Rezension über:

Wolfgang Ullrich: Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust, Berlin: Wagenbach 2016, 159 S., ISBN 978-3-8031-3660-2, EUR 16,90
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Rezension von:
Stefan H. Fischer
Abteilung Kunstgeschichte, Fachbereich Kunst-, Musik- und Tanzwissenschaft, Paris-Lodron-Universität, Salzburg
Redaktionelle Betreuung:
Oliver Sukrow
Empfohlene Zitierweise:
Stefan H. Fischer: Rezension von: Wolfgang Ullrich: Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust, Berlin: Wagenbach 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 4 [15.04.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/04/30317.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Wolfgang Ullrich: Siegerkunst

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Eines der bevorzugten Themen von Wolfgang Ullrich ist der Umgang mit Kunst. Zahlreiche Publikationen der vergangenen Jahre behandeln dabei verschiedene Aspekte der Funktion und Handhabung von Kunst, wie etwa die Kunst als Repräsentationsform von Politik oder Wirtschaft, oder dem veränderten Selbstverständnis der Museen in der Postmoderne.

In seinem Buch "Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust", geht Ullrich auf eine neue Dimension im Umgang mit Kunst ein, die "Siegerkunst", jene Kunst, die so unerreichbar für den gewöhnlichen Menschen ist, dass sich nur "wirkliche Sieger" mit ihr umgeben können. "Sieger" meint dabei jene handverlesen Superreichen, die abseits jeden Kunstbetriebes nahezu absolutistisch über "ihre" Kunst verfügen können, ohne auf Geld, Museen, Raum oder sonstiges Rücksicht nehmen zu müssen. In neun Kapiteln untersucht der Autor die verschiedenen Aspekte der Siegerkunst.

Siegerkunst, so der Ausgangspunkt seiner Analyse, wird auf dem freien Markt betrieben, unabhängig von der Sammlungstätigkeit der Museen. Kunstwerke, die von Museen angekauft wurden, sind vielmehr dem Markt entzogen und haben keine Möglichkeit der "Veredelung" durch den Kunstmarkt. So sind es einige erlese Messen und Galerien, in denen die millionenschwere Kunst überhaupt zu sehen ist. Das Museum dient nur noch als Referenzwert, um Bekanntheit und Bedeutung eines Künstlers zu belegen (14-15).

Beim Besitz dieser immens teuren Kunst geht es nicht darum, diese zu rezipieren, sondern einzig darum, diese zu besitzen, so der Autor. Siegerkunst ist zudem vom wissenschaftlichen Diskurs befreit, sie dient nur der Erhöhung seines Eigentümers (21f.).

Mit zahlreichen Beispielen illustriert Ullrich die Mechanismen, die für eine "funktionierende" Siegerkunst ineinandergreifen, deren Voraussetzungen und Abhängigkeiten. Denn neben den Käufern auf der einen Seite, die sich mit dem Erwerb unerhört teurer Kunst selbst aufzuwerten versuchen, gibt es auf der anderen Seite die Künstler, die ebenso notwendig wie wichtig sind, müssen sie ja jene Objekte der Verherrlichung produzieren. Abgesehen vom Schaffen der Werke obliegt es in erster Linie den Künstlern, so Ullrich, ihren Marktwert zu etablieren und zu sichern, in dem sie sich selbst zur "Marke" aufbauen, Verknappung und ein gezieltes Marketing zur Imagesteigerung betreiben. Einen wesentlichen Aspekt sieht der Autor hierbei in der Steuerung der Berichterstattung über den Künstler selbst und seiner Werke. Künstler haben ein hohes Interesse, wo und vor allem wie sie rezipiert werden, da kritische Rezeptionen womöglich den Marktpreis mindern könnten. So sind im Buch vielerorts nur graue Platzhalter an den Stellen, an denen Ullrich Abbildungen von Kunstwerken geplant hatte. Damit dokumentiert Ullrich, dass unbequeme Rezeption heutzutage schlichtweg durch den jeweiligen Künstler als Rechteinhaber vermieden werden kann und auch tatsächlich vermieden wird.

Aber auch inhaltlich sieht Ullrich die Siegerkunst neue Wege beschreiten. Denn Kunst, die für den privaten Sammler bestimmt ist, unterliegt anderen Anforderungen, hat andere Bedürfnisse zu befriedigen als eine Kunst, die für den öffentlichen, musealen Raum konzipiert wurde. Die Siegerkunst sei weitaus öfter als die museale Kunst im Umfeld des Design anzusiedeln; Siegerkünstler entwerfen Lampen, Möbel, Kleidung oder beliebige Dekorobjekte. Siegerkunst kann aber ebenso provokant, obszön, radikal oder gewollt politisch sein, eine gezielt eklatante Kunst vergrößert sogar den Reiz für den Sammler.

