Julia Abel: Walter Benjamins Übersetzungsästhetik. Die Aufgabe des Übersetzers im Kontext von Benjamins Frühwerk und seiner Zeit, Bielefeld: Aisthesis Verlag 2014, 403 S., ISBN 978-3-8498-1094-8, EUR 45,00
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Die auf ihrer Dissertation basierende Monographie Julia Abels stellt Walter Benjamins Essay "Die Aufgabe des Übersetzers" in den Kontext seiner Entstehungsgeschichte, in dem die Autorin den Essay als Reaktion auf zeitgenössische Debatten in Philosophie und Literatur situiert. Dabei verortet Abel sowohl den Essay als Antwort auf ästhetische Konzepte aus dem George-Kreis, Rudolf Borchardts und Hugo von Hofmannsthals als auch die in Bezug auf Benjamin lange vernachlässigte Bedeutung der von Norbert von Hellingrath wiederentdeckten Pindar-Übertragungen von Hölderlin aus dem Jahre 1911 in das Zentrum ihrer kenntnisreichen Analyse.
Das Buch ist in zwei Teile aufgebaut. Teil 1 setzt den Fokus auf "Wahrheit, Sprache und Darstellung. Erkenntnis-und sprachkritische Fundamente von Benjamins Übersetzungskonzeption." Hier wird der Erkenntniskritik in Benjamins Frühwerk (Kapitel 1), der Sprachkritik in Benjamins Frühwerk (Kapitel 2) unter Einbeziehung der Sprachkrise in der Moderne, der philosophischen Darstellung in Benjamins Frühwerk (Kapitel 3) nachgegangen. Teil 2 der Studie befasst sich mit "Kunstwerk, Kritik und Übersetzung. Die 'Aufgabe des Übersetzers' und ihre ästhetischen Voraussetzungen." Im Mittelpunkt dieses Teils stehen die Konzeption einer Autonomie der Kunstwerke (Kapitel 4), das Leben der Werke und ihre Übersetzbarkeit (Kapitel 5) und das 'Verhältnis der Sprachen zueinander' (Kapitel 6).
Der von Benjamin verfasste Essay "gilt als ein Meilenstein in der Geschichte der Übersetzungstheorie" (7), dessen Bedeutung bis heute in den Postcolonial und Gender Studies ungebrochen ist. Entgegen der in der Forschung vorherrschenden These eines von den zeitgenössischen Debatten abgewandten Autors, gelingt es Abel, Benjamin auch durch dessen Lektüren während der Arbeit am Essay ins Zentrum dieser Debatten um eine Sprachkrise der Moderne und deren philosophische, literarische und sprachkritische Betrachtungen zu stellen. Darüber hinaus verdeutlicht die Studie, dass Benjamin sich bereits mit diesem Essay als eigenständiger Denker einer literarisch interessierten Öffentlichkeit präsentieren konnte. Benjamins Übersetzer-Essay ist nach Inhalt und Form klar esoterisch ausgerichtet, indem Benjamin den Vorgang des Übersetzens philosophisch zu reflektieren trachtete (24). Bereits in seinen Briefen von 1915 bezog sich Benjamin auf seine im Entstehen begriffenen Baudelaire-Übersetzungen (8), die dann schließlich 1923 in seiner Übersetzung von Baudelaires "Tableaux parisiens" mit dem Übersetzer-Essay als Vorwort publiziert wurden.
Damit nahm Benjamin direkt Bezug auf Stefan George, dessen deutsche Umdichtung von Baudelaires' "Les Fleurs du Mal" das erste Mal 1891 erschienen war und große Wirkung erzielt hatte. Es zeigt sich jedoch, dass Benjamin sich trotz aller Nähe zu George und dessen Kreis doch zentral von diesen distanzierte, wenn es darum ging, durch seine Übersetzung über die literarische Übersetzung selbst hinauszugehen - und damit dem elitären Selbstverständnis des George-Kreises konträr gegenüberstand: "Doch verabschiedet er sich von der im George-Kreis herrschenden Vorstellung, der Künstler selbst sei ein 'Schöpfer' und sein 'Werk' heilig, dessen 'Dichterisches' unantastbar und daher einer kritischen Analyse unzugänglich." (374) Dadurch widersprach Benjamin die dem George-Kreis innewohnende Vorstellung von Herrschaft und Machtanspruch und setzte dem ein auf "Versöhnung und Gleichberechtigung der Sprachen" ausgerichtetes Konzept von Übersetzung - auch durchaus ganz direkt gegen den George-Kreis - entgegen (325-349).
Abels Studie verdeutlicht zudem, dass der Übersetzeraufsatz gemeinsam mit den anderen Schriften im Frühwerk Benjamins in Bezug auf "Wahrheit, Sprache, Darstellung und Kunstwerk" (375) gelesen und eingeordnet werden muss. Im Essay präsentiere sich Benjamin ganz als Philosoph und seine Sprachauffassung, so Abel, sei nicht wie häufig in der Forschung missverstanden theologisierend aufzufassen. Konsequenterweise erkläre Benjamins Sprachbegriff moderne Literatur nicht nur, sondern verleihe ihr eine "erkenntnistheoretische Funktion" (149). Und hinter dieser stehe die "Metaphysik der Sprache [als] das Konzept der reinen Sprache." (376) Dieser hier von Benjamin vollzogene linguistic turn griff zentrale Vorstellungen der Sprachkrise der Moderne auf und wurde, so Abel, zeitlich auch von Wittgenstein vollzogen (57-79). Benjamins Selbstverständnis als Metaphysiker der Sprache machte für ihn zudem die Abgrenzung vom politischen Schrifttum der Zeit nötig, was auch dazu führte, dass er die Mitarbeit an Martin Bubers Zeitschrift "Der Jude" ablehnte. (125-134)
Nicht ganz deutlich geworden ist in der Studie, in welchem Maße sich Benjamin "an der jüdischen Vorstellung eines ursprünglich paradiesischen Zustands und einer nach dem Sündenfall unerlösten Welt orientiert." (376) Diese Zusammenhänge hätten durch eine tiefergehende Betrachtung auch der innerjüdischen Debatten nur zusätzlich erhellend wirken können. Dessen ungeachtet kommt der wichtigen Studie Julia Abels eine substantielle Bedeutung hinsichtlich der Rekonstruktion des Übersetzer-Essays im Frühwerk Walter Benjamins und seiner Zeit zu.
Carsten Schapkow