Rezension über:

James Hamilton: A Strange Business. Making Art and Money in 19th-Century Britain, London: Atlantic 2014, XIV + 385 S., ISBN 978-1-84887-924-9, GBP 25,00
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Rezension von:
Grischka Petri
Kunsthistorisches Institut, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Grischka Petri: Rezension von: James Hamilton: A Strange Business. Making Art and Money in 19th-Century Britain, London: Atlantic 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 10 [15.10.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/10/26660.html


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James Hamilton: A Strange Business

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Das Buch beginnt mit einem Hammerschlag. An einem Herbstabend des Jahres 1855 hatte der Londoner Grafikhändler Thomas Boys in seine gaserleuchteten Verkaufsräume auf der Oxford Street eingeladen. Dort zerschlug ein stämmiger Angestellter ein gutes Dutzend Druckplatten für Kupferstiche zwischen Hammer und Amboss. Die Überreste wurden an die Wände gepinnt, Trophäen der "limited edition". Die Zerstörung war eine wertbildende und -erhaltende Maßnahme im Interesse der Sammler, der Händler und der Künstler. Diese Szene bildet den Auftakt zu James Hamiltons Buch über den Londoner Kunstmarkt im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, das er unter die Überschrift eines William Turner zugeschriebenen Ausspruchs stellt: "Painting is a strange business" (101).

Das Buch ist unaufwendig gestaltet: Die Illustrationen befinden sich in zwei Abbildungsteilen, die den Buchblock dritteln, der Text ist unspektakulär gut lesbar gesetzt in der Adobe Garamond. Der Untertitel verspricht mit "in 19th-Century Britain" freilich zu viel, denn Hamiltons Fokus liegt eindeutig auf London, und wenngleich der erzählerische Auftakt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammt, kreisen die meisten seiner Beispiele um die Jahre zwischen 1790 und 1830. Hamilton berichtet mehr aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als aus derjenigen des 19. Jahrhunderts. Auch der Schutzumschlag mit einem Detail aus William Frith's A Private View at the Royal Academy aus dem Jahr 1881 passt deshalb nicht zum Inhalt. Die thematische Bündelung des Buches hätte in Titel und Aufmachung gar nicht verheimlicht werden müssen, denn A Strange Business hat auch so genug zu bieten.

Verschiedenen Akteuren auf dem Kunstmarkt weist Hamilton eigene Kapitel zu. Zwischen der Einleitung, die sich mit den Bedingungen des Erfolgs auseinandersetzt, und dem Schlusskapitel listet das Inhaltsverzeichnis zehn soziale und kunstkommerzielle Rollenbilder: den Sammler alten und neuen Schlages (d.h. die sich während der Industrialisierung gegeneinander ausdifferenzierenden Typen des Landadeligen und des Industriellen), den Maler, den Bildhauer, den Händler, den Farbenhersteller und -händler ("Colourman"), den Kupferstecher, den Verleger, den Kurator und den Bobachter ("Spectator"). Diese Rollenbilder werden nicht abstrahiert analysiert, sondern mit Leben gefüllt, und zwar mit den Leben der im Anhang aufgeführten 175 "Dramatis personae" (328). Hamilton schreibt lebendig bis blumig und zoomt in Perspektivwechseln auf und zwischen seine Protagonisten, sodass viele detailreiche Miniaturen entstehen.

Hamilton erzählt von den wirtschaftlichen Risiken der Künstler, von denen einige zumindest solange im Schuldturm landeten, bis ein Sammler sie wieder loseiste. Er beleuchtet die Royal Academy als Ort des Streits und der Intrigen (85f.), die aber auch eine Institution war, die ihre Künstler sozial absicherte (87). Er schildert den Erfolg Edwin Landseers, dessen Tiergemälde durch Stiche einen riesigen populären Erfolg feierten (99), und berichtet vom Ärger, der entstand, wenn ein Sammler auf sein Gemälde für die Zeit verzichten musste, die es im Atelier des Kupferstechers verbringen musste (100f.). Er erinnert an die im späten 18. Jahrhundert aktive Bildhauergeneration mit Vertretern wie Joseph Nollekens, die dazu beitrugen, den Schwerpunkt des Kunsthandels und der Kunstproduktion von den Reisezielen der Grand Tour nach London zu verlagern (107). A Strange Business präsentiert Überlegungen zur Ökonomie des Grabmals (128), zu Gesundheitsrisiken (184) und konservatorischen Problemen (191) durch neue Farbpigmente, aber ebenso zu logistischen Schwierigkeiten von Kunsttransporten im frühen 19. Jahrhundert und der Entwicklung spezieller Lastkutschen (271ff.). Auch zeitgenössische Fragen werden wiedergegeben: Schadet die Gasbeleuchtung den ausgestellten Bildern (281)?

