Frits Boterman: Duitse Daders. De jodenvervolging en de nazificatie van Nederland (1940 - 1945), Amsterdam: Uitg. De Arbeiderspers 2015, 573 S., ISBN 978-90-295-0486-7, EUR 27,50
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Der 2013 emeritierte Professor der Universität von Amsterdam Frits Boterman erhielt bisher vor allem für seine Studien im Bereich der Kulturgeschichte und der deutsch-niederländischen Beziehungen viel Lob und Anerkennung. Nach seinem Abschied von der Universität hat er sich einem Thema zugewandt, für das er aufgrund seiner bisherigen Studien kein ausgewiesener Experte war, der deutschen Besatzungszeit in den Niederlanden 1940-1945. Dennoch versprach der Titel des 2015 erschienen Buches (in Übersetzung: "Deutsche Täter. Die Judenverfolgung und die Nazifizierung der Niederlande (1940-1945)") eine anregende Lektüre. Während nämlich zu vielen verschiedenen Aspekten der Besatzungszeit in den Niederlanden bereits Publikationen vorliegen [1], ist eine intensive Untersuchung der deutschen Täter, der inneren Struktur des Reichskommissariats und der Interaktionen zwischen den deutschen Besatzern, der niederländischen Verwaltung und Bevölkerung noch immer ein Desiderat der Forschung. Die im Untertitel genannten Aspekte der Judenverfolgung und Nazifizierung in den Mittelpunkt der Untersuchung zu stellen, erschien dabei nachvollziehbar, da beide Themen das Handeln der Besatzungsmacht prägten.
Doch schon der Blick in das Inhaltsverzeichnis irritiert. Im ersten Teil soll zunächst die Historiografie zur Geschichte dieser Jahre behandelt werden, bevor es um die Entwicklungen und Vorgänge der Besatzungszeit geht. Eine Betrachtung der Geschichte der Judenverfolgung und der Lager in den Niederlanden folgt. Im zweiten Teil geht es dann um Kollaboration und Nazifizierung, kulturelle Gleichschaltung, Widerstand und das Wissen über den Holocaust. Doch wo bleiben die Täter? Das Inhaltsverzeichnis jedenfalls gibt keinen klaren Hinweis darauf, dass das Vorgehen der deutschen Täter, eine Analyse der Strukturen des Reichskommissariats oder seines Verhältnisses mit den zentralen Stellen in Berlin im Mittelpunkt stehen soll. Die Irritation des Lesers geht auf den ersten Seiten des Textes weiter. Schon im Vorwort erklärt Boterman, dass seiner Meinung nach bisher keine handliche und für die breitere Öffentlichkeit gut verständliche Übersicht über die Besatzungszeit vorliege (7) und dass dies ein Grund für die Entstehung des Buches sei. Weiter führt er aus, dass eine der Kernfragen des Buches sei, warum so viele Juden aus den Niederlanden (75% der im Land lebenden Juden) im Holocaust ermordet worden seien. Das Verhalten und Vorgehen der deutschen Täter solle dabei im Zentrum stehen (8). Die Erwartung, dass man nun mehr über Botermans Interesse an den Tätern erfahren würde, seinen Analysekriterien und Forschungsfragen, zerschlägt sich schnell. Stattdessen teilt Boterman mit, dass das Buch nicht auf eigenen Quellenrecherchen aufbaut, sondern sich seine Schilderungen und Schlussfolgerungen allein auf das Studium der Sekundärliteratur stützt.
Trotz all dem kann man nicht sagen, dass die folgenden 400 Seiten den Leser enttäuschen. Das Buch bietet tatsächlich einen handbuchartigen Überblick über die wichtigsten Punkte der Besatzungszeit, verfolgt den Gang der Ereignisse und die Entwicklung der Entrechtung, Ausbeutung und Isolation der Juden und beschreibt das Aufkommen des Widerstands, die Rolle der legalen und illegalen Presse, die Versuche zur Etablierung einer niederländischen Kulturkammer, den Arbeitseinsatz und anderes mehr. Die deutschen Besatzer werden bei diesen Beschreibungen immer wieder einbezogen, die Radikalisierung der deutschen Politik, die gescheiterten Versuche zur Nazifizierung der niederländischen Bevölkerung und die internen Konflikte innerhalb des Reichskommissariats geschildert, ohne dass Boterman dem bereits Bekannten jedoch neue Aspekte hinzufügen kann oder zu neuen Schlussfolgerungen gelangt. Sowohl über die Zeit der deutschen Besatzung als auch über die Täter - und das enttäuscht an einem Buch mit diesem Titel dann doch - erfährt der Leser nichts Neues.
