Maximilian Diesenberger: Predigt und Politik im frühmittelalterlichen Bayern. Arn von Salzburg, Karl der Große und die Salzburger Sermones-Sammlung (= Millennium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr.; Vol. 58), Berlin: De Gruyter 2015, XI + 507 S., ISBN 978-3-11-044117-8, EUR 109,95
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In seiner nun im Druck vorliegenden Habilitationsschrift widmet sich Maximilian Diesenberger der Predigt in der Karolingerzeit. Er nimmt sich damit einem bislang zu Unrecht vernachlässigten Thema von fundamentaler Bedeutung an. Während die ältere Forschung die frühmittelalterliche Predigt inhaltlich als unoriginell und als Aufguss einer spätantiken Blüte ohne historischen Wert kennzeichnete, zeigt Diesenberger mit seiner Studie, dass die Predigt als Kristallisationspunkt des politischen Diskurses und sozialen Handelns weitgehende Aufschlüsse über die karolingische Herrschaft zulässt.
Im Mittelpunkt von Diesenbergers Studie steht die Predigtsammlung Arns von Salzburg als Herrschaftsinstrument. Anhand ihrer deckt er konkrete Rezeptionsspuren und gesellschaftliche Strukturen, in denen die Predigt eingebettet war und welche diese wiederum beeinflussen sollte, auf. Diesenberger stellt hierbei immer wieder spezifisch bayerische Interessenkonstellationen heraus, allerdings kann die Rezension weniger die Fülle der Einzelbeobachtungen zu diesen aufnehmen, als die von ihm herauspräparierten Muster, nach denen die Predigt als Herrschaftsinstrument verwendet wurde.
Die Bedeutung der Sammlung im Rahmen der Reform erklärt sich erst in ihrer Kontextualisierung, daher bettet Diesenberger sie in ein ganzes Netz weiterer Quellen wie Briefe, Fürstenspiegel, Urkunden, Dichtung, hagiografische Texte, Synodalprotokolle und Kapitularien ein. In der Verknüpfung der verschiedenen Quellengattungen weitet sich so das Blickfeld über die bayerischen Verhältnisse hinaus auf die Reichsebene. Die Predigt wird so als Verbreitungsmedium eines reichsübergreifenden Programms der Reform gekennzeichnet. Durch ihre Anlage beleuchtet die Studie nicht nur eine vernachlässigte Quellengattung, sondern greift ein wichtiges Thema der Frühmittelalterforschung auf, nämlich das Zusammenspiel von Region und Hof und die Verbreitungswege sowie Umsetzungsspuren von religiös-politischem Gedankengut in der Gesamtgesellschaft.
Die zentrale Stellung der Predigt als Medium der Durchdringung der Gesamtgesellschaft unterstreicht Diesenberger auch dadurch, dass er sie nicht als exklusives Instrument einer geistlichen Elite kennzeichnet. Vielmehr betont er die Schnittpunkte zwischen öffentlicher Rede und geistlicher Predigt, die in der Kompetenzüberschneidung von Geistlichen und Laien vor allem vor Gericht entstand. Die enge Verbindung zwischen moralischer Unterweisung, geistlichem wie weltlichem Amt und dem Auftrag zur Verbreitung der reformerischen Ideen, wird daher in erster Linie im ständigen Rückbezug auf eines der Kernthemen der Predigtsammlung entfaltet, nämlich der Beschäftigung mit den Richtern und dem rechten Richten.
Das erste Kapitel (22-57) wirft ein Licht auf die bayerischen Predigt-Sammlungen, bettet aber vor allem die Salzburger Sermones-Sammlung in ihren Kontext ein, wodurch eine Zuschreibung an Arn von Salzburg vorgenommen wird. Als möglicher Adressat der Sammlung wird der comes Audulf und sein Umfeld ausgemacht. Er war ab 802 zusammen mit Arn von Salzburg missus in Bayern. Hier verdichtet sich der spezifische Zugriff, die Predigtsammlung als Instrument der Herrschaft zu verstehen, denn Diesenberger macht deutlich, dass die Predigtsammlung, vergleichbar einem Fürstenspiegel, Amtsträger über die wichtigsten moralischen Verpflichtungen in ihrem Amt unterrichten sollte. Daher sind in ihr nicht nur Predigten versammelt, sondern ebenso hagiografisches Schriftgut, das in exemplarischer Weise Gestaltungsvorschläge für die verschiedenen Anforderungen an das soziale Handeln beinhaltete. Die Bezüge zwischen Predigt und hagiografischem Diskurs werden im Folgenden vom Verfasser systematisch entfaltet.
