Detlef Döring: Studien zur Wissenschafts- und Bildungsgeschichte in Deutschland um 1700. Gelehrte Sozietäten - Universitäten - Höfe und Schulen. Hg. v. Joachim Bahlcke und Mona Garloff (= Jabloniana. Quellen und Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit; Bd. 5), Wiesbaden: Harrassowitz 2015, 284 S., ISBN 978-3-447-10425-8, EUR 64,00
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Der im April 2015 verstorbene Leipziger Historiker Detlef Döring hat das Erscheinen dieses Bandes mit einer Auswahl seiner Aufsätze zur Frühen Neuzeit nicht mehr erlebt. Zu einer festen Größe in der Erforschung der Frühen Neuzeit ist Döring seit den frühen 90er-Jahren vor allem durch zahlreiche Arbeiten über Samuel Pufendorf geworden [1], dann durch die zusammen mit Wilhelm Schmidt-Biggemann besorgte Ausgabe von Pufendorfs Gesammelten Werken (mit dem Briefwechsel in Bd. 1/1996), von der bisher acht Bände erschienen sind und die lange Zeit ein großes Desiderat gewesen war, und schließlich durch die Edition des Briefwechsels von Johann Christoph Gottsched, einschließlich desjenigen seiner Frau Luise Adelgunde Gottsched, von dem bereits drei Bände vorliegen. Hinzu kamen Studien und Sammelbände zu gelehrten Sozietäten [2], zur Leipziger Universitätsgeschichte [3] und zu vielen der großen und kleineren Gestalten der Gelehrtenkultur der Regionen und Zentren des mittleren und nördlichen Deutschland zwischen dem späten 16. und dem 18. Jahrhundert.
Gewichtige Beiträge aus zwei Jahrzehnten zu vielen dieser Forschungsfelder sind auch im vorliegenden Band enthalten, der in der kulturgeschichtlichen Schriftenreihe der Jablonski-Forschungsstelle des Historischen Instituts der Universität Stuttgart erschienen ist. In der dem Geleitwort der Stuttgarter Herausgeber folgenden Einleitung konnte Döring noch einige Positionsbestimmungen und Intentionen seiner Forschungen formulieren, was gerade auch dem kritischen Leser der hier versammelten Abhandlungen deren Einschätzung gewiss erleichtert, zumal Aussagen zur Methode oder gar Theorie in den Beiträgen selbst kaum begegnen.
Der Band ist nach drei institutionellen Schwerpunkten gegliedert: dem Bereich der "Gelehrten Sozietäten", den "Universitäten" und den "Höfen und Schulen". In allen Fällen geht es Döring um Wissenschaft und Bildung in ihren institutionellen, regionalen und lokalen sowie personellen Bedingungen und Leistungen, und dazu gehören nach seiner Überzeugung nicht weniger der gelehrte Unterricht an den höheren Schulen und die Kulturpolitik der höfischen Zentren. Im zuerst genannten Bereich ist alleine die detaillierte Behandlung der "gelehrten Kollegien" wie etwa des Leipziger Collegium Gellianum (die institutionelle Basis der Acta Eruditorum) gewinnbringend, weil sie die eminente Differenzierung dieser akademischen Organisationsform, auch mit zunehmend fließenden Grenzen zu den "gelehrten Gesellschaften", also den "Sozietäten" neuerer Art, anschaulich macht. Der Ursprung der collegia in den frühesten Universitäten nördlich der Alpen im 14. und 15. Jahrhundert, in der Frühzeit der Wiener Hochschule etwa, wo sie neben den noch nicht immer dominanten Fakultäten bestanden haben, und die großen Unterschiede zur Frühen Neuzeit des 17. und 18. Jahrhunderts werden hier allerdings zu wenig deutlich.
Dass die Beiträge zu den Universitäten und verschiedenen historischen Aspekten ihrer Fächer und ihres Umfeldes einen bevorzugten Raum einnehmen, geht auf zwei der wichtigsten Grundsätze Dörings zurück, an denen er sich in allen Beiträgen orientiert: dass es nicht zuletzt auch die alten Universitäten gewesen seien, "an denen sich die wissenschaftliche Revolution der Neuzeit vollzog" (11), und dass sich "wissenschaftliches Leben", wissenschafts- und bildungsgeschichtliche 'Konstellationen' und Prozesse nicht "im Ungefähren" spezifischer 'Denkräume' bewegten, sondern an konkreten Orten und innerhalb bestimmter Institutionen. Eben diese gelte es demnach so detailgenau wie möglich zu erforschen (10f.). Exemplarisch sind dafür Abhandlungen wie "Universitäten und gelehrte Sozietäten im 17. Jahrhundert", "Universitätsprofessoren um 1700 an den protestantischen Universitäten im Reich", "Das gelehrte Leipzig der Frühaufklärung am Rande und im Umfeld der Universität" oder "Sethus Calvisius als Chronologe. Studien zur Entwicklung der Geschichtswissenschaft an der Leipziger Universität am Beginn des 17. Jahrhunderts".
