Rezension über:

Marek Gedl: Die Pfeilspitzen in Polen (= Prähistorische Bronzefunde, Abt. V; Bd. 6), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014, IX + 155 S., ISBN 978-3-515-10781-5, EUR 72,00
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Rezension von:
Thomas Zimmermann
Bilkent-Universität, Ankara
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Zimmermann: Rezension von: Marek Gedl: Die Pfeilspitzen in Polen, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 11 [15.11.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/11/29550.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Marek Gedl: Die Pfeilspitzen in Polen

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Die Publikationsreihe Prähistorische Bronzefunde (PBF), die sich zum Ziel gesetzt hat, Metallobjekte aus kupfer- bis spätbronzezeitlichem Kontext europaweit zu katalogisieren und zu publizieren, ist trotz ihres sehr konservativen Ansatzes nicht aus dem Reigen grundlegender monografischer Materialvorlagen wegzudenken. Seit vielen Jahrzehnten bilden die in Objektgruppen wie etwa Dolche, Beile und Gefäße untergliederten Monografien das zuverlässig recherchierte und qualitätvoll publizierte Rückgrat für weiterführende naturwissenschaftliche, sozial- oder kulturhistorische Studien.

Marek Gedl, der erst kürzlich verstorbene Autor des vorliegenden sowie zehn [1] weiterer PBF-Bände zum bronze- und früheisenzeitlichen Materialbestand Polens, hat sich für sein letztes großes Projekt einer Fundgruppe angenommen, die selbst objektophilen Zunftkollegen nur bedingt einen wohligen Schauer über den Rücken jagen dürfte: Pfeilspitzen gelten als eine in Siedlungen und vor allem Gräbern extrem häufig auftretende, aber für chronologische Studien denkbar ungeeignete Fundgruppe. Zu spezifisch ist ihr Verwendungszweck, zu materialgebunden und rationell gedacht ihre Anfertigung, als dass sie für zeitliche und kulturelle Diskussionen einen namhaften Zeigerwert besäßen. Eine Ausnahme bilden im Falle Polens allenfalls die als "skythisch" bezeichneten drei- beziehungsweise vierkantigen sowie dreiflügeligen Pfeilspitzen als zusätzliche Zeugen der archäologisch gut belegten Adaption reiternomadischer Traditionen im östlichen Mitteleuropa des ersten vorchristlichen Jahrtausends. Da jedoch aus Knochen, Geweih und Flintgestein gefertigte Spitzen, auf deren Problematik noch gesondert einzugehen sein wird, entweder häufig im Verbund mit ihren metallenen Pendants auftreten oder als alleinige Vertreter dieser Fundgattung in bronze- und früheisenzeitlichen Kontexten zu Tage treten, wurden diese vom Verfasser ungeachtet der eigentlichen Thematik dieser Publikationsreihe mit aufgenommen und typisiert.

Die Struktur dieses Buches entspricht den traditionellen Vorgaben der PBF. Nach der obligatorischen Einleitung mit einer extensiven Dankesliste folgen denkbar knapp gehaltene Ausführungen zur Herstellungstechnik, Morphologie, Terminologie und Typologie. Ebenfalls kurz gefasste Gedanken zu Funktion und Gebrauchsspuren sind in der Kapitelabfolge unverständlicherweise durch Abrisse zur Quellenlage, Forschungsgeschichte sowie Chronologie und kulturellen Stellung der Pfeilspitzen getrennt. Hier wäre eine redaktionelle Überarbeitung, welche sämtliche technische Aspekte dieser Fundgattung in einem Haupt- und entsprechenden Unterkapiteln zusammenfasst, ratsam gewesen.