Die folgenden Kapitel breiten das ganze Panorama der gesellschaftlichen Anlässe und der Bedeutung der Predigt aus. So wendet das zweite Kapitel sich den Personen zu, die predigen konnten (58-93). Hier geht Diesenberger nicht nur der Predigt der verschiedenen Geistlichen wie Bischöfen, Priestern, Äbten und Mönchen nach, er stellt auch die Möglichkeiten der Laien zur Mahnrede heraus, die von der königlichen admonitio bis zur weiblichen Verpflichtung als Erzieherin in der Familie reicht. Damit zeigt Diesenberger, dass der reformerische Diskurs die Predigt als Form in der gesamten Gesellschaft verbreitete. Die Gelegenheit und die Aufgabe, das Wort zu ergreifen, richtet sich jedoch an unterschiedlichen Öffentlichkeiten aus und geht mit einer Abstufung der moralischen Verantwortung einher.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den Orten der Predigt, um den Einflussradius der Predigt abzustecken (94-126). Eine Rolle spielen dabei vor allem Synoden, Visitationsreisen und das Gericht. Den Einflussmöglichkeiten wenden sich auch die folgenden zwei Kapitel zu, indem sie vor allem die Strategien der Vermittlung wie die damit einhergehende Beeinflussung des regionalen Diskurses ausloten. Das vierte Kapitel beschäftigt sich so mit der Theorie und Praxis des Predigens (127-192) und das fünfte mit der Predigt der Heiligen als politischem Instrument (193-213).
Die beiden letzten Kapitel greifen zwei thematische Stränge der Predigten auf, nämlich das Recht (214-292) und die Bedeutung von Besitz und Almosen (293-375). Beide Themen sind in besonderer Weise mit den rechtlich-politischen Lebenswelten des Adels verbunden. Minutiös zeichnet Diesenberger in diesen Kapiteln nach, in welchem Zusammenhang die Predigten mit Rechtsproblemen standen, denen sich die bayerischen Bischöfe stellen mussten. So greift die Predigt auf moralische Muster zurück, um das System von Gabe und Gegengabe an diese anzupassen, aktuelle Konflikte aus der Welt zu räumen, Spannungen zwischen altem und neuem Recht aufzulösen, Unbefangenheit und Unbestechlichkeit der Richter im Angesicht von Familienbindungen herzustellen und letztlich der Durchsetzung neuer Verfahrenswege Vorschub zu leisten.
Der inhaltlichen Auswertung folgen zwei Anhänge, einer zum Inhalt der Sermones-Sammlung (397-411) und ein weiterer mit der Edition einiger hagiografischer Schriftstücke (412-454).
Die Verbindung der regionalen Entwicklungen mit den übergreifenden Herausforderungen und Ideen der Reform macht den Reiz der Studie aus, sie stellt den Autor jedoch zugleich vor die Herausforderung, die Predigten im Rahmen der Interessenskonstellationen in Bayern sowie des Reiches zu kontextualisieren und zu analysieren. Trotz dieser Problematik gelingt es dem Autor, die Balance zwischen Einzelfallanalyse und weiterreichenden Schlussfolgerungen zu halten, wobei hier und da ein pointierterer Zugriff sowie deutlichere Verbindunglinien den Nachvollzug erleichtert hätten. Besonders deutlich wird dies beispielsweise in Bezug auf die angehängte Edition eines Teils der Texte der Sammlung, die sich in ihrer Auswahl nur höchst implizit erschließt.
Die Arbeit Diesenbergers stellt ein gelungenes Beispiel einer methodisch innovativen Studie dar, die unter Nutzung "neuen" Quellenmaterials eine wichtige Facette der karolingischen Reform und ihrer Verbreitung ausleuchtet. Mit der breit angelegten Herangehensweise deckt der Verfasser die Vielschichtigkeit der Bezugspunkte und Bedeutung der Predigt als Instrument der Herrschaft in überzeugender Weise auf. Sein auf die regionale Ebene ausgerichteter Blickwinkel lässt die komplexen Verflechtungen der Strukturen und Zusammenhänge regionaler Politik mit den übergreifenden Anliegen der karolingischen Reformpolitik deutlich werden. Die Studie stellt damit einen wertvollen Beitrag zur Debatte über die Verbreitungswege der reformerischen Ideen und deren Verwendung in regionalen Kontexten dar, dem eine breite Rezeption nur zu wünschen ist.
Miriam Czock