Stefan Germer: Art - Pouvoir - Discours. La carrière intellectuelle d'André Félibien dans la France de Louis XIV. Übersetzt von Aude Virey-Wallon (= Passagen / Passages. Deutsches Forum für Kunstgeschichte / Centre allemand d'histoire de l'art; Vol. 54), Paris: Éditions de la Maison des sciences de l'homme 2016, 619 S., 73 s/w-Abb., ISBN 978-2-7351-2063-5, EUR 48,00
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Vor nunmehr bereits über zwanzig Jahren verteidigte der Kunsthistoriker Stefan Germer (1958-1998) in Bonn seine Habilitationsschrift, die drei Jahre später unter dem Titel Kunst - Macht - Diskurs. Die intellektuelle Karriere des André Félibien im Frankreich von Louis XIV (München, Fink 1997) publiziert wurde. [1] Sein Buch bleibt bis heute das Referenzwerk zur literarischen Produktion des französischen Kunsttheoretikers und Geschichtsschreibers André Félibien (1619-1695). Nun erschien die noch ausstehende französische Übersetzung.
Das Buch zeichnet die intellektuelle Laufbahn Félibiens nach und erläutert sie in Bezugnahme auf die politischen, biografischen und historischen Kontexte. Bewusst grenzt sich Germer von dem damals noch traditionellen Aufbau einer Biografie ab und behandelt Leben und Werk nicht getrennt voneinander (9). Sein überwiegend chronologischer Ansatz verknüpft die biografischen Etappen mit den Schriften und erforscht ihre Wechselbeziehungen. Germer untersucht prioritär Félibiens panegyrische, historiografische und kunsttheoretische Texte. Schriften, die in Verbindung zur Kirche entstanden, finden nur am Rande Erwähnung. Eine Auflistung der Werke Félibiens im Anhang liefert einen vollständigen Überblick des Œuvres.
Am Beginn stehen Félibiens Schriften mit der Fälschung des Skizzenbuches des Villard de Honnecourt, den ersten Übersetzungen und den während des Rom-Aufenthalts entstandenen Briefen und Notizen im Zeichen seiner sozialen Aufstiegsbestrebungen. Noch unsicher über die Richtung, die seinen gesellschaftlichen Erfolg ermöglichen wird, schwankt Félibien zwischen politischen und kunsttheoretischen Inhalten, was Germer in seinen ersten vier Kapiteln nachzeichnet. Die folgenden fünf Kapitel sind stärker an einzelne Schriften Félibiens gekoppelt, die der Autor klug und systematisch hinsichtlich Anlass, Gattung, Leserzielgruppe und Funktion beleuchtet. Das Verhältnis von Bild und Text, des Kunstwerks und seiner Reproduktion durch den beschreibenden Text bildet eine durchgängige Leitposition.
Erprobte und entwickelte Félibien in den unter der Schirmherrschaft von Nicolas Fouquet entstandenen Schriften, wie De l'origine de la peinture oder Lettres sur Vaux, noch seine panegyrischen Strategien, so erreichten diese ihren Höhepunkt bei den Veröffentlichungen im Dienste Ludwigs XIV. Germer gelingt es, die inhärenten propagandistischen Argumente in den Beschreibungen von Festen, Bauten, Dekorationen und Gemälden aufzudecken und in verständlicher Form darzulegen. Eingebettet in den historischen und sozialgeschichtlichen Kontext zeigt er, wie Félibiens Texte zur politischen Machtdarstellung Ludwigs XIV. beitrugen. Dabei vergisst Germer nicht, prägnante Einflüsse durch geschickte Vergleiche mit Texten früherer oder auch zeitgenössischer Autoren, wie Jean de La Fontaine, herauszuarbeiten. Direkte Übernahmen werden so aufgedeckt, aber auch bewusst weggelassene oder nicht vorhandene Ideen sichtbar gemacht. Diese Vorgehensweise erlaubt es zudem, Félibiens Schriften in die literarische Produktion des 17. Jahrhunderts einzuordnen.
