Rezension über:

Giuliano Pinto / Leonardo Rombai / Claudia Tripodi (a cura di): Vespucci, Firenze e le Americhe. Atti del Convegno di studi (= Biblioteca Storica Toscana; LXXI), Florenz: Leo S. Olschki 2014, VII + 489 S., 1 CD-ROM, ISBN 978-88-222-6287-5, EUR 53,00
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Rezension von:
Heinrich Lang
Deutsches Historisches Institut, Rom
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Lang: Rezension von: Giuliano Pinto / Leonardo Rombai / Claudia Tripodi (a cura di): Vespucci, Firenze e le Americhe. Atti del Convegno di studi, Florenz: Leo S. Olschki 2014, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 3 [15.03.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/03/25760.html


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Giuliano Pinto / Leonardo Rombai / Claudia Tripodi (a cura di): Vespucci, Firenze e le Americhe

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Der Florentiner Kaufmannssohn Amerigo Vespucci schloss sich zwischen 1497 und 1504 insgesamt vier Expeditionen zunächst unter spanischer, dann unter portugiesischer Fahne in Richtung der gerade vom Genuesen Christoph Columbus als Indien endeckten Neuen Welt an. Dabei betrat er auch das südamerikanische Festland und stieß bis an den Rio de la Plata vor. Berühmt wurde der geografisch gebildete Abenteurer durch seine in die Florentiner Heimat adressierten Schreiben. Das berühmteste Zeugnis ist der Novus Mundus-Brief, der im Jahr 1503 erstmals gedruckt wurde. Die in Humanistenkreisen, in Nachrichtenzentren und an den Höfen zirkulierenden Reiseberichte nahm der Straßburger Kartograf Johannes Waldseemüller zum Anlass, die westlichen Festlande auf einer Karte von 1507 mit "America" zu benennen.

Der vorliegende Band, der die Beiträge einer Konferenz in Florenz vom November 2012 aus Anlass des 500. Todestages Amerigo Vespuccis zusammenstellt, bringt wenig Neues zum Namensgeber der Neuen Welt. Die besondere Leistung der Aufsatzsammlung besteht darin, dass sie den Lebensweg, die Entdeckungsreisen, die brieflichen Beschreibungen und das Nachwirken Vespuccis differenziert und vielschichtig in einen kaleidoskopischen Blick einbettet. Man erfährt vor allem etwas über die Verlagerung der Handels- und Wissensnetzwerke vom Italien der Renaissance über die Iberische Halbinsel und zum atlantischen Raum hin.

Die Aufsatzsammlung ist in zwei Teile gegliedert: Im ersten, längeren Teil wird Amerigo Vespucci in seinem merkantilen Milieu verankert, werden die Entdeckungsreisen in die humanistische Geografie eingeordnet und die Verbreitung von Amerigo Vespuccis Schriften analysiert.

Der zweite Teil beschäftigt sich vor allem mit der Rezeption der Florentiner Renaissance in den USA: Hier finden sich - wenig überraschend - einige sehr spannende Aspekte, die diese jüngere Forschungstendenz zutage fördert.

Zunächst geht es den Autoren Giuliano Pinto, David Abulafia, Maria Elisa Soldani, Angela Orlandi, Hilario Casado Alonso und Francesco Guidi Bruscoli - alle samt ausgewiesene Wirtschaftshistoriker und Wirtschaftshistorikerinnen - um die Ausleuchtung der ökonomischen Zusammenhänge des Auftretens Vespuccis als Repräsentanten einer über die Iberische Halbinsel agierenden Handels- und Bankgesellschaft. Die Hafenstädte Sevilla, Cádiz und Lissabon dienten den Florentiner Firmen vor allem seit dem 15. Jahrhundert als Zwischenschritt für die Verbindungen nach Afrika, auf die Kanaren und über den Atlantik. In ihrem auf eigens unternommenen Archivarbeiten gestützten Aufsatz zählt Angela Orlandi 53 gesicherte, aus der Toskana (Florenz, Siena, Pisa, Lucca) stammende Reisende, die im Verlauf des 16. Jahrhunderts als Kaufmannbankiers, Zuckerunternehmer oder Abenteurer von Andalusien aus in die Karibik oder auf das amerikanische Festland starteten.

