Manuel Köster / Holger Thünemann / Meik Zülsdorf-Kersting (eds.): Researching History Education. International Perspectives and Disciplinary Traditions (= Geschichtsunterricht erforschen; Bd. 4), Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2014, 319 S., ISBN 978-3-7344-0010-0, EUR 39,80
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Manuel Köster / Holger Thünemann / Meik Zülsdorf-Kersting (eds.): Researching History Education. International Perspectives and Disciplinary Traditions, 2. vollst. überarb. u. aktual. Aufl., Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2019
Lange Zeit war die internationale geschichtsdidaktische Forschungslandschaft durch eine ausgeprägte nationale Fragmentierung charakterisiert, die zum Teil bis heute anhält. Es ist deshalb zentral für die Weiterentwicklung der Disziplin, die unterschiedlichen Fachtraditionen zu erschließen, international zugänglich zu machen und aufeinander zu beziehen. Einige Veröffentlichungen hierzu liegen bereits vor, etwa die von Elisabeth Erdmann und Wolfgang Hasberg herausgegebene Publikation zu Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik in Europa. [1] Der hier besprochene, von Manuel Köster, Holger Thünemann und Meik Zülsdorf-Kersting herausgegebene Band schließt zum Teil daran an, konzentriert sich aber spezifischer auf die Forschungsseite. Er enthält Überblicksartikel zur Forschung zum Geschichtsunterricht in ausgewählten europäischen sowie einigen nicht-europäischen Staaten. Berücksichtigt sind Deutschland (Sebastian Bracke / Colin Flaving / Manuel Köster / Meik Zülsdorf-Kersting), Spanien und Lateinamerika (Mario Carretero), Kanada (Penney Clark), die Schweiz (Peter Gautschi), Polen (Violetta Julkowska), Österreich (Christoph Kühberger), England (Peter Lee), Finnland (Esko Nikander / Arja Virta), Frankreich (Nicole Tutiaux-Guillon), die Niederlande (Carla van Boxtel) und die USA (Sam Wineburg / Avishag Reisman). Aus dem Rahmen fällt ein Text Bodo von Borries' zu Mitschnitten bzw. Protokollen von Unterrichtsstunden als Quelle empirischer Forschung.
Mit dem Titel "Researching History Education" schließt der Band begrifflich an die angelsächsische Lehr-Lernforschung an, in der die empirische Forschung dominiert und der Begriff der Geschichtsdidaktik nicht üblich ist. Eine explizite und eindeutige Bestimmung dessen, was als "History Education Research" gelten soll und ob bzw. wie diese etwa vom traditionellen deutschen Selbstverständnis der Geschichtsdidaktik abzugrenzen ist, wird in der Einleitung jedoch nicht geliefert. In den Einzelbeiträgen nutzen die Autoren zum Teil unterschiedliche Definitionen, setzen unterschiedliche Akzente und berücksichtigen unterschiedliche Forschungsgebiete. Einige Artikel enthalten etwa Ausführungen zur Geschichte des Geschichtsunterrichts (z.B. Finnland) oder beziehen Forschungsfelder wie Untersuchungen zur Geschichte des Geschichtsunterrichts (z.B. Polen) und das Feld der Schulbuchforschung (z.B. Österreich) ein, während andere Artikel diese Felder ausklammern. Solche Inkonsistenzen sind durchaus akzeptabel, wenn sie Ausdruck unterschiedlicher Fachtraditionen sind. Denn ein Anliegen des Bandes ist es ja, so die Herausgeber in der Einleitung, nationale Forschungstraditionen vorzustellen. Das Fehlen einer klaren Definition des Gegenstandsbereiches wird aber dann zum Problem, wenn Teilbereiche der disziplinären Tradition aus dem Blick geraten, ohne dass dies in ausreichendem Maße offengelegt wird. Der Beitrag zu Deutschland etwa berücksichtigt ausschließlich die empirische Forschung und vernachlässigt damit Felder, in denen deutsche Forschung transnational wirksam war und ist: Theoretische Konzepte - wie das Konzept des Geschichtsbewusstseins - werden nur knapp in ihrer Relevanz für empirische Studien angesprochen. Ganz ausgeblendet wird der Bereich der Schulbuchforschung, für die Deutschland mit dem Georg-Eckert-Institut auch im internationalen Rahmen ein wichtiger Forschungsstandort ist.