Dazu passen auch Botermans Schlussfolgerungen am Ende seiner Arbeit. Die hohe Zahl der jüdischen Todesopfer aus den Niederlanden erklärt Boterman durch das Zusammenwirken vieler Faktoren: dem Vorgehen der Besatzer, verschiedener Formen von Kollaboration, der Rolle des Jüdischen Rats, der Haltung der niederländischen Bevölkerung und der wirtschaftlichen Ausbeutung (415). Schlussendlich habe die niederländische Bevölkerung zu wenig gegen die Verfolgung der Juden getan, weil deren systematische und massenhafte Ermordung und Vernichtung durch die Nationalsozialisten das Vorstellungsvermögen der meisten Menschen bei weitem überstiegen habe (427). Mit der ersten Erkenntnis bestätigt Boterman das, was schon lange Konsens in der wissenschaftlichen Forschung ist. Unter anderem Bob Moore, Pim Griffioen und Ron Zeller, alles ausgewiesene Kenner der Geschichte der Judenverfolgung in den Niederlanden, betonen dies in ihren Arbeiten immer wieder. [2] Mit der zweiten Schlussfolgerung positioniert sich Boterman in der Debatte um das "Wissen" der Niederländer. Dieses Thema hatte nach dem Erscheinen des Buchs von Bart van der Boom [3] in den Niederlanden hohe Wellen geschlagen. [4] Doch auch diese Schlussfolgerung liefert keine neuen Erkenntnisse, schon gar nicht über das Verhalten der deutschen Täter.
Was bleibt also von der Lektüre des Buches über die "Deutschen Täter"? Zum einen die Ernüchterung über eine vergebene Chance. Statt die ausreichend vorliegenden Quellen der Täter zu analysieren und der Täterforschung, die international in den letzten Jahren einen starken Aufschwung genommen hat, einen neuen Aspekt hinsichtlich des Vorgehens in den Niederlanden oder der internen Kommunikations- und Hierarchieebenen hinzuzufügen, ist ein Handbuch entstanden, das den seit Jahren bestehenden Forschungsstand mehr oder weniger zutreffend, aber leicht lesbar zusammenfasst. Für den deutschsprachigen Leser, der wenig über die Besatzungszeit in den Niederlanden weiß, könnte dies hilfreich und interessant sein, scheitert aber sicherlich daran, dass Niederländisch von den meisten Deutschen oder Österreichern nicht hinreichend gut gelesen werden kann. Das niederländische Publikum hat dieses Problem zwar nicht, aber für diesen Leserkreis enthält das Buch von Frits Boterman keine neuen Erkenntnisse, sondern nur eine Zusammenfassung bereits bekannter Fakten und Schlüsse.
Anmerkungen:
[1] Eine Übersicht über die Entwicklung des Forschungsstands bietet: J.C.H. Blom: Die Besatzungszeit 1940-1945 in der niederländischen Historiografie, in: Jahrbuch des Zentrums für Niederlandestudien 16 (2005.), 127-139.
[2] Bob Moore: Warum fielen dem Holocaust soviele niederländische Juden zum Opfer? Ein Erklärungsversuch, in: Nationalsozialistische Herrschaft und Besatzungszeit. Historische Erfahrung und Verarbeitung aus niederländischer und deutscher Sicht, hg. von Norbert Fasse, J.Th.M. Houwink ten Cate, Horst Lademacher, Münster 2000, 191-210; Pim Griffioen / Ron Zeller: Jodenvervolging in Nederland, Frankrijk en België, 1940-1945. Overeenkomsten, verschillen, oorzaken, Amsterdam 2011.
[3] Bart van der Boom: "Wij weten niets van hun lot". Gewone Nederlanders en de Holocaust, Amsterdam 2012.
[4] Christina Morina: The 'Bystander' in Recent Dutch Historiography, in: German History 32 (2014.), 101-111 fasst die Diskussion zusammen.
Katja Happe