Dabei kommt den Galerien und Agenturen eine maßgebliche Funktion zu. Denn dort werden gezielt und marktgerecht die Texte für die Kunstwerke gestaltet und somit das Image des Künstlers maßgeblich mitbestimmt.

Ein eigenes Kapitel hat Ullrich dem Vergleich von Siegerkunst mit historischen Vorläufern gewidmet, allen voran der höfischen Kultur. Dieser Rückblick macht deutlich, dass Kunst als Form gesellschaftlicher Repräsentanz eine jahrhundertelange Tradition hat. Auch die tendenzielle Überschreitung des ökonomisch oder inhaltlich Angebrachten gehörte schon in der Vergangenheit zum Lebensstil von vermögenden Exzentrikern und Machthabern. Die Siegerkunst der Postmoderne greift letztlich auf dieselben Mechanismen zurück, wenn etwa Bildprogramme schwer oder gar nicht mehr zu entschlüsseln sind. Schließlich, so Ullrich, wird der Besitzer solcher Kunst automatisch zum überlegenen Geheimnisträger. Mit Gerhard Schröder und dessen Porträt von Jörg Immendorf (2005) für die Kanzlergalerie im Bundeskanzleramt liefert Ullrich ein besonders plakatives Beispiel, wie selbst im 21. Jahrhundert Prinzipien höfischer Repräsentanz eine Umsetzung gefunden haben (81).

Ein großes Defizit der Siegerkunst sieht Ullrich in der Tatsache, dass Sie ihrem Auftraggeber schmeichelt, und zwar nur schmeichelt. Der auch hier herangezogene Vergleich mit Auftragskunst früherer Epochen, die zwar einerseits ebenso dem Mäzen entgegenkommt, aber dennoch Raum für Kritik lässt, ist evident. Ebenso problematisch sieht Ullrich die oft nicht näher definierten Aussagen der Bilder. Am Beispiel Andreas Gursky zeigt er, wie interpretationsoffen dessen Werke vielfach sind. Er sieht bei Gursky "generell [..] die Verbindung zwischen Werken und den ihnen zugeschriebenen Sinngehalten zu locker, um nicht jederzeit gelöst werden zu können" (91-92). Die so möglichen Umdeutungen und Neudeutungen führen dazu, dass er zum "Dienstleister am Betrachter" (85) wird, da seine Werke bedarfsgerecht mit Inhalten belegt werden können, was allerdings auch deren Beliebtheit fördert.

Ebenso spielt die Aufmerksamkeit, die ein Kunstwerk seinem Besitzer abverlangt, einen nicht unerheblichen Anteil bei der Beurteilung seiner Bedeutung. Anhand fast amüsant wirkender Beispiele aus dem Bereich des "Art Handling" zeigt Ullrich dem Leser, was mancher Siegerkünstler dem Eigentümer oder dem Museum an Mammutaufgaben abverlangt, um eines seiner Kunstwerke zu besitzen oder zu zeigen. Wenn etwa minutiöse Aufbauanleitungen, besonders große, klimatisierte Kisten oder gar der Transport eines zweistöckigen Hauses eingefordert werden, vorwiegend um Bedeutung zu simulieren (134-136) kommt mancher Sammler und manches Museum an die Grenzen des Machbaren.

Der Einblick in das symbiotische Verhältnis einer superreichen Elite und einer für diesen erlesenen Kreis marktgerecht produzierenden Künstlerschaft mitsamt einer Dienstleistungsindustrie hinterlässt ein desillusionierendes Bild eines elitären Kunstbetriebes, der weitgehend im Verborgenen stattfindet. Doch was im ersten Moment wie eine zynische Abrechnung anmutet, stellt sich beim Lesen als detailreiche Analyse einer Nutznießerschaft von Künstler und Sammler heraus, die in dieser Form bisher undenkbar war. Im historischen Kontext betrachtet erscheinen diese Entwicklungen, einem sich ändernden Umgang mit Kunst entsprechend, als folgerichtig. Als Fazit zieht Ullrich, dass "nicht weniger Kunst geschaffen [wird] als bisher, aber das, was neu entsteht, wird nicht mehr so sorgfältig beobachtet und nicht mehr so ambitioniert kommentiert werden" (147).

Stefan H. Fischer