Habbo Knoch: Grandhotels. Luxusräume und Gesellschaftswandel in New York, London und Berlin um 1900, Göttingen: Wallstein 2016, 495 S., 65 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-1911-0, EUR 34,90
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Die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert haben Sozial- und Kulturgeschichte bereits so gründlich durchforscht und beschrieben, dass man von neuen Publikationen zu dieser Epoche oft gar nichts mehr wesentlich Neues erwarten mag. Deswegen ist Habbo Knochs Sozial- und Kulturgeschichte der Grandhotels, eine überarbeitete Fassung seiner Habilitationsschrift von 2008, zum größten Teil eine freudige Überraschung, und noch dazu eine gut lesbare, trotz ihrer fast 400 Textseiten.
In den ersten beiden Kapiteln (die vielleicht ein wenig straffer und kürzer hätten ausfallen können) beschreibt Knoch die Anfänge des modernen Großstadthotels von ungefähr dem Beginn des 19. Jahrhunderts bis ca. 1880. Vom dritten bis sechsten Kapital, dem eigentlichen Kern des Buches, geht es anschließend um das Grandhotel als die Verkörperung des Urbanen und Luxuriösen, vielleicht schlechthin des Modernen, mit all den Problemen und Konflikten, die damit einhergingen. Vor allem die eher thematisch angelegten Kapitel 4 und 5, die sich mit dem Hotel als sozialem Raum und kapitalistischer Institution einerseits und als symbolisch beladenem Ort der Neuverhandlung traditioneller Klassen- und Geschlechterbeziehungen in der modernen Konsumgesellschaft andererseits beschäftigen, bieten eine Fülle von Beispielen an, die manchmal so dicht beschrieben sind, dass man sie mehrmals lesen muss, um sie vollständig zu begreifen. Das sechste Kapitel ist wiederum chronologisch angelegt und zeichnet die Veränderungen der Institution Grandhotel in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg nach.
Knoch sieht "die Grandhotels der Jahrhundertwende [als] ebenso reale wie imaginäre Räume eines höchst kontroversen Zeitbewusstseins über die zukünftige Gestalt des Metropolenlebens und über die Moral der modernen Gesellschaft" (120). Mit den Vereinigten Staaten, vor allem New York, als Vorreitern und teils positiv, teils negativ besetzten Schablonen waren sie Orte, die sich bewusst in die Strukturen der industriellen Großstädte einbetteten und sich gleichzeitig von deren sozialen Verwerfungen absetzten. Sie setzten auf eine bewusste Nachahmung und dann Umcodierung von vormals exklusiv aristokratischem Luxus in einen distinguierten Lebensstil einer sich gleichzeitig national und international definierenden Oberklasse. Aber sie bauten auch auf die relativ geräuschlose Einbettung neuester Technologien und Managementphilosophien in ein nur scheinbar einer opulenten Tradition verhaftetes System. Ein gut geführtes Grandhotel stand dementsprechend nicht nur aufgrund seines luxuriösen Ambientes hervor, sondern auch durch die Geschmeidigkeit, mit der es, gewissermaßen als gut geölte Maschine, funktionierte. Hinter historisierenden Fassaden steckte ein Apparat, der technologisch auf dem neuesten Stand war und in dem sich die sozialen, kulturellen und ökonomischen Konflikte der Jahrhundertwende wie in einem Mikrokosmos wieder und wieder abspielten.
Diese verschiedenen Argumentationsstränge versucht Knoch, durch eine Fülle (und vielleicht manchmal eine Überfülle) von Beispielen zu belegen. Viele davon kommen aus publizierten Quellen; Zeitungen und Zeitschriften, literarische Werke, und hier und da machen auch Memoiren den Großteil der Beweisgrundlage aus, während Archivalien eher weniger berücksichtigt werden. Das ist für eine Kulturgeschichte auch nicht weiter problematisch, führt allerdings zu einer gewissen (von Knoch durchaus eingeräumten) Verschwommenheit: Knochs Grandhotels sind vor allem Repräsentationen, Projektionsflächen für die Hoffnungen, Sehnsüchte und auch Alpträume der Menschen, die in ihnen abstiegen, dinierten oder arbeiteten; als reale Orte, reale Institutionen bleiben sie ein wenig außer Reichweite.
Zum Glück fängt Knoch diese manchmal (teilweise durch die Quellenlage) zu sehr anekdotisch geprägte Darstellung mit einem anspruchsvollen und weitestgehend stimmigen konzeptuellen Rahmen auf, den er in einem überzeugenden Schlusskapitel noch einmal umreißt. Die Geschichten, die er erzählt, finden so am Ende doch noch zu einer Geschichte zusammen, in der die Grandhotels der Jahrhundertwende mehr sind als bloße Kulisse: Sie sind sowohl "Produkte eines globalen Unternehmerkapitalismus" und transnationale "Umschlagplätze der Konsummodernisierung", als auch "Zuschreibungsräume für kulturelle Dispositive" und "Räume moralischer Transgressionen" (384-388).
Mit ihrem halb-öffentlichen, halb-privaten Charakter boten sie sich als hybride Orte an, in denen die sozialen und kulturellen Konflikte und Verwerfungen dieser Epoche immer wieder neu verhandelt wurden: Konsum und Massenkultur, Klasse und sozialer Habitus, Globalisierung und Formationen nationaler Identitäten - all diese Stränge der Moderne bündelten sich den Sozial- und Kommunikationsräumen der Grandhotels. Man wünschte sich lediglich, dass dieser Rahmen im Buch schon früher expliziert worden wäre und die Darstellung von Anfang an gegliedert und geordnet hätte.
Alles in allem sollte dies allerdings nicht davon ablenken, dass Knochs Buch der Literatur zur Geschichte des Hotels, des Reisens und des Tourismus durch seinen anspruchsvollen und dezidiert vergleichenden Ansatz durchaus etwas Neues hinzufügt. Vergleichende Stadtgeschichten der Moderne, gerade auch zu den hier behandelten New York, London und Berlin, gibt es zwar schon einige, Hotelgeschichten aber eben nicht. Und sie sind, wie hier gezeigt, durchaus der Reise wert.
Daniel Becker