Nir Arielli: Fascist Italy and the Middle East, 1933-40, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2013, XIV + 257 S., ISBN 978-0-230-23160-3, GBP 20,99
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Isabella Lazzarini: Communication and Conflict. Italian Diplomacy in the Early Renaissance, 1350 - 1520, Oxford: Oxford University Press 2015
Tiziana Di Maio: Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer. Zwischen Überwindung der Vergangenheit und europäischem Integrationsprozess (1945-1954), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2014
Thilo Baier: Italiens Österreichpolitik 1934-1938, Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2014
Deborah Cuccia: There are two German States and two must remain? Italy and the long Path from the German Question to the Re-unification, Hildesheim: Olms 2019
Es gehört zu den weniger bekannten Kapiteln der außenpolitischen Strategien von Benito Mussolini, die Freundschaft zum Islam zu propagieren und durch Beziehungen zu nationalistischen Führern im Nahen Osten, an Einfluss in der Region zu gewinnen. Diese pro-islamische Ausrichtung nach 1933 stand dabei im Widerspruch zu der vorangehenden Kolonialpolitik in Libyen.
Nir Arielli liefert in seiner empirischen Studie einen facettenreichen Einblick in die komplexen und vielfach gegensätzlichen Strategien, das faschistische Italien zur imperialen Großmacht im Mittelmeerraum auszubauen. Vor dem Hintergrund französischer und britischer Hegemonialansprüche, galt es den Balanceakt zu vollziehen, gleichzeitig internationale Anerkennung für das faschistische impero zu erreichen, ohne die politische Isolation Italiens infolge der Annexion Abessiniens (1935) voranzutreiben oder weitere koloniale Bestrebungen zu signalisieren.
Die bestehende historiographische Deutung der faschistischen Nahost-Politik wird dabei von zwei Ansätzen dominiert: Italienische Historiker um die De Felice-Schule interpretieren die pro-arabische Linie Italiens als Teil einer utilitaristischen Taktik, um Druck gegenüber Frankreich und Großbritannien aufzubauen. Dagegen überwiegt in der anglo-amerikanischen Debatte die Hervorhebung der ideologischen und expansionistischen Programmatik im Streben nach einem mediterranen spazio vitale.
Die vorliegende Studie versucht dagegen, sich mittels einer weder teleologischen, noch apologetischen Interpretation dem historischen Bedingungsfeld wie den einzelnen Faktoren anzunähern. Überzeugend plädiert der Autor im Rückschluss für ein Wechselspiel der drei Kernaspekte: Faschistischer Expansionismus, traditionelle außenpolitische und koloniale Erwägungen. Die Tragweite und Kontinuität der jeweiligen Strategien unterlagen dabei, so Arielli, maßgeblich pragmatischen Überlegungen und einer Anpassung an sich wandelnde Prioritäten. So mäßigte das Wissen um finanzielle und militärische Unterlegenheit gegenüber den europäischen Großmächten die hegemonialen Ambitionen Italiens bis zum Zweiten Weltkrieg und bedingte eine "no-war-Agenda". Um auf friedlichem Weg an "Land zu gewinnen", setzte Italien auf die Markterschließung im Nahen und Mittleren Osten (insbesondere Export von Waffen und Luftfahrt), eine vielseitige Propagandamaschine und die Festigung der Beziehungen zu Führungsfiguren (darunter Ibn Saud oder Shakib Arslan). Als Höhepunkt der pro-muslimischen Politik und deutlichste Provokation gegenüber britischen Interessen wertet Arielli die Einmischung Italiens in den arabischen Aufstand in Palästina. Neben substantieller finanzieller Unterstützung beinhaltete diese in der Zeit von 1933-38 die Lieferung von Waffen und militärischem know-how wie die Anstiftung zu antibritischen und in Teilen antijüdischen Ressentiments in der Bevölkerung.
Der Autor beleuchtet detailliert, inwieweit die komplexe und oftmals variierende Interessenlage italienischer Nahost-Politik auch bedingt wurde durch die unterschiedlichen Akteure, darunter Institutionen, die Kolonialverwaltung und die faschistische Führungsriege. Mit Blick auf die Entscheidungsträger im Nahen Osten, verdeutlicht er aber auch, wo die Grenzen italienischer Einflussnahme lagen. So scheiterte etwa wiederholt der Waffentransport nach Palästina durch Ibn Saud. Mit der Erschließung bisher vernachlässigter Quellen gelingt dabei ein ausgewogener Einblick in die Überlegungen und Konfliktlinien, auf deren Basis die Akteure im multilateralen Spiel der Zwischenkriegszeit agierten.
Das Bild Mussolinis als eines paternalistischen Freundes und Verteidigers der Muslime konnte nach 1938 nicht standhalten, in Anbetracht einer forcierten Massenimmigration nach Libyen und der Eroberung Albaniens. Das 1938 mit Großbritannien abgeschlossene Osterabkommen, mit dem Italien die Anerkennung seines Kolonialreichs erlangte, determinierte dabei gleichzeitig die Abkehr von der pro-islamischen und expansionistischen Agenda.
Der Ausbruch des zweiten Weltkriegs schuf kurzfristig verschobene Kräfteverhältnisse. Mit dem Angriff auf britische Stellungen in Ägypten im September 1940 durch den Oberbefehlshaber der italienischen Armee, Marschall Graziani, verdeutlichte Italien seinen Anspruch, Großbritannien als hegemonialen Rivalen nunmehr auch militärisch herauszufordern. Der Traum eines spazio vitale von Ostafrika über das Rote Meer, den Suez-Kanal bis zum Balkan erschien greifbar. Für dieses Vorhaben - hier liefert die vorliegende Untersuchung neue Erkenntnisse - bestanden bereits ambitionierte und detaillierte Pläne, denen es effektiv jedoch an militärischer, diplomatischer und propagandistischer Vorarbeit und Nachhaltigkeit mangelte.
Es zeichnet die differenzierte und ausgewogene Analyse aus, dass sie den Blick auf die Rezeption der Ereignisse nicht nur in Italien, sondern auch in den betroffenen Ländern der Region richtet. Diese Vielstimmigkeit, mit der die vorliegende Studie die diversen Faktoren der faschistischen Nahost-Politik rekonstruiert und miteinander verknüpft, ist ein großer Gewinn dieser Arbeit. Dabei gelingt es, die Widersprüche und strategischen Richtungswechsel in ihrer Komplexität nachvollziehbar abzubilden, ohne die Einordnung teleologisch zu reduzieren. Basiert die Recherche auf vornehmlich britischen und italienischen Quellen, wäre es für die Zukunft wünschenswert, wenn auch die relevanten arabischen Dokumente und Zeitzeugnisse von der Forschung berücksichtigt würden.
Sarah Spiegel