chr. behandelt (120ff.). Beschlossen wird das informationsreiche Unterkapitel I.3 durch eine Zusammenfassung der erzielten Ergebnisse, in welcher die Frage gestellt wird, inwieweit eine "antidomitianische Opposition" in den 90er Jahren zu einer Krise der Dynastie geführt hat. In 1.4 (La congiura; 137ff.) wird die Verschwörung, welche 96 n. Chr. zum Ende Domitians führte, minutiös analysiert und insbesondere nach der Rolle von Domitia Longina und Nerva sowie der Beteiligung der Prätorianer gefragt.

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den Statthaltern der Provinzen. Es ist in zwei Unterkapitel (II.5 La centralità strategica del Danubio; 169ff. und II.6 I comandi legionari; 196ff.) aufgeteilt. Aufschlussreich sind die Ausführungen zu Cn. Pompeius Longinus und die Frage, in welcher Verbindung er zu Trajan stand (176ff.). Sehr knapp fallen die Ausführungen zur Provinz Britannia sowie zu Cn. Iulius Agricola aus (227-229). In der taciteischen Vita kann man sicher noch deutlich mehr "Kaiserkritik" erkennen.[2] Wobei man hier entgegnen muss, dass auch in dem zweiten Kapitel die personellen Verbindungen im Fokus von Morellis Untersuchungen stehen. Insbesondere das Unterkapitel II.6.5 (Gli altri comandi; 229ff.) ist in dieser Hinsicht als sehr gelungen anzusehen; vgl. etwa die hilfreiche tabellarische Übersicht auf Seite 233.

Das letzte Kapitel III. L'interregno di Nerva (241ff.) befasst sich zunächst mit dem Senat in den Jahren 96-98 n. Chr. (243ff.) und geht dann auf die Adoption Trajans sowie dessen Einfluss am kaiserlichen Hof ein (283ff.). Eine Betrachtung der Verschwörung des Calpurnius Crassus Frugi im Sommer (?) 97 n. Chr. (295ff.) sowie des Aufstandes der Prätorianer im Sept./Okt. 97 n. Chr. und der Hinrichtung des Casperius Aelianus (Sept. 97 n. Chr.) sind gelungen. Morelli kann die Geschehnisse des Jahres 97 n. Chr., die sich noch vor der Adoption am 27. Okt. ereignet haben, plausibel rekonstruieren; eine "Breve cronologia degli avvenimenti dal 18 settembre 96 al 27 gennaio 98" (320) bietet eine hilfreiche Übersicht über die Herrschaftszeit Nervas und resümiert die Ergebnisse des dritten Kapitels. Eine kurze Zusammenfassung (321ff.) sowie drei Tafeln runden den Band ab. Die Tafeln bieten Stemma-Darstellungen der familiären Verbindungen des Domitius Corbulo (Tav. 1) und der Flavier (Tav. 2); sehr nützlich ist schließlich "il network di Traiano", welches auf Tavola 3 dargestellt ist.

Nur auf kleine Ergänzungen sei an dieser Stelle hingewiesen: Zu der auf Seite 22f. angesprochenen Aureus-Prägung, auf deren Rückseite der früh verstorbene Sohn Domitians und Domitias als kleiner Jupiter mit der Legende DIVVS CAESAR IMP DOMITIANI F dargestellt ist, darf man anmerken, dass zeitgleich das gleiche Münzbild auch als Denar-Prägung ausgegeben wurde (BMC II Nr. 63). Die angegebene Datierung in das Jahr 82 n. Chr. ist nicht zwingend. Aus der Überlieferung ist aufgrund der consecratio lediglich der Terminus ante quem 28. Aug. 83 n. Chr. zu eruieren (cf. Kienast, Kaisertabelle 118); Verbannung und Rückführung der Domitia im Jahr 83 n. Chr. machen eine Datierung der Münze in das Jahr 82 n. Chr. ebenfalls nicht zwingend. Auf Seite 32 wird Marcia Furnilla als "prima moglie di Tito" bezeichnet. Sie war jedoch, wie Morelli andernorts natürlich korrekt schreibt, nach Arrecina Tertulla die zweite Ehefrau des Titus.

Sehr bedauerlich ist das Fehlen eines Personen- und Quellenregisters, wodurch das Arbeiten mit dem Band erschwert wird. Einige dem Rezensent als wichtige erscheinende deutsche Untersuchungen darf man dem Literaturverzeichnis (323ff.) ergänzen.[3]

Insgesamt muss man festhalten, dass Morelli eine hervorragende Arbeit vorgelegt hat, die zeigt, wie ergiebig und ertragreich eine prosopographische Perspektive sein kann. Für das Ende der Herrschaft Domitians, dies wird klar aufgezeigt, zeichnet sich eine senatorische Opposition verantwortlich, deren aus dem Quellenmaterial nur schwierig zu rekonstruierende personelle Verbindungen in der Forschung zwar bereits erkannt, aber bisher nicht in der von Morelli erarbeiteten Dichte und Ausführlichkeit dargelegt worden sind. Er zeigt, dass die Flavische Herrschaft sich nach dem Bürgerkrieg auf wichtige militärische Führer sowie auf senatorische Persönlichkeiten stützte, die aus dem Umfeld des ehemals einflussreichen Domitius Corbulo stammten. Unter Domitian löste sich diese Machtbasis auf, während zugleich neue Personenverbände - etwa homines novi wie Trajan - stark wurden, die bzw. deren Familien erst in Flavischer Zeit an Gewicht und Einfluss gewonnen hatten. Besonders die Tatsache, dass Domitian keinen Nachfolger hatte bzw. durch die Adoption der Söhne des Flavius Clemens erst spät Nachfolgepläne umsetzen konnte, führte zu einer Destabilisierung der Herrschaft. Morellis Darstellung und Erklärung für das Ende der Flavischen Dynastie vermag zu überzeugen. Für künftige Untersuchungen zu Domitian, Nerva und Trajan wird das Buch eine hervorragende Hilfe sein.


Anmerkungen:

[1] Morelli hat einige Einzelergebnisse der Studie bereits in umfangreichen Aufsätzen vorgestellt: ders.: Lotta politica, crisi dinastiche e complotti nel principato di Domiziano. Il ruolo di Domitia Longina, in: G. Zanetto / M. Ornaghi (a cura di): Documenta Antiquitatis. Atti dei Seminari di Dipartimento 2009, Milano 2010, 55-98; ders.: La congiura contro Domiziano: I Retroscena e gli eventi successive. Una possibile ricostruzione, in: Acme 59 (2006), 39-70.

[2] P. Reinard: arma ultra litora Iuvernae promovimus - Römer in Irland?, in: MBAH 31 (2013), 1-36.

[3] K. Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte, Regensburg 2010; J. Gering: Domitian, dominus et deus? Herrschafts- und Machtstrukturen im Römischen Reich zur Zeit des letzten Flaviers, Rahden 2012; J. Leberl: Domitian und die Dichter. Poesie als Medium der Herrschaftsdarstellung, Göttingen 2004; K. Christ: Zur Herrschaftsauffassung und Politik Domitians, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 12 (1962), 187-213.

Patrick Reinard