Eva Oberloskamp: Codename TREVI. Terrorismusbekämpfung und die Anfänge einer europäischen Innenpolitik in den 1970er Jahren (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; Bd. 111), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2016, X + 313 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-486-76420-8, EUR 39,95
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Die Anfänge der Kooperation auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit sind bis heute ein vernachlässigtes Themengebiet der zeitgeschichtlichen Forschung. [1] Umso mehr ist der hier zu besprechende Band der Historikerin Eva Oberloskamp zu begrüßen. Auf Basis von Quellenrecherche, insbesondere in deutschen, französischen und britischen Archiven, zeichnet sie das Bild eines heute in Vergessenheit geratenen Gremiums zur Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden der Europäischen Gemeinschaft (EG), der sogenannten TREVI-Konferenz. Was letztere Abkürzung zu bedeuten hat, erschloss sich Oberloskamp aus der Aktenlage nicht. Diese sei als "Wortspiel" zu verstehen, "dessen Mehrdeutigkeit bewusst beabsichtigt war" (4). Ihre Studie ist insofern aktuell, als die Optimierung des Informationsaustauschs zwischen den europäischen Behörden nach wie vor eine Herausforderung darstellt. Oberloskamp trägt hier zu einem besseren Verständnis bei, weil sie viel neues Wissen über die Genese der europäischen Innenpolitik bereitstellt.
Die Autorin charakterisiert TREVI als pragmatische Antwort auf die zunehmende Herausforderung durch den transnationalen Terrorismus. Zwischen 1968 und 1982 hatte Westeuropa "mehr als andere Regionen der Welt unter grenzüberschreitender terroristischer Gewalt zu leiden" (12). Spätestens ab Ende der 1960er-Jahre sei eine "Internationalisierung" des Terrorismus erkennbar und infolge dessen eine "erhebliche Ausweitung von Aggressionszielen", steigende Opferzahlen und die Nutzung moderner Informations-, Kommunikations- und Reisemöglichkeiten durch die Terroristen (12ff.). Die TREVI-Konferenz war eine "unmittelbare Reaktion" auf diese "massive Gefahr" (18f.). Oberloskamp setzt TREVI darüber hinaus in den Kontext der Einführung von computergestützten Verfahren zur Polizeiarbeit. Insbesondere die Bundesrepublik Deutschland (BRD), wo dies bereits weit fortgeschritten war, habe das Ziel verfolgt, die Sicherheitsbehörden der EG-Länder zu vernetzen (19).
Auch die ersten Vorstöße für eine institutionalisierte Kooperation im Bereich der Inneren Sicherheit unternahm das Bundesinnenministerium ab 1973 (50). Diese Vorreiterrolle erklärt Oberloskamp mit dem "Initialschock", den die Geiselnahme bei den Olympischen Spielen in München 1972 bedeutete (31). Die Wahrnehmung der Bedrohung habe sich dadurch geändert: Was zuvor als "punktuelles, fremdes Problem" gesehen worden war, wurde nun als Angelegenheit betrachtet, die die BRD selbst betraf. Folglich suchte man nach Möglichkeiten einer effektiven Bekämpfung - unter anderem auf der internationalen Ebene (49).
Erste Vorarbeiten fanden 1974/75 in deutsch-französischen Arbeitsgruppen statt. Das "Tandem" Bonn-Paris sollte überhaupt als "Motor der TREVI-Zusammenarbeit" wirken (58). Nach drei Vorbereitungstreffen hoher Beamter aus allen EG-Mitgliedsländern fand schließlich am 29. Juni 1976 in Luxemburg die erste Sitzung der zuständigen Minister statt. Man vereinbarte folgende Kooperationsbereiche: Informations-, Daten- und Erfahrungsaustausch, Austausch von Polizeibeamten und Verbesserung der Ausbildung, "Zusammenarbeit zum Schutz des zivilen Luftverkehrs" sowie zum Schutz von Kernkraftwerken und bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen (92). Die Prozesse liefen auf drei transgouvernementalen Ebenen: Minister, hohe Beamte und fünf Arbeitsgruppen (94). Dabei sei die Entscheidungsfindung "bottom-up" verlaufen, wobei Oberloskamp die wichtigsten Akteure auf der Expertenebene verortet (268).
TREVI kooperierte auch mit Drittstaaten - mit der Schweiz und Österreich wurden beispielsweise "Grundsatzgespräche über eine verstärkte Bekämpfung des Terrorismus" geführt. Und es gab multilaterale Formen nachrichtendienstlicher Abstimmung, die über den EG-Rahmen hinausliefen - wie den Club de Berne bzw. den Club de Vienne (124).