Das Hauptaugenmerk liegt bei diesem Werk - wie bei allen Einzelbänden der PBF- freilich in der möglichst vollständigen Katalogisierung und formensprachlichen Musterung aller bekannten Objekte einer bestimmten Kategorie - in unserem Falle eben der Pfeilspitzen aus bronze- und früheisenzeitlichen Siedlungs- und Grabinventaren in Polen. Gredl beginnt mit bronzenen, indigenen Pfeilspitzen, die von ihm hinsichtlich ihrer Blatt- und Schaftform typologisch untergliedert werden. Die dem Archäologen nur allzu gut bekannte Problematik einer überzeugenden Balance zwischen dem (formen)sprachlich Möglichen und feintypologisch Sinnvollem wird hier sofort ersichtlich: Die von Gredl ins Feld geführte "Gruppe" der "Pfeilspitzen mit schaufelförmigem Blatt und Schafttülle" besteht lediglich aus zwei Exemplaren. Die Anmerkung des Autors, dass ein weiteres vergleichbares Stück aus Mähren womöglich zu stark korrodiert sei, um eine sichere typologische Einordnung vorzunehmen (45), trifft allerdings nach Meinung des Rezensenten auch für die beiden auf Tafel 4 (Nummern 272, 273) dargestellten Stücke zu. Im Katalogtext zu Nummer 272 wird bereits auf die "starke Korrosion" (45) einer Spitze hingewiesen. Ein Studium der dazugehörigen Abbildungen auf Tafel 4 lässt allerdings daran zweifeln, ob eine derart spezifische Klassifizierung der offensichtlich starken Beschädigung beider Objekte Rechnung trägt.

Ausführlicher äußert sich der Autor zu den bereits erwähnten Pfeilspitzen "skythischer" Provenienz, denen ein eigener Exkurs zu Forschungsgeschichte und kulturgeschichtlichem Kontext gewidmet ist. Hier wird korrekterweise darauf hingewiesen, dass die Präsenz derartiger Fernwaffen nicht zwingend mit der Anwesenheit von Reiternomaden gleichgesetzt werden muss. Vielmehr muss auch mit einer Adaption steppenkultureller Traditionen bei lokalen Siedlungsverbänden gerechnet werden, die in der Eisenzeit aus praktischen wie auch Prestigegründen die überlegene Waffentechnik der Skythen und ihrer Nachbarvölker übernahmen (70 f.).

Eine besondere Fundkategorie im Rahmen der metallenen Pfeil- und Bogenbewehrung wurde vom Autor dankenswerterweise mitberücksichtigt: zehn Gussformen für Pfeilspitzen aus Ton und Stein, die für metallurgische wie technologiegeschichtliche Arbeiten eine unabdingbare Quellengattung darstellen (78 ff. respektive Tafel 8-9).

Der Behandlung eiserner Pfeilspitzen aus früheisenzeitlichen Kontexten folgen die mit Abstand problematischsten Kapitel dieses Werkes: die Aufnahme von Spitzen aus Geweih, Knochen und Flintgestein, wobei letztere Fundgruppe mit weniger Vorbehalt betrachtet werden kann. Lassen sich die "Geweihpfeilspitzen mit dreieckigem Blatt, Flügelwiderhaken und geradem Schaftdorn" (85-88) funktional noch größtenteils als Pfeilspitzen ansprechen, so sind bei den Untergruppen "Geweihpfeilspitzen mit konischer Spitze und kurzem Schaftdorn" (105 ff.) und vor allem den "nadelförmigen Geweih- und Knochenpfeilspitzen", denjenigen mit "gespaltener Basis" (107 f.) sowie den "Halbfabrikate[n] und Fragmente[n]" (108-111) berechtigte Zweifel angebracht, ob ein Gutteil dieser Stücke überhaupt für eine Verwendung als Pfeilspitzen oder Fernwaffenbestückung allgemein bestimmt war. Bei einer eingehenden Musterung der Abbildungen (vor allem Tafel 17-20,1140) regt sich vielmehr der Verdacht, dass es sich um einfache Ahlen für die Stofffabrikation beziehungsweise Gerätschaften für die Bearbeitung von Stein und anderen harten Materialien handeln könnte. Der teilweisende fehlende oder nur unzureichend dokumentierte Fundzusammenhang dieser Artefakte (Vergleiche 105 ff.) lässt an eine Vielzahl derartiger alternativer Nutzungsmöglichkeiten denken. Insofern haben auch die auf Tafel 30 dargestellten Verbreitungskarten eine nur äußerst eingeschränkte Aussagekraft.

