Florian Bock / Christian Handschuh / Andreas Henkelmann (Hgg.): Kompetenzorientierte Kirchengeschichte. Hochschuldidaktische Perspektiven "nach Bologna" (= Theologie und Hochschuldidaktik; Bd. 6), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2015, 220 S., ISBN 978-3-643-13007-5, EUR 29,90
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Der "Pisa-Schock" wurde zur Initialzündung der Neuorientierung schulischer Bildung. Dabei geht es seit Jahren nicht nur um Strukturfragen, sondern um eine Neuorientierung des Lernens selbst. In Bildungsstandards wurde festgelegt, was Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer schulischen Bildungslaufbahn empirisch überprüfbar können sollen. Lernprozesse sollen daher "kompetenzorientiert" angelegt sein, das heißt auf den Erwerb von beobachtbaren Fähigkeiten ausgerichtet.
"Nach Bologna" scheint sich die universitäre Lehre auf einen ähnlichen Weg begeben zu haben. Das Schlagwort "Verschulung" lässt sich dabei nicht nur auf hochreglementierte Studienverläufe und die Erhöhung der Prüfungsleistung von Studierenden beziehen, sondern auch auf die Gestaltung der Lehre. Dieser Eindruck drängt sich jedenfalls nach Lektüre des vorliegenden Sammelbandes auf. Den Herausgebern geht es darum "auszuloten, wie sich in der Praxis Kirchengeschichte kompetenzorientiert lehren lässt" (7). Dies geschieht am Beispiel von sechs kirchenhistorischen Lehrveranstaltungen, die in Praxisberichten von den Lehrenden selbst beschrieben und in Ansätzen reflektiert werden. Gemeinsam ist ihnen die Orientierung an einem vom Hochschuldidaktiker und Theologen Oliver Reis in einem vorgeschalteten grundlegenden Beitrag ausformulierten Konzept von Kompetenzorientierung. Den Abschluss des Bandes bilden drei Beiträge, die die Ergebnisse aus Sicht eines Historikers (Hiram Kümper), eines Religionsdidaktikers (Hans Mendl) und eines Hochschuldidaktikers (wiederum Oliver Reis) reflektieren und kritisch bewerten. Die grundsätzliche Angemessenheit einer kompetenzorientierten Lehre an der Universität steht dabei in keinem Beitrag zur Debatte. Nur Hiram Kümper problematisiert in Ansätzen die möglichen Folgen einer allzu affirmativen Übernahme für die Fachkultur der Geisteswissenschaften. Sehr deutlich zeigt die Gesamtschau der Beiträge aber Chancen und Probleme einer kompetenzorientierten Gestaltung kirchengeschichtlicher Lehrveranstaltungen in der Praxis. Die Befunde dürften sich dabei auf andere kulturwissenschaftliche Fächer übertragen lassen.
Es klingt zunächst banal, mit Blick auf die nach wie vor unreflektierte, vor allem Traditionen und vermeintlichen Konventionen folgende Gestaltung vieler Lehrveranstaltungen, ist es aber durchaus bemerkenswert, dass die Orientierung an Kompetenzen offenbar zu erheblichen Innovationen in der Planung und Durchführung ganz unterschiedlicher Veranstaltungstypen führt. Kennzeichnend ist das Bemühen um eine Steigerung der Aktivität der Studierenden. Geht es doch darum, dass sie beobachtbare Fähigkeiten zeigen sollen. So wurden Vorlesungen immer wieder durch Austauschimpulse und Diskussionen unterbrochen (vergleiche die Beiträge von Ines Weber, Bernhard Schneider) und in Seminaren wurden unterschiedliche Lernprodukte in der Präsenzzeit erstellt und verhandelt (vergleiche die Beiträge von Ines Weber, Andreas Weckwerth und Monika Tautz / Christian Handschuh). Angeregt wurde auch die Gestaltung eines Hauptseminars nach dem Prinzip des "forschenden Lernens", wobei die Studierenden die Ergebnisse ihrer aufwendigen Archivstudien am Ende in Form von Zeitungsartikeln der Öffentlichkeit präsentierten (Beitrag Daniel Blum / Florian Bock / Andreas Henkelmann).