Die Beiträge von Claudia Tripodi, Sebastiano Gentile, Leonardo Rombai, Carla Masetti, Adele Dei und Francesco Surdich orientieren sich an der Auseinandersetzung der reisenden Kaufleute, insbesondere Amerigo Vespuccis, mit den Neuentdeckungen in astronomischen, geografischen sowie brieflichen Werken. Auch in diesem Zusammenhang kommen besonders die Hintergründe wissenschaftlicher Praktiken von florentinischen Seereisenden und die Verankerung der Wahrnehmung Neuer Welten im Wissensgefüge von Renaissance-Florenz zur Sprache.

Die erste Sektion wird mit Aufsätzen zur Rezeption der Schriften Vespuccis durch Thomas Morus in der Utopia (Daniel Ottria) sowie mit der kritische Beleuchtung der Vespucci-Briefe durch den Gelehrten und Florentiner Bibliothekar Angelo Maria Bandini in einem Werk von 1745 (Enrico Spagnesi) bzw. mit Analysen der modernen Historiografie (Luciano Formisano, Vittoria Chegai) vervollständigt. Der zweite Teil des Sammelbandes umfasst einige Perspektiven auf die Beziehungen von den USA zu Renaissance-Florenz. Zeffiro Ciuffoletti stellt einige Florentiner vor, die in die US-amerikanische Verfassungsdiskussion involviert waren oder nach Nordamerika (wie der Bankier und spätere Gründer der Southern California Acclimatizing Association, Emmanuele Fenzi) auswanderten, oder US-Amerikaner (wie der Schriftsteller James Fenimore Cooper oder der Architekt Frank Lloyd Wright), deren Aufenthalte in Florenz markante Spuren in ihrem späteren Schaffen hinterließen.

Mit der Interpretation der Florentiner Renaissance durch US-Amerikaner wie durch den Historiker und Humanismusforscher Hans Baron beschäftigt sich Stefano U. Baldassarri, wobei er eine verstärkt differenzierende Haltung und die vertiefende Hinwendung zu Quellentextmaterial als jüngere Tendenzen der Forscher und Forscherinnen aus den USA erkennt. Den Kreis um den Schriftsteller Henry James und dessen Beziehungen zu florentinischen Literaten des 19. Jahrhunderts analysiert Gigliola Sacerdoti Mariani. Elisa Camporeale beschreibt das Entstehen der Sammlungen Florentiner Möbel und Bilder durch US-amerikanische Kunstinteressierte im 19. Jahrhundert und die Wirkung dieser Güter auf die Entstehung der kulturellen Identität der USA. Die US-amerikanischen Toskana-Reisenden, die als Vermittler zwischen beiden Welten agierten, verbanden das Studium der (Kunst)Geschichte mit einer regen Sammlertätigkeit und trugen dabei noch vor dem 1. Weltkrieg maßgeblich zur Genese des Florentiner Geschichtsbildes in den USA bei. Die ästhetische Formensprache der Florentiner Renaissance fand überdies Eingang in die Architektursprache Nordamerikas. Der Aufsatz von Anna Maria Martellone ist eine autobiografisch angelegte Skizze ihrer Laufbahn als Studentin in den USA und später als Professorin für US-Amerikanische Geschichte in Italien. Daran anschließend schildert Stefano Luconi die Etablierung dieses Faches an der Universität zu Florenz durch den Historiker Giorgio Spini als Schlüsselfigur.

Dem Buch ist eine CD-ROM beigegeben, die den Codice Alberico (benannt nach einer Sammlung von gedruckten Reiseberichten mit dem Titel: "Paesi nuovamente retrovati et novo mundo da Alberico Vesputio Florentino intitolato", Vicenza, 1507) aus der Biblioteca Nazionale Centrale von Florenz präsentiert. Hierin hat der venezianische Gelehrte Alessandro Zorzi zwischen 1507 und 1537 Aktualisierungen an der Druckvorlage zusammengetragen. Im letzten Beitrag des Bandes stellt Luciano Formisano diese digitalisierte Fassung vor.

Die englischen Zusammenfassungen sowie ein ausführliches Register erschließen den Band auch für eine flüchtige Leserschaft.

Insgesamt scheint der Sammelband auseinander zu driften. Die wirtschaftshistorische Dimension der Amerika-Fahrten Florentiner Kaufmannbankiers und ihrer Vertreter steht unverbunden neben der "Vespucci-Frage" über die Echtheit der Schreiben, die unter Vespuccis Namen kursierten. Die Untersuchung zum Verhältnis der USA zu Renaissance-Florenz ist nicht nur ein eigener Forschungsgegenstand geworden, er hätte vielmehr eine gesonderte Aufsatzsammlung verdient - um die Thematik neu zu vermessen.

Heinrich Lang