Katrin Keller / Paolo Molino: Die Fuggerzeitungen im Kontext. Zeitungssammlungen im Alten Reich und in Italien (= Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Ergänzungsband; 59), Wien: Böhlau 2015, 235 S., ISBN 978-3-205-20097-0, EUR 40,00
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Der Band von Katrin Keller und Paola Molino entspringt einem Forschungsprojekt zu den Wiener "Fuggerzeitungen", dem größten und geschlossensten Bestand an "geschriebenen Zeitungen" im deutschen Sprachraum, wohl aber, was seine einheitliche Struktur angeht, auch darüber hinaus. Diese Fuggerzeitungen sind nicht, woran Katrin Keller im Forschungsbericht erinnert, Kaufmannsnachrichten des Fuggerschen Finanzimperiums, sondern von den Gebrüdern Fugger zwischen 1568 und 1605 abonnierte und gesammelte, kommerzielle geschriebene Zeitungen. Diese orientieren sich formal und inhaltlich am Vorbild der italienischen "Avvisi" (26, 102-104): die vorwiegend politischen, militärischen und diplomatischen Nachrichten sind nach Absenderort (nicht nach dem Ort des Geschehens) geordnet und datiert; sie berichten in nüchternem, auf Fakten orientierten Ton weitgehend kommentarlos von den relevanten Ereignissen in Europa, dem Osmanischen Reich und - am Rande - den europäischen Kolonien.
Produziert wurden die geschriebenen Zeitungen in den großen Zentren von professionellen "Novellanten" in periodischem, meist wöchentlichem Rhythmus für die tendenziell anonymen Abonnenten des Nachrichtenmarktes (25, 27f.). Damit unterscheiden sie sich sowohl von institutionellen (diplomatischen) Korrespondenzen und Berichten, als auch von den "Nachrichtenbriefen" (oder "Briefzeitungen"), die mit ihren persönlichen Anschriften typisch sind für Informationsnetzwerke klientelistischer Natur (27).
Die so definierten geschriebenen Zeitungen unterscheidet nur der Druck von den seit 1605 in Deutschland, seit etwa 1640 in Italien sich ausbreitenden "gedruckten Zeitungen". Keller unterstreicht - gegen den Tenor der Pressegeschichte, die eher die Zäsur betont - die lange Koexistenz beider Formen der Nachrichtenvermittlung. Der Begriff "Zeitung" war in der Frühen Neuzeit synonym für "Nachricht" und bezeichnete geschriebene wie gedruckte (und auch mündliche) Neuigkeiten.
Die klar abgrenzenden Definitionen sind umso wichtiger, als sich die frühneuzeitlichen "Zeitungssammlungen", deren Vergleich der Hauptteil des Bandes gewidmet ist, sehr heterogen präsentieren. Erstens können geschriebene Zeitungen Beilagen enthalten wie (ausführliche, manchmal bebilderte) Schlachtenberichte, Krönungsbeschreibungen, Preislisten und dergleichen mehr. Zweitens können geschriebene (und gedruckte) Zeitungen Beilagen zu Nachrichtenbriefen oder diplomatischen Korrespondenzen bilden, womit die Unterscheidung zwischen "öffentlich" zugänglichen geschriebenen Zeitungen und "konkret adressierten" Nachrichtenbriefen durcheinander gerät.
Dies zeigen eindrücklich die Analyse der "Zeitungssammlungen" im Alten Reich (Keller) und der Vergleich der Fuggersammlung mit italienischen Beständen (Molino). Während der Wiener Bestand der Fuggerzeitungen - bei all seinen Lücken und heterogenen Genese - relativ geschlossen geschriebene Zeitungen (und Beilagen) in zeitgenössischer Anordnung enthält (18-24), sind die geschriebenen Zeitungen anderswo nur in "Streuüberlieferung" greifbar: verteilt auf diplomatische Akten und fürstliche Korrespondenzen, auf Archive verschiedener (zentraler) Behörden, die teilweise zeitgenössisch, teilweise im 19. Jahrhundert entstanden sind, etwa durch Heraustrennen der geschriebenen Zeitungen aus diplomatischen oder anderen Beständen.
Es ist nicht nur diese disparate Überlieferungssituation, die eine quantifizierende Aussage über das Volumen, die Verbreitung und den Gebrauch der geschriebenen Zeitungen ungemein erschwert. Denn die Archivsituation spiegelt teilweise auch den unterschiedlichen Gebrauch dieses Mediums: es wurde gesammelt, weitergeschickt, kopiert, getauscht und erscheint deswegen - falls nicht sofort von den Empfängern oder nachträglich von Archivaren vernichtet - an unterschiedlichsten Orten im Archiv.