Obgleich die praktische Arbeit durch das Sprachenproblem und die restriktive Geheimhaltung erschwert wurde (116f.), betrachteten die meisten Delegationen TREVI als "zwangloses Forum zur Lösung konkreter praktischer Probleme". Wenn auch während der 1970er-Jahre kein multilaterales Abkommen geschlossen wurde, so gab es "durchaus greifbare Ergebnisse". Hierzu zählt Oberloskamp Maßnahmen zur Verbesserung des Informationsaustauschs sowie der operativen Zusammenarbeit. Der Wissens- und Erfahrungstransfer habe zu Synergieeffekten und zu Angleichungsprozessen bei Fortbildung, Polizeitechnik und -ausrüstung geführt. Generell habe ein intensiver "Prozess des gegenseitigen Kennenlernens" stattgefunden (131ff.).
Außerdem wurden in allen TREVI-Staaten bis 1977 Verbindungsbüros eingerichtet. Wichtigster Kommunikationsweg war ein verschlüsseltes Telexsystem (137f.). In den 1980er-Jahren tauschte man Verbindungsbeamte bilateral aus (141f.). Schon im Mai 1977 wurde die Möglichkeit geschaffen, bei einem Terroranschlag Experten zur beratenden Unterstützung zu versenden. Beispielsweise zündeten zwei Angehörige des Special Air Service (SAS) 1977 Blendgranaten bei der Erstürmung der "Landshut" (152). Die Schaffung eines EDV-Systems zum Datenaustausch stieß in den 1970er- und 1980er-Jahren allerdings noch auf "grundlegende Schwierigkeiten". Erst im Rahmen des Schengener Informationssystems und Europols sollte dies realisiert werden (142f.).
Konkrete Erfolge aufgrund der TREVI-Kooperation verbuchte man bei der Festnahme von Angehörigen der Roten Armee Fraktion (RAF) 1977/78 sowie bei der Verhaftung von fünf deutschen Linksterroristinnen 1981/82 in Paris (134). Hemmnisse ergaben sich durch jeweils unterschiedliche Zielvorstellungen, abweichende Rechtskulturen und Politikverständnisse: Insbesondere Frankreich und Großbritannien legten Wert auf den informellen-flexiblen Charakter von TREVI. Die deutsche Seite hingegen hatte TREVI von Anfang an auch als "Integrationsinstrument" aufgefasst (193ff.). Eben weil die Souveränitätsrechte der BRD nach 1945 teilweise eingeschränkt waren, habe diese den Einigungsprozess als einen Weg zur Wiedererlangung nationaler Anerkennung begriffen und nicht als Unterminierung von Selbstbestimmung (215f.). Allerdings zeigte sich in der Praxis auch, dass das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter die Verbindungsbüros umgingen, weil diese als schwerfällig empfunden wurden (229f.).
Als problematisch streicht Oberloskamp heraus, dass der Informationsaustausch "keine ausreichenden rechtlichen Grundlagen" hatte (242) und TREVI insgesamt unter mangelhafter Kontrolle stand. Geheimhaltung hatte Priorität vor Transparenz und Öffentlichkeit, was jedoch von den potenziellen Kontrollinstanzen "akzeptiert" wurde. Überhaupt habe eine Debatte gefehlt, ob Terrorismusbekämpfung nicht nur auf Symptome, sondern auch auf Ursachen zielen solle (260f.). Obgleich TREVI eine "notwendige Antwort" auf die Gefahr des Terrorismus gewesen sei, wurden Strukturen und Praktiken geschaffen, "die problematisch für demokratische Grundwerte, Verantwortlichkeit und Legitimität waren" (279).
Unter dem Strich kommt Oberloskamp zum Schluss, dass die Ziele von TREVI "erheblich weitreichender" waren, als die Ergebnisse. Vieles sei angesprochen, aber nicht konkret geregelt worden (266). Letztendlich habe TREVI nämlich darauf abgezielt, die Sicherheit der einzelnen Nationalstaaten zu stärken und stieß dort an seine Grenzen, "wo die Interessen der beteiligten Staaten im ausreichenden Maße übereinstimmten" (273). Erkenntnisse aus Zeitzeugeninterviews und etwas Fokus auf die Spätphase von TREVI hätten zu einer Abrundung beigetragen - alles in allem handelt es sich um einen ertragreichen und vor allem flüssig lesbaren Forschungsbeitrag.
Anmerkung:
[1] Siehe dazu auch: Konrad Schober: Europäische Polizeizusammenarbeit zwischen TREVI und Prüm: Mehr Sicherheit auf Kosten von Freiheit und Recht?, Heidelberg 2017. Die Schweizer Historikerin Aviva Gutmann arbeitet derzeit an dem Buchprojekt The Origins of International Counterterrorism Cooperation: Intelligence Sharing in the Club de Berne (1971-1978).
Thomas Riegler