Emily M. Weeks: Cultures Crossed. John Frederick Lewis and the Art of Orientalism, New Haven / London: Yale University Press 2014, 260 S., 90 Farb-, 32 s/w-Abb., ISBN 978-0-300-20816-0, USD 75,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Harold Koda / Jan Glier Reeder: Charles James. Beyond Fashion, New Haven / London: Yale University Press 2014
Dieter Gielke: Meissener Porzellan des 18. und 19. Jahrhunderts. Bestandskatalog der Sammlung des Grassimuseums Leipzig / Museum für Kunsthandwerk, Leipzig: Museum für Kunsthandwerk 2003
Andrew Bolton / John Galliano / Adam Geczy et al.: China. Through the Looking Glass, New Haven / London: Yale University Press 2015
Emily M. Weeks' Monografie beschäftigt sich weniger mit Fragestellungen der Orientalismus-Forschung als vielmehr mit der Neuinterpretation von John Frederick Lewis' Werk und dem Thema der Künstlerinszenierung, die nun allerdings vor einem orientalischen Hintergrund in Kairo erfolgt. Dabei sind die Grundlagen für einen solchen Ansatz eher schwierig, da, wie die Autorin selbst darlegt, Lewis ein zurückgezogenes Leben führte und wenig über seine Jahre in Ägypten zwischen 1841 und 1851 bekannt ist. Aufschluss geben, wenigstens scheinbar, ausführliche Darlegungen zu Lewis in William Make peace Thackerays Reisebericht "Notes of a Journey from Cornhill to Grand Cairo" (1844). Dass diese Informationen als nur bedingt zuverlässig einzuschätzen sind, räumt die Autorin selbst ein, wenn sie darauf verweist, dass diese auf ein Publikum hin konzipiert sind. Sie erwägt sogar, ob es zu einen Abkommen zwischen Lewis und Thackeray gekommen sein könnte, zum einen, um den Absatz des Buches zu steigern, zum anderen, weil Lewis einem englischen Publikum wieder stärker in Erinnerung gerufen werden sollte, sodass der Bericht über Lewis als eine bewusste Inszenierung verstanden werden könnte.
Dieser Ansatz der Selbstinszenierung und des Charakters von Lewis ist Weeks' Ausgangspunkt für die kommenden Untersuchungen, die jeweils Fotografien von Lewis in orientalischer Gewandung, sein Haus und seine Rolle im kosmopolitischen Umfeld von englischen und ägyptischen Freunden, Bilddetails und Besonderheiten der Bildmotive, darunter Abweichungen von orientalischen Sitten und Gebräuchen einbeziehen. Ihr Ausgangspunkt ist derjenige, dass Lewis aufgrund seiner umfassenden Kenntnis des Nahen Ostens diese Abweichungen als Bedeutungsträger bewusst eingefügt haben wird. Wie sie im Vorwort darlegt, ist sie bestrebt, unterschiedliche methodische Ansätze in ihrer Untersuchung des Werkes anzuwenden: Neben der formalen Analyse und Einbeziehung des historischen Kontextes sollen auch die Aspekte von "transposition, transculturation, interlocution, and the productive potential of cross-cultural encounter and exchange" berücksichtigt werden (9).
Das erste Kapitel beschäftigt sich nach einem kurzen Lebenslauf Lewis' mit der Selbstdarstellung des Künstlers in orientalischer Tracht. Hierfür dienen zwei erhaltene Fotografien als Basis, über deren Verwendungszweck und intendiertes Publikum jedoch keine Informationen vorliegen und bei denen die Kleidungswahl vor dem zeitgenössischen historischen Hintergrund problematisch und sogar, wie die Autorin darlegt, negativ konnotiert erscheint. Weeks vergleicht Lewis' "orientalische Verkleidung" mit derjenigen anderer englischer Künstler unter Zugrundelegung von verschiedenen Theorien zum Thema der Künstlerselbstdarstellung. Allerdings kommt sie zu keinem rechten Ergebnis, da diese Fotos nicht kursierten oder publiziert waren und Lewis nach seiner Rückkehr nach England ein zurückgezogenes Leben weitgehend fernab der Londoner Kunstszene führte.
Im zweiten Kapitel greift die Autorin die Darstellung von Lewis durch Thackeray als "languid Lotus-eater" auf (23), welche von diesem nicht angefochten wurde, und versucht, Lewis' Lebensumstände in Kairo zu rekonstruieren. Sie kann hierfür auf Zeichnungen von Räumen seines Hauses und dessen Grundriss zurückgreifen. Bemerkenswert erscheint, dass Lewis nicht in einem stark europäisch geprägten Stadtteil wohnte, sondern in einem traditionell ägyptischen und damit eher altmodischen Quartier. Quellen belegen, dass Lewis ein aktives Mitglied der anglo-ägyptischen Intellektuellen-Zirkel war, dass sein Haus sogar ein Zentrum dieser Kreise bildete. Weeks erkennt den Kontrast zwischen der zurückgezogenen englischen Existenz und der scheinbar lebendigen ägyptischen Präsenz des Künstlers als ein Grundmotiv von Leben und Werk Lewis', die geprägt seien von unterschiedlichen geografischen, politischen und kulturellen Bezugsfeldern. Diese labile, durch Ambiguität bestimmte Situation werde auf die Selbstdarstellung und das Werk übertragen. Darüber hinaus erkennt Weeks in Lewis' Gemälden die für einen englischen Künstler einzigartige Darstellung des zeitgenössischen ägyptischen Lebens in all seinen Ambivalenzen unter den tiefgreifenden Veränderungen, die unter Muhammad Ali erfolgten. Auch dieses zweite Kapitell erscheint in großen Teilen bestimmt durch den Wunsch der Autorin, die Interpretation in eine gewünschte Richtung zu lenken.