Die Länderauswahl, die von den Herausgebern nicht weiter begründet wird, schließt wichtige nationale Fachtraditionen ein, wobei Osteuropa schwach vertreten ist. Die Erweiterung über Europa hinaus ist sehr zu begrüßen, wenngleich sie nur punktuell erfolgt und zum Beispiel eine Betrachtung asiatischer Länder ganz fehlt. In jedem Fall aber ist auf diese Weise die angelsächsische Forschung, die in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend Beachtung findet, auch über Artikel zu Kanada und den USA repräsentiert. Wineburgs und Reismans Abriss zur historischen Entwicklung der Disziplin im Kontext sich verändernder wissenschaftstheoretischer Paradigmen ist hilfreich, um US-amerikanische Forschungsbeiträge besser einordnen zu können. Ebenfalls sehr nützlich ist Clarks Artikel, der viele kanadische Arbeiten vorstellt und daneben auch die Struktur der Forschungslandschaft erläutert. Solche Informationen, etwa zu institutionell-personellen Zusammenhängen oder zur Forschungsförderung, finden sich in vielen Beiträgen des Bandes. In der Berücksichtigung solcher Kontextinformationen liegt ein Gewinn, erleichtern sie doch das Verständnis der jeweiligen Fachtraditionen.
Dass in den einzelnen Beiträgen, auf die hier aus Platzgründen nicht im Detail eingegangen werden kann, zahlreiche zentrale Studien genannt und oft auch in ihren Ergebnissen knapp beschrieben werden, ist wertvoll. Denn erschlossen werden auf diese Weise auch Forschungsbeiträge, die (nicht zuletzt aus sprachlichen Gründen) sonst schwer zugänglich sind. Dass dies häufig in deskriptiv-additiver Manier geschieht, macht die Lektüre allerdings bisweilen mühsam. Deshalb ist es besonders begrüßenswert, wenn Überblicksdarstellung und die vertiefte Diskussion sinnvoll ausgewählter Forschungsbereiche so miteinander verbunden werden wie beispielsweise im Beitrag Carla van Boxtels. Ihr Text nimmt zwei thematische Bereiche genauer in den Blick, in denen die niederländische Forschung ihrer Ansicht nach besondere Akzente setzen kann: das von ihr vertretene Konzept des "historical reasoning" und der Forschungsbereich, der sich mit der Vermittlung eines chronologischen Referenzrahmens im Geschichtsunterricht befasst.
Wie van Boxtel referieren auch andere Autoren ihre eigene Forschung. Denn als Beiträger für diesen Sammelband wurden renommierte Wissenschaftler gewonnen, die über hohe Sachkenntnis verfügen und vielfach selbst zentrale Forschungsbeiträge vorgelegt haben. Dass ihre Forschungsinteressen und -perspektiven sich auf die Schwerpunkte ihrer Texte auswirken, ist durchaus legitim, könnte aber an einigen Stellen deutlicher reflektiert werden (sehr explizit tut dies Peter Lee). Gerade mit Blick auf diese Problematik wären Kurzbiografien der Autoren hilfreich, die knappe Auflistung von Titeln und Universitäten am Ende des Bandes erscheint unbefriedigend.
Ein Schwachpunkt des Bandes ist die allzu knappe Einleitung, in der nicht offengelegt wird, wie der Band entstand und wie die Autoren gewonnen wurden. Die Herausgeber konstatieren Differenzen zwischen den einzelnen Beiträgen, verzichten aber darauf, diese Differenzen zu benennen, einzuordnen und zu diskutieren. Dies wäre sicherlich keine einfache Aufgabe gewesen. Ob der Verzicht darauf aber tatsächlich dem Ziel dienlich ist, einen differenzierten internationalen Dialog zu befördern, wie die Herausgeber anmerken, erscheint fraglich. Gleichwohl lässt sich festhalten, dass der Band viele interessante Einblicke in verschiedene Forschungstraditionen liefert und bei deren Erschließung von erheblichem Nutzen sein kann, nicht zuletzt als Nachschlagewerk.
Anmerkung:
[1] Elisabeth Erdmann / Wolfgang Hasberg (eds.): Facing - Mapping - Bridging Diversity. Foundation of a European Discourse on History Education, 2 Bände, Schwalbach/Ts. 2011.
Katja Gorbahn