Rezension über:

Linda Gertner Zatlin: Aubrey Beardsley. A Catalogue Raisonne, New Haven / London: Yale University Press 2016, 2 Bde., XXXI + 519 S. + 547 S., ISBN 978-0-300-11127-9, USD 300,00
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Rezension von:
Lisa Hecht
a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Lisa Hecht: Rezension von: Linda Gertner Zatlin: Aubrey Beardsley. A Catalogue Raisonne, New Haven / London: Yale University Press 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 5 [15.05.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/05/30410.html


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Linda Gertner Zatlin: Aubrey Beardsley

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Nach zahlreichen Publikationen in Form von Monografien, Aufsätzen und Katalogbeiträgen legt Linda Gertner Zatlin, Professorin für englische Literaturwissenschaft am Morehouse College, Atlanta, nun den ersten Catalogue Raisonné mit dem Verzeichnis sämtlicher Werke des Illustrators Aubrey Beardsley (1872-1898) vor. Darin fasst die Autorin auf eindrückliche Weise die bisherige Forschung zu dem jung an Tuberkulose verstorbenen Zeitgenossen Oscar Wildes zusammen.

Nachdem 1966 die erste große Beardsley-Retrospektive im Londoner Victoria & Albert Museum unter der Leitung von Brian Reade stattfand, zu der ein erster, wichtige Grundlagen liefernder Katalog entstand [1], etablierte sich in den folgenden Jahrzehnten eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen, vor allem Literaturwissenschaftlerinnen, die sich dem Werk des Autors und Zeichners widmeten. Unter diesen hat sich Linda Gertner Zatlin seit den 1980er-Jahren als eine der führenden Beardsley-Expertinnen hervorgetan. Insbesondere ihre Bücher "Aubrey Beardsley and Victorian Sexual Politics" [2] sowie "Beardsley, Japonisme, and the Perversion of the Victorian Ideal" [3] gaben wichtige Anstöße dafür, sich mit dem Werk des Künstlers unter spezifischen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen.

Der vorliegende Katalog basiert nun auf dieser jahrzehntelangen Kenntnis und Forschung zum Œuvre Aubrey Beardsleys. Die zwei schweren Bände - welche insgesamt 6 kg wiegen und nicht unbedingt als handlich zu bezeichnen sind - werden in einem Schuber präsentiert, der auf Vorder- und Rückseite Beardsleys frühes Selbstporträt (1891/92) umrahmt von den wilden Ornamenten des späten "Volpone"-Umschlags (1897/98) zeigt. Während diese Gestaltung bereits auf den umfassenden Inhalt vorausweist, stört sich der Blick etwas an der gewählten Art Nouveau-Schrifttype. Diese scheint eher für die Reklame eines Kaffeehauses geeignet, denn für das Werkverzeichnis eines Künstlers, dessen Schaffen weit über einen bloßen Protojugendstil hinausgeht.

Trotz des gewichtigen Erscheinungsbildes finden sich im Innern der Publikation zahlreiche praktikable Inhalte, die jedem Beardsley-Interessenten und -Forscher einen lohnenden Einblick in das Leben und Werk des Künstlers gestatten. Gertner Zatlin gliedert ihr Werkverzeichnis nach den wesentlichen Schaffensphasen und Aufträgen Beardsleys als Illustrator. Damit stellt sie gleichsam die künstlerische Produktion in den Vordergrund der Betrachtung, anstatt - wie etwa Stanley Weintraub [4] - die bewegte Biografie Beardsleys allzu sehr zu fokussieren.

Nach einer detaillierten Chronologie folgt der Katalogteil, welcher mit den "Juvenilia 1880-1888" einsetzt und sich in Band I mit den quantitativ größten Aufträgen des Künstlers befasst. So sind darin erstmals sämtliche Illustrationen Beardsleys zur 1893/94er-Ausgabe von Thomas Malorys "Morte Darthur" sowie die Grotesken der "Bon-Mots Series" (1892-93) versammelt.

Band II präsentiert, beginnend mit den Illustrationen zu Oscar Wildes "Salome" (1893/94), die Hauptwerke des Künstlers. Weiterhin kategorisiert nach den bedeutendsten Publikationen, an denen Beardsley beteiligt war, finden sich hier die Beiträge zum berühmten "Yellow Book" und zu seinem Nachfolger, dem bibliophilen Magazin "The Savoy", sowie die Bilder für Alexander Popes Gedicht "The Rape of the Lock", Aristophanes' Komödie "Lysistrata" oder zu Théophile Gautiers "Mademoiselle de Maupin". Es schließt sich weiterhin ein ausführlicher Anhang an, bestehend aus Zeichnungen in Briefen oder Büchern und einem Abschnitt zu Fälschungen und Karikaturen, der noch erweiterbar wäre angesichts der zahllosen falschen Zuschreibungen, die sich mittlerweile auf Internetseiten finden lassen, und Karikaturen, die bereits zu Beardsleys Lebzeiten in Zeitschriften wie "Punch" erschienen. Am Ende runden eine aktuelle Bibliografie und Ausstellungsübersicht zu Aubrey Beardsley das Werkverzeichnis ab.