Der Vergleich der Bestände im Alten Reich (vor allem Wien mit Dresden, auch, Leipzig, Meiningen und Wolfenbüttel anhand der Stichjahre 1578, 1588, 1604) und Italien (Rom und Florenz, 1578, 1586, 1601) ergibt einerseits viele Übereinstimmungen: die dominanten Nachrichtenzentren im Norden sind Antwerpen (für Nachrichten aus den Niederlanden und England) und Köln (für das Reich), im Süden Venedig (für Norditalien und das Osmanische Reich) und Rom (für Süditalien und Übersee - wohl durch den Kanal der missionierenden Orden), was die Karten von Nikolaus Schobesberger schön visualisieren (40-47, 92-98, 178-183). Frankreich und Spanien sind zwar sehr oft Thema der Nachrichten, aber relativ selten Absenderort (wie sich auch auf der online abfragbaren Datenbank des Projektes anzeigen lässt: http://fuggerzeitungen.univie.ac.at/). Die Schnittmenge identischer Zeitungen in den deutschen Beständen liegt bei etwa 33% (91), was auf einen recht standardisierten Nachrichtenmarkt hindeutet, während die Zahlen für Italien deutlich tiefer liegen. Die Sammlung der Medici in Florenz und die Sammlung der Herzöge von Urbino in Rom haben weniger Gemeinsamkeiten als jede für sich mit der Fuggersammlung in Wien (165). Wien und Rom haben offenbar stärker auf kommerzielle Agenten, Florenz hingegen auf ein vielfältigeres Netz an Diplomaten, Agenten und Klienten zurückgriffen (175). Diese Ergebnisse regen zu weiteren Vergleichen mit den französischen, spanischen und englischen geschriebenen (und gedruckten) Zeitungen an. Aus der Perspektive gedruckter Zeitungen Antwerpens der 1620er-Jahre etwa scheinen Spanien und England viel wichtiger zu sein als in der deutsch-italienischen Überlieferung. [1]
Keller und Molino minimieren beide die Differenz zwischen geschriebenen und gedruckten Zeitungen (z.B. 36-39, 105), indem sie auf ihre formale und inhaltliche Gleichheit und auf ihre parallele Existenz im 17. Jahrhundert verweisen. Man könnte ergänzen, dass selbst die "Zeitungstheoretiker" im Reich am Ende des 17. Jahrhunderts nicht deutlich machen, ob und wann sie von geschriebenen oder gedruckten Zeitungen sprechen. [2] In der Konsequenz dieser Perspektive ließe sich erwarten, dass unter den im Titel erwähnten "Zeitungssammlungen" auch Bestände mit gedruckten Zeitungen gemeint sein sollten, was aber nicht der Fall ist. Der - sehr hilfreiche - Anhang "Zeitungen im Alten Reich - ein vorläufiges Verzeichnis" (184-196, über 30 Archive erfasst) zielt auf geschriebene Zeitungen und erfasst gedruckte Zeitungen nur dann, wenn sie zufällig in den Mischbeständen mit geschriebenen zusammen archiviert sind: der Eintrag "München" erwähnt für die Bayerische Staatsbibliothek nur die Handschriftenabteilung, nicht aber die Bestände mit gedruckten Zeitungen auch des 17. Jahrhunderts (etwa die Signatur: 4° Eph. pol.).
Der sehr wichtige, aufgrund seiner archivtechnischen Detailliertheit nicht immer flüssig zu lesende Band beschreibt zentrale Bestände geschriebener Zeitungen im Reich und in Italien, analysiert stichprobenweise die Geografie, die Inhalte und die Zirkulation der Nachrichten und leistet einen wichtigen Beitrag zum deutsch-italienischen Vergleich des transnationalen Nachrichtenverkehrs.
Anmerkungen:
[1] Paul Arblaster: From Ghent to Aix. How They Brought the News in the Habsburg Netherlands, 1550-1700 (= Library of the Written Word; Bd. 36), Leiden 2014, 130.
[2] Jürgen Wilke (Hg.): Die frühesten Schriften für und wider die Zeitung. Christophorus Besold (1629), Ahasver Fritsch (1676), Christian Weise (1676), Tobias Peucer (1690), Johann Ludwig Hartmann (1679), Daniel Hartnack (1688). Mit einer Einführung von Jürgen Wilke (= Ex libris Kommunikation, Neue Folge; Bd. 17), Baden-Baden 2015, 22-25.
Andreas Würgler