Rezension über:

Michael C. Bienert: Zwischen Opposition und Blockpolitik. Die "bürgerlichen" Parteien und die SED in den Landtagen von Brandenburg und Thüringen (1946-1952) (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; Bd. 171), Düsseldorf: Droste 2016, 596 S., ISBN 978-3-7700-5330-8, EUR 65,00
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Rezension von:
Siegfried Suckut
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Siegfried Suckut: Rezension von: Michael C. Bienert: Zwischen Opposition und Blockpolitik. Die "bürgerlichen" Parteien und die SED in den Landtagen von Brandenburg und Thüringen (1946-1952), Düsseldorf: Droste 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 1 [15.01.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/01/29470.html


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Michael C. Bienert: Zwischen Opposition und Blockpolitik

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Seit die früheren DDR-Blockparteien CDU und LDP in ihre ursprünglichen Schwesterparteien im Westen integriert sind, hat das wissenschaftliche Interesse an ihrer Geschichte stark zugenommen. Zur Geschichte der Ost-CDU erschienen zuletzt die in ihrem analytischen Wert sehr unterschiedlichen Dissertationen von Jürgen Schmidt-Pohl (Freie Universität Berlin) und Christian Schwießelmann (Rostock) sowie ein umfangreiches Enquete-Gutachten von Christoph Wunnicke. Sie behandeln, zum Teil ausführlich, auch das Wirken der Blockparteien in den östlichen Landesparlamenten. Schon in den 1980er Jahren sind grundlegende Hochschulschriften an den Universitäten Mannheim (Christel Dowidat) und Hamburg (Gerhard Braas) zur Geschichte der Landtage bzw. zur Entstehung der Landesverfassungen in der sowjetischen Besatzungszone vorgelegt worden.

Der Autor des hier zu besprechenden Buches, Michael C. Bienert, ließ sich vom schon erreichten Forschungsstand nicht abschrecken und widmete sich der Problematik in seiner Dissertation. Motiviert hat ihn der Eindruck, die von 1946 bis 1952 in der SBZ/DDR existierenden Landtage seien mittlerweile "vergessene Parlamente" (15). Selbst Ernst Lemmer, CDU-Abgeordneter in Brandenburg (1946-1950), verkenne ihre historische Relevanz, wenn er sie in seinen Lebenserinnerungen als "bedeutungslose Einrichtungen" charakterisiert. Vielmehr seien sie "wichtige Elemente des verfassungsrechtlichen Rahmens" (17) gewesen, denn viele Maßnahmen der Machtträger, der Militäradministration wie der SED, gewannen formal durch Landesgesetze Geltung. Die Beschäftigung mit den Landtagen könne zeigen, wie Diktatur implementiert und durchgesetzt wurde. Sie seien ein "geradezu ideales Untersuchungsfeld" für eine "inkludierende Landesgeschichte", die regional Spezifisches ebenso herausarbeite, wie die Relevanz übergeordneter Strukturen (18). Erkenntnisleitend sind für ihn dabei Fragen nach dem Stellenwert dieser Parlamente im politischen System wie bei der "Diktaturdurchsetzung" (18). Eine "Kernfrage" sei gewesen, wie die Blockparteien reagierten, als sie merkten, den "Veränderungen und Repressionen" nichts entgegensetzen zu können. Zu unterscheiden sei zwischen Opposition, Widerspruch und Widerstand, zu fragen, ob die Mitverantwortung durch Mittun nicht das oppositionelle Verhalten aufwog. Mit einem eigenen Urteil hält sich Bienert allerdings zurück.

Für die Untersuchung ausgewählt wurde der Landtag von Brandenburg als großem, "agrarisch-konservativ" (24) geprägtem Flächenland, in dem CDU und LDP gemeinsam über die Mehrheit der Mandate verfügten und das kleinstädtisch dominierte Thüringen, wo sie in der Minderheit waren. Bienert präsentiert eine chronologisch angelegte, komparative Darstellung der Diskussions- und Entscheidungsprozesse in beiden Parlamenten. Untersuchungsschwerpunkte sind die Wahlen im Oktober 1946, die Konstituierungsphasen der Parlamente und Regierungen, die kontroversen Debatten um die Landesverfassungen, die schrittweise Zentralisierung der deutschen Exekutivorgane durch die Gründung der Deutschen Wirtschaftskommission sowie die Durchsetzung des SED-Führungsanspruches im Parlament und bei der Wirtschaftsplanung. Die Verschiebung der 1948 fälligen Neuwahlen und die schrittweise Beseitigung der Parteienkonkurrenz durch das bis 1989 praktizierte Einheitslistenprinzip leiteten das Ende des Parlamentarismus unter sowjetischen Besatzungsbedingungen ein.