Die von Gredl zusammengestellten Spitzen aus Flintgestein lassen sich wiederum recht sicher als Pfeilspitzen ansprechen. Die dazugehörigen Abbildungen auf den Tafeln 21-25 sind jedoch dermaßen klein geraten, dass sich Details zu Abschlagstechnik und Retuschierung wenn überhaupt nur mit großen Mühen erkennen lassen. Ein etwas großzügiger gewählter Maßstab wäre hier für weiterführende Studien äußerst hilfreich gewesen.

Die bereits eingangs erwähnte Unempfindlichkeit dieser Fundgattung gegenüber typologischen oder technischen Neuerungen erlaubt, wie auch vom Verfasser eingangs erwähnt, keine feinchronologische Diskussion des Fundguts, weshalb auch von der Erstellung einer vergleichenden Chronologietabelle abgesehen wurde. Bedauerlich ist jedoch das Fehlen der in anderen PBF-Bänden üblichen grafischen Zusammenstellung geschlossener (Grab-)inventare, die aus "arbeitsökonomischen Gründen" (VI) nicht vorgenommen wurde. Natürlich hätte dies den Umfang dieses Bandes wohl verdoppelt oder gar verdreifacht, jedoch hätte man eine gut zugängliche Materialbasis, nicht zuletzt für eine kritische Diskussion der "Pfeilspitzen" aus Knochen und Geweih, zur Hand gehabt.

Hinsichtlich der drucktechnischen Qualität (von den bereits oben kritisierten kleinformatigen Abbildungen einmal abgesehen) steht dieser Band den anderen Publikationen der Reihe PBF in nichts nach. Das Fundgut ist in gewohnter Weise umsichtig recherchiert und katalogisiert, der Redaktion gebührt einmal mehr Dank und Respekt für eine penible Betreuung des Manuskripts. Dem Rezensenten fielen keinerlei sinnentstellende Druckfehler oder auch nur ein fehlendes diakritisches Zeichen auf. Ein Fehler hat sich lediglich bei der bibliografischen Auflistung folgender Monografie Gredls eingeschlichen: Das 1995 als PBF XVIII,4 erschienene Werk lautet 'Die Sicheln' in Polen und nicht 'Die Fibel'.

Für Spezialstudien zu bronze- und früheisenzeitlicher Bewaffnung in Mitteleuropa wird dieses Werk natürlich seinen festen Platz als Grundlagenliteratur behaupten können. Weitergehende Untersuchungen zum komplexen Kulturgefüge des heutigen Polen im 2. und 1. vorchristlichen Jahrtausend sind mit dieser Publikation jedoch, was nicht nur der Intention der PBF-Monografien als traditionelle Materialkompendien, sondern auch den oben erwähnten Kritikpunkten geschuldet ist, nur bedingt möglich.


Anmerkung:

[1] Marek Gedl: Die Rasiermesser in Polen, München 1981 (PBF, VIII,4); ders.: Die Nadeln in Polen I (frühe und ältere Bronzezeit), München 1983 (PBF, XIII,7); ders.: Die Messer in Polen, München 1984 (PBF, VII,4); ders.: Die Toilettegeräte in Polen, München 1988 (PBF, XV,1); ders.: Die Vorlausitzer Kultur, München 1992 (PBF, XXI,2); ders.: Die Sicheln in Polen, München 1995 (PBF, XVIII,4); ders.: Die Halsringe und Halskragen in Polen, Stuttgart 2002 (PBF, XI,6); ders.: Die Fibeln in Polen, Stuttgart 2004 (PBF, XIV,10); ders.: Die Beile in Polen, Stuttgart 2004 (PBF, IX,24); ders.: Die Lanzenspitzen in Polen, Stuttgart 2009 (PBF, V,3).

Thomas Zimmermann