Im dritten Kapitel ist sie bestrebt, diesem "unsettled status", diesem Changieren zwischen "the myth and the documented reality" (59, 61) in Lewis' Werk nachzuspüren, wobei sie sich auf wenige Arbeiten konzentriert und diese sorgfältig analysiert. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass es sich auch hier um eine in Teilen konstruierte Realität handelt, die Widersprüche einschließt, wodurch eine latente Spannung entstehe und zu verschiedenen Interpretationen eingeladen werde. Die Leseweise der Bilder werde zum einen bestimmt durch die den Zeitgenossen bekannten Texte zur ägyptischen Kultur wie Edward William Lanes "An Account of the Manners and Customs of the Modern Egyptians" (1860), zum anderen durch eine Betonung der verschiedenen abgebildeten Oberflächen, die wiederum die Virtuosität des Künstlers betonen und in der Detailliertheit zugleich einen nahezu wissenschaftlichen Anspruch suggerieren, wie er sich in den Illustrationen der entsprechenden Reiseberichte und kulturgeschichtlichen Untersuchungen finde. Die Verbindung von ethnografischer Präzision und der Einbeziehung des kulturellen Standpunkts des, besonders in Hinblick auf die Harem-Szenen männlichen, englischen Betrachters, der haptischen Aspekte der virtuos wiedergegebenen Oberflächen resultierten erneut in einer durch Spannung und Rätselhaftigkeit geprägten Bildaussage, in "conflicted surfaces of his pictures" (85).
Diesen Oberflächen widmet sich Weeks intensiver im vierten Kapitel. Der Schwerpunkt liegt auf den Haremsszenen, ihrer Aufnahme in England in Hinblick auf die dort vorherrschende Meinung zu den im Harem lebenden Frauen, welche wiederum in der Bewertung von Lewis' Gemälden durch die englische Kritik reflektiert wird. Weeks bezieht hier nun überzeugend den männlichen Betrachter, die zunehmende Wertschätzung der altniederländischen Malerei mit ihren genau den Lebensalltag abbildenden Qualitäten, die Verknüpfung von Schönheit und Moral sowie die zeitgenössischen englischen Vorstellungen von der Rolle und dem Wesen der Frau ein.
Diesem Aspekt geht sie ausführlicher und mit anderem Schwerpunkt im fünften Kapitel "Gendered Geographics" unter Konzentration auf Lewis' "The Reception" von 1873 nach. Ausgehend von Lewis' genauer Kenntnis der ägyptischen Kultur erkennt sie hier einen progressiven Standpunkt, denn die traditionelle Rolle des Mannes werde im Bild durch eine Frau übernommen, sodass hier eine Auseinandersetzung Lewis' mit der Rolle der Frau erfolge, die zum Hinterfragen der patriarchalen Machtstrukturen in England und Ägypten leite - ein Aspekt, der allerdings nicht von der englischen Kritik realisiert worden sei. So verlockend Weeks' Darlegungen in diesem Kapitel sind, so bleibt die Frage, ob Lewis nicht sein englisches Publikum gekannt und dessen Reaktion einkalkuliert haben wird.
Abschließend widmet sich Weeks Lewis' "A Frank Encampment in the Desert of Mount Sinai, 1842, [...]" (1856), in dem die scheinbare Verkehrung der jeweils zugeschriebenen Charaktereigenschaften auffällt: der sich dem Luxus und der Lethargie hingebende Engländer und der aktive Ägypter. Weeks vermutet hierin einen Verweis auf den schwindenden Einfluss des Empire und das zunehmende Auflösen von kulturellen Grenzen.
Zusammenfassend erkennt sie in Lewis einen vielschichtigen, kritischen Künstler, der bestehende Systeme hinterfragt, progressive Standpunkte in Hinblick auf die Rollen der Geschlechter und die Bedeutung Englands gegenüber anderen Ländern einnimmt. Die in seinen Arbeiten erkennbaren provokanten Standpunkte würden durch Humor, Ironie, Detailreichtum und technische Virtuosität verhüllt und könnten sich so subversiv weiterentwickeln. Das Bild meint also etwas anderes als es darzustellen scheint. So faszinierend diese Auffassungen sind, so plausibel sie auch durch die Vielzahl von Abbildungen und Details gemacht werden, so bleibt doch die Frage, ob angesichts der geringen Informationen über Lewis' Leben und Auffassungen und seiner doch recht genauen Kenntnisse des englischen Marktes hier nicht eine gewisse Überinterpretation vorliegt. Eingestimmt wird der Leser hierauf schrittweise durch die Konzepte des Subversiven, Gegensätzlichen, Verschleierten, die durchweg wiederholt und durch den Bezug auf aktuelle kunsthistorische Fragestellungen und ihre prominenten Vertreter glaubhaft gemacht werden sollen.
Wenn es auch schwer fällt, der Argumentation der Autorin konsequent zu folgen, zumal diese besonders in den ersten, die grundlegenden Konzepte vorbereitenden Kapiteln etwas wackelig ist, da definitive Belege fehlen, so wirft sie interessante Fragen gegenüber dem Werk eines bisher eher als dekorativ-anekdotisch eingeschätzten Künstlers auf und regt damit zu einem frischen Blick auf sein Werk an. Ihre Konzentration auf den Künstler, sein Werk und seinen direkten Umkreis laden zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Werk selbst und zu einer einstweiligen Rückstellung der über lange Zeit in einem Œuvre mit diesen Sujets allgegenwärtigen Orientalismus-Diskussion ein.
Michaela Braesel