Die vorliegende Untersuchung zeichnet sich durch eine breite Quellenbasis aus. Bienert stützt sich auf die umfangreichen Archivalien der SED wie der Blockparteien, aber auch auf das in den Hauptstaatsarchiven beider Länder Überlieferte. Er kennt die einschlägigen Stasi-Unterlagen und die wenigen im Bundesarchiv zugänglichen sowjetischen Akten ebenso wie die umfangreiche Sekundärliteratur, auch der früheren westlichen wie östlichen DDR-Forschung. Selbst Beiträge zur DDR-Politik in Publikumszeitschriften hat er zur Kenntnis genommen. Kursorisch mitanalysiert werden oftmals die Diskussionsprozesse in anderen Landtagen, in der SED und in den Berliner Zonenvorständen. Auch auf die für die sowjetische Deutschlandpolitik bedeutsamen Entwicklungen in den Westzonen geht Bienert von Fall zu Fall ein.

Es spricht für die Solidität früherer Forschungen, dass der Autor nur an wenigen Stellen deren Ergebnisse infrage stellt oder für differenzierungsbedürftig hält. So betont er, dass die Landesblockausschüsse nicht als Korrektiv zur Arbeit des Parlaments einzustufen sind, widerspricht Gerhard Braas' These, wonach die Landesverfassungen inhaltlich nicht Ergebnis äußeren Zwanges waren und betont, dass die LDP in ihren oppositionellen Bestrebungen nicht generell der CDU nachstand.

Detailliert schildert er die Diskussionsverläufe zu politischen Weichenstellungen und verdeutlicht, warum CDU und LDP letztlich bei dem Versuch scheiterten, eigene Vorstellungen durchzusetzen, wenn diese mit denen der SED und der Besatzungsmacht nicht übereinstimmten. Die Faktoren, die er herausarbeitet, bestätigen weithin die Ergebnisse früherer Forschungen: Die Besatzungsmacht griff massiv in die Parlamentsarbeit ein und strich Kandidaten ohne sachlichen Grund aus den Listen. Sie förderte die "Fortschrittlichen" in den Blockparteien und ließ Säuberungen gegen "Reaktionäre" inszenieren (403, 550). Ihre Offiziere nahmen an den Beratungen der Fraktionen teil, unterwarfen die Gesetzesinitiativen einer Vorzensur und ließen sich vorab über die Tagesordnungen und Anträge informieren. CDU und LDP passten sich an und verstießen zuweilen gegen die "Grundsätze ihrer eigenen Überzeugungen" (213) weil ihnen sehr an einer "gedeihlichen Blockpolitik" (150) lag, waren in vielen Fragen uneins und wurden von ihren Zentralvorständen ungenügend unterstützt. Ob ihren Vertretern auch ein "Mangel an Mut", so Georg Grosse, Stellvertretender CDU-Landesvorsitzender in Thüringen (133), vorzuwerfen war, lässt Bienert unbeantwortet, erwähnt aber zahlreiche Beispiele, die von politischer Unerfahrenheit und organisatorischen Defiziten der beiden "bürgerlichen" Parteien zeugen. Sein nüchternes Fazit erinnert an das Ernst Lemmers: "Es lag sehr viel Tragik in dem Umstand, dass es den Parlamentariern von CDU und LDP zwar immer gelang, der SED kleine Erfolge abzuringen, dass diese auf die Gesamtentwicklung der SBZ bezogen jedoch unerheblich blieben." (547)

Der wissenschaftliche Wert dieser Arbeit liegt vor allem darin, dass Bienert umfassend alte wie neue Quellen auswertet und mit den Landtagen in Brandenburg und Thüringen zwei Parlamente untersucht, die in vielem exemplarisch für die gesamte Besatzungszone stehen. Seine Arbeit könnte ein Standardwerk zur Geschichte der Landesparlamente in der Sowjetisch Besetzten Zone Deutschlands werden.

Siegfried Suckut