Gerrit Walczak: Bürgerkünstler. Künstler, Staat und Öffentlichkeit im Paris der Aufklärung und Revolution (= Passagen / Passages. Deutsches Forum für Kunstgeschichte / Centre allemand d'histoire de l'art; Bd. 45), Berlin: Deutscher Kunstverlag 2015, XXV + 510 S., ISBN 978-3-422-07275-6, EUR 72,00
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Die französische Kunst des 18. Jahrhunderts wird seit zwei Forschergenerationen vor der Hintergrundfolie von Jürgen Habermas' Strukturwandel der Öffentlichkeit interpretiert, und ihre institutionelle Rahmung ist seit der epochalen Studie von Thomas Crow als Austragungsort von politischen Konflikten etabliert. [1] Gleichwohl vermag es der vorliegende quellengesättigte und materialreiche Beitrag, dem geläufigen Bild der Bedingungen und Akteure des Pariser Kunstbetriebes dieser Epoche maßgebliche neue Dimensionen hinzuzufügen. Sein Ausgangspunkt ist die überproportionale Beteiligung von bildenden Künstlern an den politischen Entscheidungsgremien in der jakobinischen Phase der Revolution, die sie zu besonders konsequent verfolgten Opfern der Repression nach dem 9. Thermidor werden ließ. Diese bisher nicht befriedigend erklärte Sonderrolle der (Pariser) Künstler, auf die der Verfasser eingangs hinweist, dient ihm als Sprungbrett, um die Wurzeln der politischen Selbstermächtigung des Künstlertums in den Strukturen und Konflikten des Kunstbetriebs des Ancien Régime aufzuspüren. Als zentrales Ergebnis einer detaillierten Revision dieser Bedingungen identifiziert er nicht ganz überraschend eine Verschiebung der Anerkennungsmechanismen von der höfischen Sphäre zum Appell an die Öffentlichkeit. Indem sie sich selbst eine Verpflichtung auf das Allgemeinwohl zuwiesen, die in proto-nationalistische Diskurse zu patrie und nation gekleidet werden konnte, emanzipierten sich die Künstler von einer hierarchisch strukturierten Kulturverwaltung. Diese Umcodierung schaffte aus Sicht des Verfassers einen neuen, epochenspezifischen Künstlertypus, der in Anlehnung an zeitgenössische Terminologie als artiste-citoyen, als 'Bürgerkünstler', bezeichnet werden sollte, ein Künstler, der im emphatischen Sinne Staatsbürger zu sein beanspruchte.
So unbestritten der Bedeutungsverlust des Hofes auch ist, auf den nicht erst seit Crow viele Autoren rekurrieren, folgt die Konstruktion eines kollektiven zeittypischen Künstlerhabitus' doch sehr dem starren Muster einer Perlenkette, in der der Zunftkünstler im 17. Jahrhundert Konkurrenz durch den Hofkünstler erhalten habe und dieser wiederum Mitte des 18. Jahrhunderts durch den aufgeklärten artiste philosophe abgelöst worden sei, wie frühere Vorschläge es nahelegen wollten. [2] Für den Rezensenten nimmt diese eingeübte Form der Künstlersozialgeschichte zu wenig Rücksicht auf die Pluralisierungsprozesse auf dem Weg in die moderne Gesellschaft, die sich schon im 18. Jahrhundert abzeichneten. Die realen Entfremdungserfahrungen vieler französischer Künstler des Ancien Régime wie Greuze oder Gabriel de Saint-Aubin widersprechen zudem der hier vertretenen These, dass die für das 19. Jahrhundert charakteristische Dichotomie Künstler / Bourgeois erst aus dem Scheitern der Revolution hervorgegangen sei. [3] Das eigentliche Verdienst der Studie besteht denn auch darin, die eklatante Forschungslücke identifiziert und zumindest zu einem Teil geschlossen zu haben, die durch die Ausblendung aller alternativen Ausstellungsorte zum Salon der Académie royale entstanden ist und die die Forschung bis heute perpetuiert. Zu Recht kritisiert der Verfasser den Widerspruch zwischen dem Erklärungsanspruch der auf Crow aufbauenden Forschungstradition und ihrer Praxis, den Blick ausschließlich auf den schmalen Ausschnitt der von der Kunstgeschichte retrospektiv kanonisierten Künstler aus dem Zusammenhang der königlichen Akademie zu beschränken. Die Funktion der von der Zunft organisierten Académie de Saint-Luc und ihrer Ausstellungen, die Interessenkonflikte, die zur Repression dieser Institution und sämtlicher alternativer Ausstellungsinitiativen außerhalb staatlicher Kontrolle führten, erhalten hier erstmals die ihnen gebührende Aufmerksamkeit in einer größeren Darstellung, die verstreute Vorarbeiten zusammenfasst und wesentlich ergänzt. Zusammen mit der Vielzahl bisher weitgehend unbekannter Künstler, denen ein Auftritt gewährt wird, gibt sie dem Hauptteil, der den Strukturen vor 1789 gewidmet ist, seine Tiefe und Relevanz. Man kann Crow diese Ausblendung allerdings nur bedingt persönlich anlasten, wie der Verfasser es tut, da er an dem vorgefundenen Forschungsstand und dessen bias innerhalb des Rahmens seiner Studie kaum etwas ändern konnte. Genauso wenig wie man dem Verfasser der vorliegenden Studie vorwerfen kann, dass sein Blick aufgrund der Forschungslage vollständig auf Paris zentriert geblieben ist. Hier eröffnet sich mit der Integration der 'provinziellen' Kunstzentren ein ebenso dringendes Desiderat.