Großes Gewicht legt Germer auf die akademischen Texte, die während Félibiens Tätigkeit als Sekretär der Académie royale de la peinture et sculpture entstanden (Conférences), und auf seine Untersuchungen im Zuge der Arbeit für die Académie royale de l'architecture. Hier wird eindrücklich vor Augen geführt, inwiefern die kunsttheoretische Publizistik in machtpolitische Spannungsverhältnisse - zwischen Institution und Hof aber auch den Eigeninteressen des Autors - verwickelt war. Konnte Félibien in seiner ersten Conférence noch in der Rolle eines Interpreten agieren, der einem weiten Leserkreis den Zugang zu den theoretischen Debatten in reflektierter und organisierter Weise ermöglichte, so wurde er später aufgrund von institutionellen Machtkämpfen zwischen der Akademie, Colbert und den Zünften auf den Posten eines Protokollanten degradiert. Im Gegensatz dazu präsentiert Germer die Entretiens, die aufgrund ihrer größeren Distanz zum Hof die kunsttheoretischen Ideen Félibiens freier zum Ausdruck brachten. Als Konglomerat seiner Schriften finden sie zu Recht ihren Platz am Ende des Buches.
Mit hoher sprachlicher Präzision und Lebhaftigkeit führt Germer dem Leser Félibiens Lebenswerk in seinen verschiedenen Aspekten vor Augen. Die Übersetzung schafft es, nah am originalen Text zu bleiben und seine sprachliche Qualität zu erhalten. Einzelne, in Klammern gesetzte deutsche Wörter, die an manchen Stellen im Fließtext aus Gründen der Präzision eingebaut worden sind, bringen keinen Mehrwert und sind daher überflüssig (beispielsweise 45, 108, 179). Bedauerlich ist, dass die Fußnoten getrennt vom Text am Ende des Buches aufgelistet sind, was den Lesefluss behindert.
Germers Werk bildet bis heute einen fundamentalen Bestandteil zum Verständnis der Schriften Félibiens und dem Beginn der kunsttheoretischen Diskurse im 17. Jahrhundert. Durch seine methodische Vorgehensweise, bei der er sich interdisziplinär zwischen Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Soziologie bewegt, entwirft Germer ein breit gefächertes Bild der Ideen und Tätigkeiten Félibiens. Aus der Sicht der heutigen Forschung wäre allenfalls eine stärkere Bezugnahme auf den ereignisgeschichtlichen Hintergrund und eine reflektiertere Verwendung des Absolutismus-Begriffs einzufordern. Eine Einordung in den aktuellen Stand der Félibien-Forschung bleibt in der Einführung zur übersetzten Ausgabe leider aus. [2] Die Übersetzung ins Französische, wenn auch mit großer Verspätung, ist jedenfalls nicht nur sehr erfreulich, sondern notwendig und umso dringlicher, als Germers für die Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts grundlegendes Werk in Frankreich bisher kaum Beachtung fand. [3]
Anmerkungen:
[1] Dazu erschienen bereits Rezensionen von Dietrich Erben, in: Francia 25 (1998), Nr. 2, 263-266; Andreas Strobl, in: Journal für Kunstgeschichte 2 (1998), Nr. 4, 358-364; Fokke Peters, in: Der Tagesspiegel, 7.10.1998; Jutta Held, in: Kunstchronik 52 (1999), 259-263; Thomas W. Gaehtgens, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.9.1999, 54; Ulrich Rehm, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 63 (2000), Nr. 2, 278-281 und Volker Kapp, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 41 (2000), 361-364.
[2] Siehe dazu unter anderem die Artikel von Marianne Cojannot-Le Blanc: Sous le signe d'Aristote. André Félibien et le discours sur la peinture de genre (1672-1688), in: Les échanges artistique entre les anciens Pays-Bas et la France, 1482-1814, hg. v. Gaëtane Maës, Turnhout 2010, 289-301; Jean-Claude Boyer: Félibien et l'antique. Un disciple infidèle de Poussin?, in: Poussin et la construction de l'antique, hgg. v. Marc Bayard / Elena Fumagalli, Paris 2011, 533-543; Alain Mérot: Manières et modes chez André Félibien. Les premières analyses du style de Nicolas Poussin, in: L'héroïque et le champêtre, hgg. v. Marianne Cajannot-Le Blanc / Claude Pouzadoux / Évelyne Prioux, Paris 2014, Bd. 1, 187-203.
[3] In der von Matthew Dowling verfassten Dissertation zu Félibien (Le monde littéraire et artistique d'André Félibien (1619-1695), Paris 1999), findet Germers Werk zwar Erwähnung (vgl. Dowling 1999, 8-14), aber keine entsprechende Würdigung.
Miriam Schefzyk