Hamilton arbeitet gern mit dem Kontrast zwischen Gewinnern und Verlierern: Turners Wunsch nach königlicher Patronage wurde nicht erfüllt, doch hatte er bei anderen Sammlern Erfolg, während sich der chronisch erfolglose Benjamin Haydon schließlich erschoss. Der Bildhauer Sir Francis Chantrey organisierte sein Atelier so gut, wie er seine Mitarbeiter behandelte - beides trug zu seinem Erfolg bei (117ff.). Sein Gegenbeispiel ist Charles Rossi, der seine Assistenten schlecht bezahlte, was zu Qualitätseinbußen führte (133f.). Die Kunsthändler der Zeit verfolgten verschiedene unternehmerische Ideen: Rudolf Ackermann lieferte Inneneinrichtung und Grafiken (157ff.). Thomas Griffith zog seine Fäden für die zeitgenössische Kunst als Agent im Hintergrund (164ff.), während John Boydell sich in seiner Shakespeare Gallery auf Werke konzentrierte, die den Dichter und seine Dramen präsentierten (149ff.). Noel Desenfans schließlich scheiterte mit dem Projekt, eine Sammlung für den polnischen König zusammenzustellen, als dieser in den Napoleonischen Kriegen sein Königreich verlor (144ff.), was letztlich zur Gründung der Dulwich Picture Gallery führte.

Eine Qualität dieses Kaleidoskops ist, dass Hamilton immer wieder Personen über die Kapitel hinweg miteinander verknüpft, sodass man manchen Figuren mehrfach begegnet. Turner gehört für Hamilton selbstverständlich dazu [1], aber auch andere Namen kehren wieder, beispielsweise als Kunden des Farbenhändlers Charles Robertson (197). Umgekehrt vereinen manche Personen mehrere Rollen wie William Seguier, der sowohl Händler und Restaurator ("picture cleaner") als auch Kurator an der British Institution und der National Gallery war (268ff.).

Trotz dieser Vernetzungen franst das Buch gegen Ende etwas aus: Das letzte Kapitel wirft kurze Blicke auf auswärtige Besucher der Britischen Inseln, u.a. Waagen, Géricault und Schinkel (286ff.), um dann über die Einstellung an sich kunstferner, aber reicher Familien zur Kunst und über den Geschäftszweig des Porträts vor und nach Erfindung der Fotografie zu sinnieren - sowie über erotische Kunst und die sie behindernden Gesetze. Hamilton schweift gern vom seinem eigentlichen Thema ab, um eine gute Geschichte unterzubringen. So zitiert er die Adressen bekannter Londoner Dominas aus dem frühen und späteren 19. Jahrhundert (302). Wenig später erzählt er die Geschichte von Chunee, dem Elefanten, der 1812 in die Menagerie "Exeter Exchange" am Londoner Strand kam (311). Das hat zunächst nichts mit dem Kunstmarkt zu tun, leuchtet aber den Hintergrund einer an Spektakel gewöhnten Mittelschicht aus, vor dem der moderne Kunstbetrieb erst einmal auffallen muss. A Strange Business besteht aus sehr vielen solcher Apropos. In den besten Momenten schlägt Hamiltons scharfer Blick für das Detail ins große Ganze um: Wenn zum Beispiel die neuen Tubenfarben als für das indische Klima geeignet beworben werden (196), wird das British Empire in einer Kleinigkeit sehr konkret.

Das, was es möchte, kann das Buch sehr gut. A Strange Business besetzt erfolgreich eine Nische zwischen den jüngeren Studien zum britischen Kunstmarkt. [2] Das Buch ist populär und gleichzeitig wissenschaftlich wertvoll. Hamilton ist ein Erzähler von Szenen, seine Perspektive die der einzelnen Person. Schlussfolgerungen und Einordnungen sind eher im Text versteckt, etwa wenn einige Charakteristika der zweiten Sammlergeneration zeitgenössischer englischer Kunst zusammengefasst werden (68). Analysen und theoretische Literatur stehen nicht im Mittelpunkt von Hamiltons Interesse. Beispielsweise werden Panoramen und ähnliche Publikumsmagnete in Geschichten erzählt, aber keinem Modell à la Crarys "Techniken des Betrachters" unterworfen. Doch die Geschichten sind gut recherchiert. Hamilton wertet Quellen und Archivalia gründlich aus und weist sie nach, nicht in klassischen Fußnoten, sondern in einem Kommentarteil mit Verweisen auf die Seiten des Haupttextes. Das dreizehnseitige Register hilft schnell, Informationen zu den vielen Personen und auch zu einzelnen Kunstwerken zu finden. Die unterhaltsame Wundertüte wird dadurch zum hilfreichen Findbuch, mit dem sich weitere Fragen an das facettenreiche Material stellen lassen. Lust dazu bekommt man bei der Lektüre zweifellos.


Anmerkungen:

[1] Hamilton hat auch eine Biografie Turners verfasst: Turner. A Life, London 1997.

[2] Thomas M. Bayer / John R. Page: The Development of the Art Market in England: Money as Muse, 1730-1900, London 2011; Pamela Fletcher / Anne Helmreich (eds.): The rise of the modern art market in London, 1850-1939, Manchester 2011; Charlotte Gould / Sophie Mesplède (eds.): Marketing Art in the British Isles, 1700 to the Present: A Cultural History, Farnham 2012.

Grischka Petri