Aber das Festhalten an derlei Grundsätzen hat auch seine Schattenseiten. Dazu gehören weniger die von Döring (in der Einleitung zurückhaltend genug formulierten) Äußerungen einer Abgrenzung von neueren Ansätzen wie der "Konstellationsforschung" oder der "Diskursivierung des Wissens". Wenn jedoch in dem Beitrag über "Christian Thomasius und die Universität Leipzig", einer Akademieabhandlung von 2008, dessen Auseinandersetzungen mit den Leipziger Gegnern, die zu seiner Flucht nach Halle geführt haben, und das daran ausgerichtete Thomasiusbild der Forschung [4] als zu einseitige und anachronistische Fehldeutung deklariert wird, dann steht der Leser doch etwas sprachlos vor einem Konservatismus, der sich am Beginn des 21. Jahrhunderts gewissermaßen mit den Leipziger Orthodoxen von 1690 gemein macht - ein Standpunkt freilich, der so frappierend ist, dass er fast schon wieder interessant scheint. Gewiss hätte Döring recht, wenn die von ihm kritisierte Forschung sich ausschließlich auf die von Thomasius später selbst formulierten Erzählungen beziehen würde (was sie nicht tut). Vor allem aber macht er in seiner Argumentation selbst keine Anstalten, etwa aufgrund anderer Dokumente eine alternative Erzählung der Vorgänge zu begründen. Ein anderes Problem ist sein doch allzu selbstverständliches Operieren mit Begriffen wie "Wissenschaft" und "Wissenschaftsgeschichte" gegenüber einer Gelehrtenkultur, die nicht nur diese Namen, sondern auch die mit ihnen bezeichneten modernen Konzepte nicht kennt. Die umstandslose Verwendung von zeitgenössischen Begriffen für vergangene Verhältnisse ist ein methodisches Hauptproblem der Historiker, ein Dauerproblem. Es ist immer ein Wagnis, Begriffe zu applizieren, die die Zeitgenossen selbst nicht verwendet haben oder die sie gar nicht oder in der heute üblichen Bedeutung nicht kannten. [5] Aber 'Wissenschaftsgeschichte' oder nicht - Schwächen der Kategorisierung werden in diesem Band durch die Fülle der Aspekte mehr als aufgewogen.
Anmerkungen:
[1] U.a. Samuel Pufendorf und die Leipziger Gelehrtengesellschaften in der Mitte des 17. Jahrhunderts, Berlin 1989; Pufendorf-Studien. Beiträge zur Biographie Samuel von Pufendorfs und zu seiner Entwicklung als Historiker und theologischer Schriftsteller, Berlin 1992; (Hg.:) Samuel von Pufendorf: Kleine Vorträge und Schriften, Frankfurt/M. 1995; sowie Samuel Pufendorf in der Welt des 17. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 2012.
[2] (Hg., mit Kurt Nowak:) Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (1650-1820), III Teile, Stuttgart 2000-2002 (= Abh. der Sächsischen Akademie d. Wissenschaften zu Leipzig, Phil.-hist. Klasse; Bd. 76).
[3] Universitätsgeschichte als Landesgeschichte, Tagung der Historischen Kommission der Sächsischen Akademie d. Wissenschaften zu Leipzig (2004), hg. von Detlef Döring, Leipzig 2007.
[4] Vgl. aktuell den neuen Reprint der Monatsgespräche, hg. und mit einem Vorwort versehen von Herbert Jaumann, im Rahmen der Ausgewählten Werke von Christian Thomasius, Bde. 5-7, Hildesheim 2015, hier das Vorwort in Bd. 5.1, V-LV. Döring erwähnt weder die historische Auseinandersetzung um das neuartige Journal des Thomasius zwischen 1688 und 1690 noch die Forschung der letzten Jahrzehnte darüber.
[5] Ausführlicher zur Kritik der anachronistischen Konzepte 'Wissenschafts'- und 'Wissensgeschichte' im Vorwort zu dem Band: Neue Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit, hgg. von Herbert Jaumann / Gideon Stiening, Berlin 2016 (im Druck).
Herbert Jaumann