Kristina Freienhagen-Baumgardt / Werner Williams-Krapp (Hgg.): Johannes Geiler von Kaysersberg - Die Augsburger Predigten. Unter Mitarbeit von Katrin Stegherr (= Deutsche Texte des Mittelalters; Bd. XCII), Berlin: De Gruyter 2015, XXXX + 591 S., 5 Farbtafeln, ISBN 978-3-11-041796-8, EUR 129,95
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Johannes Geiler von Kaysersberg (gest. 1510) gilt als einer der bedeutendsten Prediger des späten Mittelalters und der beginnenden Frühen Neuzeit. Grob geschätzt dürfte er während seiner Zeit als Münsterprädikant in Straßburg und als geistlicher Betreuer dortiger Frauen- und Männerklöster 4500 Predigten gehalten haben, von denen sich rund 1300 in unterschiedlichen Formaten erhalten haben. Darunter befinden sich von ihm selbst redigierte oder authentisierte Texte sowie gedruckte und ungedruckte Mit- und Nachschriften, welche zum Teil erst nach seinem Tod erschienen sind. Ohne die an anderer Stelle ausführlich dargelegte komplizierte Überlieferungsgeschichte ausbreiten zu wollen, muss doch festgehalten werden, dass das umfangreiche Corpus der Geiler zugeschriebenen Kanzelreden und Unterweisungstexte sowohl von germanistischer wie von historischer Seite inzwischen als gut erforscht gelten darf. [1]
Leider jedoch sind bislang alle Versuche, dieses Œuvre (unter Einschluss sowohl der Handschriften als auch der Drucke) kritisch zu edieren, gescheitert. Schon der Straßburger Drucker Johannes Grüninger hatte zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine Gesamtausgabe erfolglos geplant. Auch die Editionspläne des großen Kenners elsässischer Kirchengeschichte, Luzian Pfleger, fanden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts keine Erfüllung. Zuletzt war der Sprachwissenschaftler Gerhard Bauer, bis 1994 Professor an der Universität Mannheim, gezwungen, nach drei erschienenen Bänden die weitere Herausgabe des Predigtwerks Geilers einzustellen. Selbst das von den beiden Germanisten Volker Mertens und Hans-Jochen Schiewer angestoßene, ambitionierte Repertorium zu den ungedruckten deutschsprachigen Predigten des Mittelalters, darunter solche aus dem von Johannes Geiler betreuten Dominikanerinnenkloster St. Nikolaus in undis, gelangte nie in den Druck, wenngleich die Ergebnisse dieses zwischen 1990-2002 von der DFG geförderten Projektes inzwischen eingespeist werden in die Datenbank des seit 2010 wieder von der DFG unterstützten Eichstätter Projektes "Predigt im Kontext" (Leiter: Rudolf K. Weigand, http://pik.ku-eichstaett.de). [2]
Angesichts dieser Lücken ist das Erscheinen des hier anzuzeigenden Bandes umso mehr zu begrüßen, welcher die von Johannes Geiler während seines Aufenthalts im Herbst / Winter 1488 in Augsburg gehaltenen Predigten in einer vorbildlichen kritischen Edition präsentiert. Auch dieses von Werner Williams-Krapp (bis 2011 Professor für deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters an der Universität Augsburg) geleitete Projekt hatte die DFG zwischen 2005 und 2011 großzügig gefördert, wie das Vorwort zur Kenntnis gibt.
