Rezension über:

Thomas Casagrande: Südtiroler in der Waffen-SS. Vorbildliche Haltung, fanatische Überzeugung, Bozen: Edition Raetia 2015, 237 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-88-7283-539-5, EUR 24,90
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Rezension von:
Roman Töppel
München
Empfohlene Zitierweise:
Roman Töppel: Rezension von: Thomas Casagrande: Südtiroler in der Waffen-SS. Vorbildliche Haltung, fanatische Überzeugung, Bozen: Edition Raetia 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 1 [15.01.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/01/27927.html


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Thomas Casagrande: Südtiroler in der Waffen-SS

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Südtirol gehörte zu den wenigen deutschbesiedelten Gebieten des ehemaligen Habsburgerreichs, die Hitler nicht "heim ins Reich" holen wollte. Bereits in "Mein Kampf" verkündete er, er sei bereit, auf Südtirol zu verzichten, wenn er dafür Mussolini als Bündnispartner gewinnen könne. [1] Später, nach dem Angriff auf die Sowjetunion, planten die Nationalsozialisten, die Südtiroler auf der Krim anzusiedeln. [2]

Als Hitler 1938 den "Anschluss" Österreichs vollzog, hofften viele Südtiroler trotz seiner eindeutigen Stellung zur "Südtirol-Frage", dass nun auch ihre Heimat in das Deutsche Reich eingegliedert würde. Die Enttäuschung darüber, dass dies nicht geschah, war groß - aber nicht so groß, dass sie die Begeisterung für Hitler und sein nationalsozialistisches Deutsches Reich nachhaltig dämpfte. Das zeigt sich eindrücklich an der Haltung jener jungen Südtiroler, die sich ab 1939 freiwillig zur Deutschen Wehrmacht und zur Waffen-SS meldeten. Thomas Casagrande zeigt in seiner Studie über die Südtiroler in der Waffen-SS auf, dass die großdeutsch-nationalistische Gesinnung bei den jungen Freiwilligen größer war als die Bindung an die angestammte Heimat. Dies umso mehr, seit Mussolini in Südtirol eine Politik der Zwangs-Italianisierung verfolgte. Ab 1939 verließen von den 250.000 Südtirolern 70.000 ihre Heimat, um deutsche Staatsbürger zu werden. Allein 1939/40 entschieden sich insgesamt 5.354 Südtiroler dazu, ihren Militärdienst im Deutschen Reich abzuleisten, davon 4.269 bei der Wehrmacht und 1.085 bei der Waffen-SS. Insgesamt lag die Zahl der Südtiroler, die bis Kriegsende zur Waffen-SS einrückten, bei schätzungsweise 3.500 bis 5.000.

Für jene Südtiroler, die sich freiwillig zu den deutschen Waffen meldeten, bestand die Möglichkeit, zwischen dem Dienst in der Wehrmacht und der Waffen-SS zu wählen. Ein wichtiges Motiv der Freiwilligenmeldung war das Bestreben, dem italienischen Wehrdienst zu entgehen. Hinzu kam, dass viele junge Südtiroler den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs begeistert begrüßten. Anreize, sich zur Waffen-SS und nicht zur Wehrmacht zu melden, waren der Ruf der Waffen-SS als "Elitetruppe" und die vermeintliche oder tatsächliche Aussicht auf bessere berufliche Chancen. Auch die Konfession spielte eine Rolle: Manche Freiwilligen beseelte der Wunsch nach einem Bruch mit den altgewachsenen katholischen Strukturen, während sich andererseits viele Südtiroler gerade wegen ihres katholischen Glaubens lieber zur Wehrmacht als zur Waffen-SS meldeten, weil bei der Waffen-SS nachweislich ein "Klima aggressiver Antichristlichkeit" herrschte. [3] Überdurchschnittlich viele junge Männer entschieden sich für die Waffen-SS in Städten wie Bozen und Meran, da diese besonders stark von der Italianisierung betroffen waren. Dagegen hatte die NSDAP-Mitgliedschaft, so bemerkt Casagrande, oft keinen Einfluss auf die Meldung zur Waffen-SS.

Einige Südtiroler wurden unfreiwillig Zeugen des Holocaust. Denn nicht nur Mitglieder der Totenkopfverbände, sondern auch Freiwillige, die zuerst den Regimentern der SS-Verfügungstruppe bzw. den "klassischen" Frontverbänden der Waffen-SS angehörten, wurden mitunter zum Dienst in Konzentrationslagern abgestellt. Casagrande liefert damit einen weiteren Beleg für eine Tatsache, die ehemalige Soldaten der Waffen-SS oft nicht wahrhaben wollen oder leugnen: nämlich den - gerade vom Reichsführer-SS gewünschten und geförderten - Austausch von Personal zwischen den verschiedenen organisatorischen Gliedern der SS.

