Jennifer Bleek: Blick und Welt. Filmästhetische Konstruktionen beim frühen Terrence Malick, München: Wilhelm Fink 2009, 231 S., ISBN 978-3-7705-4788-3, EUR 34,90
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Ein dampfbetriebener Güterzug auf einer Brücke / In leichter Untersicht durchquert er förmlich den Himmel / Ärmlich gekleidete Menschen drängen sich auf den Dächern der Waggons / Die Felder von Texas im warmen Licht der tiefstehenden Sonne.
Mit diesen surrealen Eindrücken beginnt der Film DAYS OF HEAVEN (1978), mit dem Terrence Malick bildgewaltig die Zeit der Industrialisierung wieder heraufbeschwört. Doch Malicks Welt ist komplexer als die ästhetisch durchkomponierte Oberfläche vermuten lässt: Neben Gitarrenmusik erklingt die Stimme eines jungen Mädchens, das im Südstaatensingsang über seinen Bruder spricht, der seine Geliebte ebenfalls als Schwester ausgibt: "You know how people are - you tell 'em something, they start talkin." - Die ästhetische Darstellung von Welt wird vermischt mit einer impliziten philosophischen Ergründung des Lebens darin.
Jennifer Bleek legt mit ihrer Dissertationsschrift Blick und Welt eine genaue Untersuchung dieses besonderen Verhältnisses von Filmästhetik und Philosophie vor. Der Fokus liegt auf zwei Filmen, die etwas weitgreifend als "Frühwerk" bezeichnet werden: BADLANDS (1973) und DAYS OF HEAVEN. Mit dieser Auswahl knüpft Bleek an einige Aspekte des zwei Jahre zuvor erschienenen Sammelbandes The Cinema of Terrence Malick (2007) an - sei es die enge Verknüpfung der beiden genannten Filme oder auch der Bezug zur Philosophie Martin Heideggers.
Fast schon symptomatisch für eine wissenschaftliche Qualifikationsarbeit wirkt der kleinteilige, mit vielen Zwischenüberschriften versehene Aufbau von Blick und Welt etwas schematisch. Zum Teil ergeben sich hierdurch auch Redundanzen, beispielsweise wenn am Anfang jeden Kapitels die vorangegangenen Arbeitsschritte rekapituliert werden. Methodisch bedient sich Bleek der beschreibenden Filmanalyse und stellt zahlreiche Anschlüsse zu Gesellschaft, Geschichte und Philosophie her.
Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil beschäftigt sich mit Konventionen, amerikanischen Mythen und Kontingenz in BADLANDS. Diese thematischen Schwerpunkte werden in präzise Sequenzanalysen eingebunden. Insbesondere Realitätsbezüge und die Rolle von Genretraditionen, aber auch das "imaginative Potential der Bilder" (24) sowie die Ästhetik und Funktion des Tons werden anschaulich herausgearbeitet.
Im zweiten Teil stehen Weltbezug und Historizität in DAYS OF HEAVEN im Mittelpunkt. Zwar legt Bleek überzeugend dar, wie Malick die teils historisch-dokumentarischen Fotografien am Filmanfang in Stimmungsbilder überführt. Die Untersuchung der Konzeption von Subjektivität, sowie die Auseinandersetzung mit der Inszenierung der Natur zeigt aber, dass der Fokus deutlich stärker auf ästhetischen, kunst- und filmgeschichtlichen anstelle von historischen Aspekten liegt. Den Abschluss dieses Kapitels bildet der kurze Hinweis auf ein "ambivalentes Bild der Geschichte Amerikas" (135f.). Leider sind diese Überlegungen auf eine Dreiviertelseite komprimiert; hier hätte ausführlicher argumentiert werden können - auch im Hinblick auf konkurrierende Geschichtsvorstellungen und -bilder.
Der dritte Teil des Buches stellt auf Grundlage von Malicks Biografie Bezüge zum Werk Martin Heideggers her. Hierbei werden die bereits zuvor etablierten Leitbegriffe "Blick", "Natur" und "Welt" kulturhistorisch und philosophisch reflektiert. Auch in der Filmwissenschaft werden Anschlüsse gesucht: Der Vergleich von Heideggers "Störung der Verweisung" mit Deleuzes "Lockerung der sensomotorischen Verbindung" wird jedoch recht knapp abgehandelt und wirkt hierdurch wie ein etwas halbherziger Legitimationsversuch der Verknüpfung von Film und Philosophie. In Bezug auf den "Blick" ist erstaunlich, dass Vivian Sobchacks phänomenologischer Ansatz (The Address of the Eye, 1991) keine Erwähnung findet. Die Untersuchung von direkten Anschlüssen zwischen Malicks Filmen und Heideggers Philosophie wirken wiederum sehr durchdacht: Heidegger begreift "Welt" als eine sich sowohl den Sinnen entziehende, als auch auf sie zurückwirkende Erfahrung. Wenn Malick nun kraft der Filmästhetik innere Bilder erzeugt, wo das konkrete filmische Bild die Welt nicht als tatsächliche Begebenheit darstellen kann (183), dann sieht Bleek darin zu Recht eine Parallele. Diese Zusammenhänge hätten auch im Rahmen von filmischer Historizität weitergedacht werden können.
Zwar wurden mittlerweile in Stuart Kendalls und Thomas Deane Tuckers Sammelband Terrence Malick. Film and Philosophy (2011) weitere Untersuchungen zu den philosophischen Aspekten in Malicks Werk vorgenommen. Auch die besondere Form der Historizität findet mit dem Begriff der Nostalgie in Michael Peklers und Dominik Kamalzadehs Buch Terrence Malick (2013) ihren neuesten Ausdruck. Jennifer Bleeks Buch bietet jedoch eine in sich sehr schlüssige Einführung in diese Themen, deren Stärken weniger in der Untersuchung von Historizität als in den genauen, ästhetisch ausgerichteten Filmanalysen zu BADLANDS und DAYS OF HEAVEN liegen.
Rasmus Greiner