Das Textcorpus besteht aus 25 Predigten, darunter die Reihenpredigten zum Thema "Berg des Schauens" sowie "Von den Eigenschaften des Pilgers". Das Corpus muss als "spektakuläre Form der Predigtüberlieferung" bezeichnet werden (XXIV), gehen doch die fünf (davon zwei wohl im Autograph) erhaltenen, im Umfang abweichenden Handschriften auf die Mit- und Nachschriften des Augsburger Webers Jörg Preinig zurück. Preinig gilt als ein durchaus gebildeter, selbst ernannter Laienpriester, der möglicherweise den Waldensern nahestand (wie seine Eigenbezeichnung bruoder nahelegt) und dessen kirchenkritischen Äußerungen schließlich zu seiner Verbannung aus Augsburg 1504 führten. Der aufsässige Weber zeigte sich von den anspruchsvollen Auslegungen des schon berühmten Straßburger Münsterpredigers höchst angetan, denn - wie Kristina Freienhagen-Baumgardt und Werner Williams-Krapp eindrucksvoll nachweisen können - er fertigte entsprechende Faszikel der einzelnen Predigten an, um sie dann als Textsample zusammenzustellen und zu vertreiben. Rätselhaft bleibt jedoch noch immer, wie es Preinig gelang, diese Nachschriften herzustellen. Die These, Johannes Geiler selbst könne seine (stets lateinisch verfassten) Notizen eigenhändig an den Schwärmer Preinig übergeben haben, scheint allerdings wenig überzeugend, denn dafür stand Geiler selbsternannten Predigern, erst recht wenn ihnen der Geruch des Ketzertums anhaftete, ausgesprochen ablehnend gegenüber. Da die germanistische Predigtforschung längst mit dem Mythos aufgeräumt hat, Mit- und Nachschriften seien allein durch phänomenale Gedächtnisleistungen entstanden, bleiben jedoch nur noch wenige Möglichkeiten offen. Das Bearbeiterteam der Edition schlägt daher vor, eine Gruppe von Mit- und Nachschreibern anzunehmen (XXIII), die Preinig mit entsprechenden Mitschriften beliefert hätten. Immer noch anzunehmen ist das Verfahren der direkten Mitschrift (reportatio), die sich einer (wie auch immer gearteten) Kurzschrift bediente. Auf diese Weise hat zum Beispiel der Tuchscherer Benedetto di maestro Bartolomeo einen guten Teil der Predigten des Bernhardin von Siena mitnotiert.
Die Eingriffe in den verschiedenen Texten zeigen - so die schlüssige Interpretation der Bearbeiter -, dass sich die Redaktoren bewusst waren, keine vom Prediger selbst authentisierte Version zu benutzen. Wohl auch deshalb ließ sich kein Drucker für die Mit- und Nachschrift finden (XXIX). Gerade dieses Argument macht erneut deutlich: Hätte Preinig die Notizen Geilers besessen (vielleicht auch über Mittelsmänner), dann wäre als ultimative Authentisierungsstrategie sicher ein Verweis auf diese legitimierende Provenienz erfolgt.
Kristina Freienhagen-Baumgardt und Werner Williams-Krapp erschließen die fünf Handschriften vorbildlich im Einleitungsteil, unter anderem mit Informationen zur Überlieferung, zur Corpusgeschichte oder zu den von Geiler benutzen Quellen (darunter natürlich an prominenter Stelle Jean Gerson). Die synoptische Textedition macht eine vergleichende Benutzung einfach. Namensverzeichnis, Glossar und Literaturverzeichnis runden den gelungenen Band ab. Die Edition erweist sich als ein Zeugnis vorbildlicher Grundlagenforschung. Ihr Wert kann demnach kaum hoch genug angesetzt werden. Zu wünschen bleibt ihr daher eine angemessene Rezeption in der internationalen, breit aufgefächerten und gut positionierten Predigtforschung. [3]
Anmerkungen:
[1] Vgl. nur Rita Voltmer: Wie der Wächter auf dem Turm. Ein Prediger und seine Stadt - Johannes Geiler von Kaysersberg (1445-1510) und Straßburg, Trier 2005, zuletzt: Dies.: Political Preaching and a Desgin of Urban Reform: Johannes Geiler of Kaysersberg and Strasbourg, in: Franciscan Studies 71 (2013) 71-88, oder Thomas Frank: Heilsame Wortgefechte. Reformen europäischer Hospitäler vom 14. bis 16. Jahrhundert, Berlin 2014, 223-236.
[2] Balázs J. Nemes: Der 'entstellte' Eckhart. Eckhart-Handschriften im Straßburger Dominikannerinnenkloster St. Nikolaus in undis, in: Stephen Mossman / Nigel F. Palmer / Felix Heinzer (Hgg.): Schreiben und Lesen in der Stadt: Literaturbetrieb im spätmittelalterlichen Straßburg, Berlin 2012, 39-93, hier 53; http://pik.ku-eichstaett.de/kooperationen.html.
[3] Erinnert sei hier an die 1988 offiziell gegründete International Medieval Sermon Studies Society und die Publikationsreihe Sermo. Studies on Patristic, Medieval, and Reformation Sermons and Preaching.
Rita Voltmer