Durch die oben angesprochene Einleitung kann man sich irreführen lassen. Der eigentliche Schwerpunkt der Studie ist nicht die Rolle der Künstler in der Startphase der Revolution, die zwar in den letzten vier Kapiteln noch einmal aufgegriffen wird, sondern der Kontext, in dem sie ihre Interessen während des Ancien Régime aushandeln mussten. Berufsständische und rechtliche Rahmenbedingungen (I.), die Bedeutung des Hofes als Abnehmer im Verhältnis zum privaten Kunstmarkt (II.), die Strukturen der königlichen Akademie (III.) und der Salon als Ausstellungsinstitution (IV.) werden vor dem Auge des Lesers noch einmal ausgebreitet, bevor die konkurrierende Académie de Saint-Luc (V.) und die auf ihre Repression im Jahre 1774 folgenden 'privaten' Ausstellungsinitiativen des letzten vorrevolutionären Jahrzehnts (VI.) in den Blick kommen. Abschließend wird der lange Weg von der Place Dauphine, der eintägigen Präsentation von Gemälden im Freien aus Anlass der Fronleichnamsprozession, bis zur Entstehung des modernen Kunsthandels vom Typ einer ortsfesten Galerie skizziert, der diesen Teil der Darstellung abrundet. In einem deutlich abgesetzten zweiten Abschnitt folgt auf diesen systematisch aufgebauten Hauptteil ein eher chronologisch-erzählender Bericht über das Verhalten der Pariser Künstlerschaft während der Revolution. Auf politische Mitwirkungsmöglichkeiten und Einstellungen (VII.) folgt zunächst die Debatte über Reform oder Abschaffung der Akademie (VIII.) und über die Öffnung des Salons für die außerakademische Künstlerschaft (IX.). Diese beiden Kapitel bieten dem Leser, wie die beiden letzten Kapitel des vorangehenden Abschnittes, eine wesentliche Erweiterung des bisherigen Forschungsstandes. Dagegen bestätigt sich das bekannte Bild in den beiden letzten Kapiteln über die Beteiligung der Künstler an den Exzessen des Terrors (X.) und die Repression der Jakobiner nach 1794 (Epilog).
Am Ende fehlt eine zusammenfassende Schlussfolgerung für den Gesamttext, worin sich das grundsätzliche Strukturproblem spiegelt, dass die Studie latent in zwei selbständige, nur teilweise koordinierte Abschnitte zerfällt. Insgesamt bleibt es aber die besondere Leistung des Verfassers, durch ausgiebige Relektüre der bekannten und vieler erstmals herangezogener Schriftquellen, bei der auch eine Vielzahl tradierter Missverständnisse ausgeräumt werden konnten, ein breiter angelegtes, den verschiedenen Statusgruppen innerhalb der Künstlerschaft eher gerecht werdendes Abbild des Pariser Kunstbetriebs im 18. Jahrhundert hervorgebracht zu haben, als es in der bisher auch international verfügbaren Literatur vorlag. Hinter dieser Bearbeitung wird man in Zukunft nicht zurückbleiben können. Das darin angelegte Potenzial an neuen Deutungsmöglichkeiten erscheint jedoch noch nicht erschöpft.
Anmerkungen:
[1] Thomas E. Crow: Painters and Public Life in Eighteenth-Century Paris, New Haven/Conn. / London 1985.
[2] Antoine Schnapper: Le métier de peintre au Grand Siècle, Paris 2004; Martin Warnke: Hofkünstler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Köln 1985; Claudia Denk: Artiste, Citoyen & Philosophe. Der Künstler und sein Bildnis im Zeitalter der französischen Aufklärung, München 1998.
[3] Vgl. dazu Alexis Joachimides: Verwandlungskünstler. Der Beginn künstlerischer Selbststilisierung in den Metropolen Paris und London im 18. Jahrhundert, München / Berlin 2008.
Alexis Joachimides