Michael Sauer / Charlotte Bühl-Gramer / Anke John u.a. (Hgg.): Geschichtslernen in biographischer Perspektive. Nachhaltigkeit - Entwicklung - Generationendifferenz (= Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik; Bd. 9), Göttingen: V&R unipress 2014, 386 S., 34 s/w-Abb., ISBN 978-3-8471-0309-7, EUR 54,99
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Einen Sammelband in einer kurz zu haltenden Rezension zu besprechen, ist immer eine Herausforderung. Andererseits bieten Sammelbände wie der vorliegende, die eine Tagung dokumentieren, die man selbst nicht besucht hat, die Gelegenheit, sich über den Stand der Disziplin zu informieren. Denn "Geschichtslernen in biographischer Perspektive" enthält in schriftlicher Form die Vorträge, die auf der Zweijahrestagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik 2013 in Göttingen gehalten wurden. In ihrem einleitenden Artikel weist Charlotte Bühl-Gramer darauf hin, dass die Thematik in verschiedener Weise verstanden und angegangen werden könne, zumal sie das Tagungsthema als ein "weites Feld" charakterisiert, das die Nachhaltigkeit, Entwicklung und den Aspekt der "Generationendifferenz" des historischen Lernens umspanne. Ihre Einführung versteht sie als "knappe Problemanzeige rund um diese Begriffstrias" (24). Nur bedingt kann sie deutlich machen, wie das Themenfeld geschichtsdidaktisch zu ergründen sei. Es wird vielmehr klar, dass die Konferenz sich ein weites Themenspektrum vorgenommen hatte, zu dem bislang eine diffuse Forschungslage herrschte. Bereits die Lektüre des Inhaltsverzeichnisses lässt erahnen, dass es eher mäßig gelungen ist, der Forschung ein konsistentes Untersuchungsfeld zugänglich zu machen.
Einige Beiträge mühen sich darum, die Verbindung von Geschichte und Biografie einzuholen, indem beispielsweise danach gefragt wird, inwieweit (schulisches) historisches Lernen auf das Geschichtsbewusstsein von Romanautoren Einfluss genommen habe (Felix Hinz). Dass deren Recherchen häufig von einem hohen "fachlichen Selbstanspruch" (76) geleitet werden, ist keine Antwort auf die aufgeworfene Frage. Auch der Versuch, autobiografisches mit historischem Erzählen gleichzusetzen, um eine Rüsen'sche Distinktion zu nivellieren (Martin Lücke), scheitert letztlich. Außer Acht bleibt nämlich, dass es zwischen beiden Formen keine strukturellen Unterschiede gibt, sondern die Differenz in dem Bezug auf Referenzobjekte in der biografischen respektive vor-biografischen Vergangenheit liegt, was eine Veränderung des Erfahrungsbezuges mit sich bringt.
Ob es sich frei am besten lernen lässt, wie Jörg van Norden in der Rubrik "Nachhaltiger Geschichtsunterricht" behauptet, lässt sich aus seiner kleinen Untersuchung methodisch keineswegs sicher ableiten, wie auch seinem ambivalenten Fazit zu entnehmen ist. Dass historisches wie alles Lernen ein lebenslanger Prozess ist, zeigt sich an den Beiträgen im Kapitel zu den außerschulischen Ausbildungskonzepten, in denen Geschichte, ob in Finanzverwaltung (Sabine Mecking), Polizeiausbildung (Christoph Spieker) oder Bundeswehr (Christian Bunnenberg), eine Rolle spielt.
Warum erst nach diesen Abschnitt zu den außerschulischen Ausbildungskonzepten, wozu auch die Integrationsbemühungen von Einwanderern (Christina Kakridi) zählen, die "Entwicklung des Geschichtsbewusstseins" behandelt wird, geht aus dem Aufbau des Bandes nicht schlüssig hervor. Die darin enthaltenen Untersuchungen orientieren sich allesamt an der zentralen Kategorie des historischen Bewusstseins, über dessen Genese - wie Bodo von Borries immer wieder bemerkt hat - kaum valide empirische Befunde vorliegen. In den einzelnen Beiträgen werden dazu ganz unterschiedliche Probandengruppen untersucht: fachfremde Lehrer (Georg Götz), Grundschulkinder (Markus Kübler u.a.), türkeistämmige Sekundarschüler der dritten Generation (Lale Yildirim). Wenig überraschend sind die Befunde, die Markus Kübler zum wiederholten Male aus seiner Untersuchung von Schweizer Grundschulkindern vorträgt. Dass Kinder vor allem über die materielle Kultur Zugang zur Geschichte finden und Klischees zur Darstellung von Vergangenheit verwenden, ist ebenso aus anderen Untersuchungen bekannt wie die Einschätzung von Quellen als objektive Berichte über Vergangenes oder die mangelnde Fähigkeit zur historischen Rekonstruktion. Und wenn abschließend festgestellt wird: "Historisches Lernen kann früh beginnen, da die Kinder sich für Vergangenheit interessierten." (286), dann ist das eine Aussage, der auch Heinrich Roth und Waltraut Küppers ihre Zustimmung nicht versagt hätten.
Ob schließlich die "Zeitgeschichte der Geschichtsdidaktik" in das Themenspektrum biografischen Geschichtslernens eingepasst werden kann, mag füglich bezweifelt werden. Zwar werden auch geschichtsdidaktische Forschungsbemühungen von Individuen vollbracht, die dabei unter anderem von ihrem historischen Bewusstsein getragen werden. Dieser Aspekt allerdings wird in keinem der Beiträge thematisiert. Vielmehr stehen institutionelle und strukturelle Aspekte wie die Verbandsgeschichte der KGD (Friederike Volkmer-Tolksberg) oder die Theorie eines disziplinhistorischen Zugriffs (Thomas Sandküler) zur Debatte sowie die Bilanzierung der noch jungen Nach-PISA-Phase (Markus Bernhardt, Michele Barricelli), bei denen nicht so recht deutlich wird, inwieweit PISA für die Zäsur der Disziplingeschichte eine tragfähig Größe darstellt. Geschuldet ist der disziplingeschichtliche Themenschwerpunkt dem genius loci, da die Tagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik 2013 an den Ort zurückkehrte, wo 40 Jahre zuvor einer ihrer zentralen Gründungsakte stattgefunden hatte.
So liegt ein disparater Sammelband auf dem Schreibtisch, der neben den historischen Reminiszenzen ein weites Themenspektrum entfaltet, für das er allenfalls Impulse zu setzen vermag, das er indes nicht systematisch zu erschließt und solcherweise für weitere Forschungen zu öffnen vermag. Ursache dafür mag sein, dass ein für die Geschichtsdidaktik zwar zentrales Feld aufgesucht wurde, für dessen Kultivierung indes auf Beiträge zurückgegriffen werden musste, die nicht selten einen allenfalls losen Bezug zu dem wenig konturierten Gegenstandsbereich aufweisen. Deshalb nimmt es auch nicht wunder, dass die Herausgeber darauf verzichtet haben, an irgendeiner Stelle des Bandes den Ertrag der Tagung zu bündeln. So fragt der geneigte Leser sich am Ende der Lektüre weiterhin, in welchem Zusammenhang historisches und biografisches Lernen stehen. Denn dass historische Erfahrungen stets und ausschließlich in biografischen Kontexten gemacht und verarbeitet werden (können), ist eine im vorliegenden Band allenfalls marginal zum Vorschein kommende, gleichwohl zentrale Problematik historischen Lernens, der in der Geschichtsdidaktik deutlich mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht werde sollte, als dies bislang der Fall ist.
Wolfgang Hasberg