Auffällig, so Casagrande, war eine überdurchschnittlich gute zivile Ausbildung bei einer ganzen Reihe Südtiroler Freiwilliger. Dies stützt Bernd Wegners Befund, wonach es sich bei den SS-Führern allgemein keineswegs um unterdurchschnittlich gebildete Männer gehandelt habe, wie in mancher älteren Darstellung behauptet wurde. [4] Was die Wahl der Truppengattung betraf, wünschten sich viele Südtiroler Freiwillige einen Einsatz bei der Gebirgstruppe, da sie hier einen Bezug zu ihrer Heimat sahen. Sie kamen deshalb häufig zur 6. SS-Gebirgs-Division "Nord", später auch zur 24. Waffen-Gebirgs-(Karstjäger-)Division der SS. Ende 1943 wurden Südtiroler wegen ihrer italienischen Sprachkenntnisse bevorzugt zur Ausbildung italienischer SS-Freiwilliger herangezogen. Zu dieser Zeit waren bereits etwa 20.000 Südtiroler zu Wehrmacht und Waffen-SS eingezogen worden. Konnten bereits ab August 1941 auch Südtiroler, die für Deutschland optiert hatten, aber in Südtirol geblieben waren, zum Wehrdienst im Deutschen Reich eingezogen werden, so galt ab Anfang 1944 die Wehrpflicht bei den deutschen Streitkräften für alle Südtiroler, nicht mehr nur für die "Optanten".

Solche allgemeinen Informationen über die Südtiroler Waffen-SS-Angehörigen und die statistischen Daten illustriert Casagrande schon im ersten Teil seiner Studie immer wieder mit konkreten Lebensläufen. Im zweiten Teil der Arbeit untersucht Casagrande als Fallstudie den Lebenslauf seines Vaters, den der Autor exemplarisch für den Einsatz von Südtirolern in der Waffen-SS sieht. Die Antwort von Casagrande Senior auf die Frage seines Sohnes, warum er "nicht, wenn er doch nun schon alles über die Verbrechen wusste, im Nachhinein wenigstens bereuen und den Krieg, die SS und den Nationalsozialismus verdammen könnte", ist wohl tatsächlich beispielhaft für die Wahrnehmung vieler ehemaliger SS-Veteranen: "Er habe diesem System seine Jugend, seine Gesundheit und die besten Jahre seines Lebens geopfert. Wenn er sich nun eingestehe, dass das alles falsch gewesen sei, wisse er nicht, woher er die Kraft zum Weiterleben, zum Arbeiten, für die Familie hernehmen solle." (178)

Insgesamt liefert Thomas Casagrande einen gut lesbaren und interessanten Beitrag zur Forschung über die Waffen-SS. Zu bemängeln gibt es daran nur Kleinigkeiten: So war Joachim Peiper nicht "jüngster SS-General" (8); er erreichte lediglich den Rang eines SS-Standartenführers, was in der Wehrmacht dem Dienstgrad Oberst entsprach. Zudem ist die Nummerierung der SS-Divisionen nicht immer richtig: "Das Reich" war nicht die 3. und "Totenkopf" nicht die 2. SS-Division, sondern umgekehrt. (45, 48, 52). Die 21. Waffen-Gebirgs-Division der SS hieß "Skanderbeg", nicht "Skanderberg" (66), und der deutsche Panzervorstoß nach Kowel erfolgte im März 1944, nicht 1943 (94). Diese Fehler sind jedoch kaum der Rede wert und beeinträchtigen nicht den soliden Eindruck, den die Studie hinterlässt.


Anmerkungen:

[1] Christian Hartmann / Thomas Vordermayer / Othmar Plöckinger / Roman Töppel (Hgg.): Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition, München 2016, Bd. 2, Kapitel 13, 1543-1623.

[2] Jürgen Matthäus / Frank Bajohr (Hgg.): Alfred Rosenberg. Die Tagebücher von 1934 bis 1944, Frankfurt/M. 2015, 446.

[3] Bernd Wegner: Hitlers Politische Soldaten: Die Waffen-SS 1933-1945. Leitbild, Struktur und Funktion einer nationalsozialistischen Elite, Sechste Auflage, Paderborn 1999, Zitat 250, Anm. 116.

[4] Ebenda, 228.

Roman Töppel