Auf eine in den Praxisbeiträgen sichtbar werdende grundlegende Problematik kompetenzorientierter Gestaltung kirchengeschichtlicher Lehrveranstaltungen machen schon Kümper und Reis in ihren instruktiven Reflexionen aufmerksam: Es fällt den Beiträgern erkennbar schwer, nicht nur Kenntnisse, sondern empirisch überprüfbare und graduierbare Fähigkeiten anzugeben, über die die Studierenden nach Besuch der jeweiligen Lehrveranstaltung verfügen sollen. Dabei ist gerade die Modellierung solcher "Learning Outcomes" wesentlich für kompetenzorientierte Lehre (vergleiche Beitrag Reis). Die Gründe für die Probleme sind vielfältig. So ist auf grundsätzlicher Ebene bisher weitgehend ungeklärt, was überhaupt spezifisch kirchenhistorische Kompetenzen sind. Welche originären Fähigkeiten, welches die Anforderungen der späteren Tätigkeiten antizipierendes Handlungswissen kann nur und muss folglich in dieser Disziplin erworben werden? Hier mag ein Blick auf die intensive geschichtsdidaktische Diskussion, die in vielen Beiträgen zu finden ist, sehr hilfreich sein. Angesichts des Selbstverständnisses der Kirchengeschichte als theologische Disziplin verbieten sich aber einfache Übernahmen.
Auch die Konzeption, Beschreibung und Initiierung von Handlungssituationen, in denen die angestrebten komplexen "Learning Outcomes" am Ende einer Veranstaltung überhaupt sicht- und messbar werden können, bereiten Schwierigkeiten. Hierfür scheinen verbreitete und relativ leicht zu kontrollierende Überprüfungsformen wie Klausur, Prüfungsgespräch oder schriftliche "Hausarbeit" kaum geeignet zu sein. So geht beispielsweise Ines Weber mit keinem Wort auf die konkrete Konzeption ihrer die Vorlesung abschließende Klausur ein. Es bleibt vollständig unklar, wie in dieser Form ihre anspruchsvoll formulierten "Learning Outcomes" sichtbar gemacht werden sollen.
Einen anderen Weg gehen Blum / Bock / Henkelmann und Tautz / Handschuh, die ans Ende ihrer Lehrveranstaltungen komplexe Anforderungssituationen stellen, die versuchen, die künftige berufliche Praxis der Studierenden zu antizipieren. Dies zieht jedoch eine erhebliche Erhöhung des Arbeitsaufwandes für Studierende und Lehrende nach sich und scheint zudem nur in überschaubaren Lerngruppen durchführbar. Hinzu kommt, dass sich die hier verlangten Kompetenzen wegen ihrer Komplexität kaum eindeutig und messbar aufschlüsseln lassen.
Liest man den Sammelband als erste, noch tastende Exploration auf dem Feld kompetenzorientierter kirchengeschichtlicher Lehrpraxis, erscheint er sehr gelungen. Chancen, Grenzen und offene Fragen einer kompetenzorientierten Lehre zeichnen sich deutlich ab. Leider zieht sich durch viele Beiträge der exzessive Gebrauch eines auf den ersten Blick hermetischen Fachvokabulars. Für mit der Kompetenzdiskussion bereits Vertraute mag dies zur begrifflichen Präzision und Trennschärfe beitragen. Bei Skeptikern einer Neuorientierung wird es eher die Zurückhaltung verstärken, didaktisch orientierungssuchende Lehrende abschrecken. Das wäre angesichts des insgesamt in dem Band sichtbar werdenden Innovationspotentials der Kompetenzorientierung zu bedauern.
Christian Schmidtmann