Über die hier lediglich skizzierten Abschnitte der Publikation hinaus, bietet der Katalog zahlreiche weitere Informationen, die bisher nie in dieser konzentrierten Form zusammengetragen worden sind. Zu jedem der abgebildeten Werke liefert Gertner Zatlin mindestens den genauen Erkenntnisstand in Sachen Provenienz, Technik, Größe und Aufbewahrungsort. Die Autorin ergänzt diese sachdienlichen Informationen weiterhin durch eine jeweilige Auflistung der Blumensymbolik in Beardsleys Zeichnungen, die ihrer Meinung nach einen wichtigen Schlüssel zu deren angestrebter Wirkung darstellt (Bd. I, 232). Selten fügen sich diese Vorbemerkungen jedoch sinnvoll in die angeschlossene Analyse und bleiben zu oft unkommentiert und fraglich ob ihres Nutzens für die Interpretation von Beardsleys Werken.

Es sei indes Gertner Zatlins große Leistung hervorgehoben, so gut wie jeder Zeichnung eine Analyse zu widmen, die je nach Forschungsstand umfangreich bis knapp ausfällt. Der Leser und insbesondere der Beardsley-Forscher können sich nur dankbar zeigen angesichts der Fülle an Informationen, die Gertner Zatlin zu sämtlichen bekannten Werken des Künstlers zusammenträgt. Dabei konzentriert sie sich vor allem auf die jeweilige Entstehungsgeschichte des Blattes oder des gesamten Buches, welche sie anhand der Briefe Beardsleys und seiner Zeitgenossen nachvollzieht. Hierin kündigt sich bereits Gertner Zatlins nächste geplante Publikation der Briefe des Künstlers an, die die mittlerweile über 40 Jahre alte Sammlung von Maas, Duncan und Good ersetzen soll. [5]

Leider beschränkt die Autorin ihre Bildanalysen oftmals auf Ausführungen und Interpretationen, die sie aus der vergangenen (vornehmlich eigenen) Forschungsliteratur zusammenträgt. Dabei hält Gertner Zatlin an Diskursen der 1980er- und 1990er-Jahre fest, die Beardsley als genuin modernistischen Künstler verstanden wissen wollen. Insbesondere die feministische Lesart seiner Bilder überzeugt nur bedingt: "Typical of his work, Beardsley grants woman sovereignty over her body by showing her neither as a worshipful slave nor as sexual object." (Bd. II, 311) Obwohl die englischen 1890er ein Jahrzehnt sind, in dem die Emanzipation der Frau ein bedeutendes Thema der öffentlichen Diskussion war, scheinen die Damen in Beardsleys Bildern vielmehr einen parodistischen Kommentar über die zeitgenössische Furcht vor der Neuen Frau darzustellen, denn einen proto-feministischen Aufschrei. Auch aus den Briefen und literarischen Werken Beardsleys geht eine solche Positionierung für die Frauenfrage nicht hervor.

Nichtsdestoweniger beeindruckt Gertner Zatlins Übersicht in ihrer Materialfülle. Ihr gelingt es sogar, bisher fragliche Beziehungen zwischen Beardsley und seinen Verlegern oder literarischen Begleitern offen zu legen und fundiert neu zu ordnen. Zuweilen wagt die Literaturwissenschaftlerin auch Verweise auf mögliche kunsthistorische Vorbilder Beardsleys, wobei Vergleichsabbildungen wünschenswert wären. Ohnehin bleiben an dieser Stelle noch zahlreiche Lücken in der kunsthistorischen Untersuchung des Werkes, die Gertner Zatlins Ansätze sicher erweitern könnten.

Nachdem die Chronologie noch von einer Abbildung der Malory-Ausgabe - in geöffnetem und geschlossenem Zustand - begleitet wird, wartet der folgende Katalog leider nicht mit solchen kontextualisierenden Fotografien der buchkünstlerischen Gesamtgestaltungen auf. Gleichwohl ist eine hohe Abbildungsqualität zu verzeichnen, die stets (sofern möglich) die Handzeichnung reproduziert und nicht - wie dies noch bei Brian Reade weitestgehend der Fall war - auf die gedruckten Werke zurückgreifen muss.

Linda Gertner Zatlins herkulisches Unterfangen, das umfangreiche Schaffen Aubrey Beardsleys zu katalogisieren, endet somit in einer Publikation, die ästhetisch wie inhaltlich eine hohe Qualität aufweist und insbesondere durch praktikablen Aufbau sowie inhaltliche Übersicht besticht.


Anmerkungen:

[1] Brian Reade: Aubrey Beardsley, London 1966.

[2] Linda Gertner Zatlin: Aubrey Beardsley and Victorian Sexual Politics, Oxford 1990.

[3] Linda Gertner Zatlin: Beardsley, Japonisme and the Perversion of the Victorian Ideal, Cambridge 1997.

[4] Stanley Weintraub: Aubrey Beardsley. Imp of the Perverse, Pennsylvania State University Press 1976.

[5] Henry Maas / J.L. Duncan / W.G. Good (eds.): The Letters of Aubrey Beardsley, Oxford 1970.

Lisa Hecht