Manfred Straube: Geleitswesen und Warenverkehr im thüringisch-sächsischen Raum zu Beginn der Frühen Neuzeit (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe; Bd. 42), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015, 1095 S., ISBN 978-3-412-22343-4, EUR 129,00
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Der anzuzeigende Band ist die überarbeitete und ergänzte Fassung einer 1981 in Leipzig verteidigten Habilitationsschrift über den überregionalen und regionalen Warenverkehr im Sachsen und Thüringen des frühen 16. Jahrhunderts. Der Verfasser untersucht Art und Umfang der transportierten Waren, Straßenverläufe, die Transportfrequenzen, Belastungen des Warenverkehrs, die Transportorganisation sowie die Bedeutung der großen Märkte und Messen. Dafür wertete er eine große Menge weitgehend unerschlossener Quellen aus 16 Archiven aus. Der größte Teil des konsultierten Materials stammt aus den Staatsarchiven in Weimar, Dresden, Magdeburg sowie dem Stadtarchiv Leipzig.
Neben der Einleitung mit einer Übersicht über die handelsgeschichtlichen Debatten der 1970er-Jahre, aus denen die zentralen Fragestellungen abgeleitet werden, stellt das erste Kapitel mit seiner Übersicht über das Geleitwesen im betrachteten Raum eine wichtige Syntheseleistung dar. "Geleit" meint hier vor allem die Abgabenerhebung auf Handelsgüter. Die vielen übrigen Erscheinungsformen des Geleits bleiben im restlichen Teil des Buches unberücksichtigt. In den folgenden fünf Kapiteln beschreibt der Verfasser detailliert die Haupthandelsstraßen und Transportfrequenzen im Einzugsbereich von Erfurt, Naumburg, Leipzig, an der via imperii sowie entlang der Elbe. Dieser Teil des Buches ist vor allem wegen der Fülle der Informationen über die Einnahmen der Geleitstationen, die Art und Menge der transportierten Güter sowie der Bedeutung einzelner Straßen und Routen interessant. Da die Kapitel und Unterkapitel nach Orten und nicht entlang spezifischer Fragestellungen organisiert sind, kann man sie als eine Art Nachschlagewerk gebrauchen, um die Verhältnisse entlang bestimmter Routen nachzuvollziehen. Eine Zusammenfassung am Ende des ersten Teils präsentiert die Ergebnisse in thesenartiger Form.
Der umfangreiche Anhang macht mehr als die zweite Hälfte des Buches und auch einen nicht geringen Teil seines Werts für die historische Forschung aus. Hier findet man Quellenauszüge, Transportfrequenzen, Einnahmenverzeichnisse verschiedener Ämter sowie detaillierte Gebührentafeln (Geleitsordnungen) von 100 Orten. Ein Ortsregister sowie zwei schematische Straßenkarten um Erfurt und Leipzig runden die Monografie ab. Die einzigartige Fülle des ausgewerteten Materials bietet viele Möglichkeiten für zukünftige Auswertungen unter neuen Fragestellungen und mit unterschiedlichen Instrumentarien.
Die Ergebnisse von Straubes Studie sind vielfältig. Zunächst bestätigen sich frühere Erkenntnisse wie jene über die Ablösung des "mittelalterlichen" Nord-Süd-Handels durch einen zunehmenden Warenverkehr in Ost-West-Richtung. Die Geleitrechnungen verdeutlichen den hohen Stand der überregionalen Arbeitsteilung. Es findet sich so gut wie kein Produkt, stellt Straube fest, das nicht auch über große Entfernungen gehandelt wurde. Auch der Verlauf der Landwege, ihre Bedeutung gegenüber dem Seeweg und ihr Beitrag zum Aufschwung der großen Märkte bzw. Messen werden rekonstruiert. Straubes Hinweis auf die zentrale Rolle der Fuhrleute ist vor allem in Hinblick auf zukünftige Forschungen anregend. Insgesamt konstatiert Straube, dass die Grundlagen frühkapitalistischen Wirtschaftens, die Konzentration von Handelskapital und eine leistungsfähige Logistik im untersuchten Raum deutlich ausgeprägter Waren, als lange angenommen.
Dem Rezensenten scheinen Straubes Einsichten zum Verhältnis von Staatlichkeit und überregionalem Warenhandel ebenfalls bedeutend. Straube verwirft ältere Einschätzungen, denen gemäß frühneuzeitliche Territorialstaaten den überregionalen Warenverkehr ernsthaft behinderten. Während er bestätigt, dass einzelne Warengruppen sich durchaus verteuern konnten, schließt er aus, dass die staatlichen Gebilde des 16. Jahrhunderts den überregionalen Handel ernsthaft einschränken konnten. Es wäre freilich interessant, diese These in einem größeren zeitlichen und räumlichen Rahmen zu prüfen. Auch die Frage, wie sich obrigkeitliche Eingriffe in den Warenverkehr jenseits des Preisniveaus auswirkten, wäre lohnend.
Straube zeigt mit seinem Werk beispielhafte historische Handwerksarbeit. Er hat freilich kein Buch verfasst, das viele Leser verführen oder die Grenzen der Disziplin sprengen würde. Aber es ist selten, dass zwischen der Niederschrift und der Publikation einer Arbeit über vierzig Jahre vergehen. Dass die Schrift auch heute noch mit Gewinn gelesen werden kann, ist dem stillen Heroismus eines Historikers im Archiv zu verdanken.
Luca Scholz