Rezension über:

Ludger Tewes: Rotkreuzschwestern. Ihr Einsatz im mobilen Sanitätsdienst der Wehrmacht 1939-1945 (= Krieg in der Geschichte (KRiG); Bd. 93), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2016, 525 S., ISBN 978-3-506-78257-1, EUR 59,00
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Rezension von:
Wiebke Lisner
Hannover
Empfohlene Zitierweise:
Wiebke Lisner: Rezension von: Ludger Tewes: Rotkreuzschwestern. Ihr Einsatz im mobilen Sanitätsdienst der Wehrmacht 1939-1945, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 6 [15.06.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/06/29788.html


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Ludger Tewes: Rotkreuzschwestern

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Ludger Tewes untersucht aus militärhistorischer, medizin- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive die Einbindung von Voll- und Hilfsschwestern des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) im mobilen Heeressanitätswesen während des Zweiten Weltkriegs. Einen Schwerpunkt legt er auf die Tätigkeit der DRK-Schwestern im besetzten Frankreich sowie auf dem sowjetischen Kriegsschauplatz. Ziel der Arbeit ist es, die "Einsatzbedingungen" ebenso wie individuelle Erfahrungen der Schwestern nachzuzeichnen und die "sanitätsdienstliche Relevanz" ihres "Einsatzes" zu bewerten. (21) Untersucht werden diese Fragen anhand eines Samples von 58 DRK-Schwestern, mit denen Tewes teilweise Interviews führte und deren Briefe - insbesondere an ihre DRK-Mütterhäuser - sowie private Tagebuchaufzeichnungen er auswertete. Darüber hinaus stützt Tewes seine Untersuchung auf Archivquellen, vor allem auf Aktenbestände des Deutschen Roten Kreuzes sowie der Wehrmacht.

Gegliedert ist das Buch in zwei Teile: Im ersten arbeitet Tewes die besondere Funktion und Bedeutung des Deutschen Roten Kreuzes für die deutsche Kriegführung heraus. Nur in diesem Verband organisierte Schwestern und Helferinnen wurden in den Heeressanitätsdienst einbezogen. Die DRK-Schwestern versorgten Kranke und Verwundete, übernahmen in den Soldatenheimen aber auch soziale Betreuungsaufgaben. Im zweiten Teil des Buches zeichnet Tewes Motivationen und Lebensplanungen der Schwestern sowie ihre Beziehungen zu ihren Mutterhäusern nach. Für die Mehrheit der Bereitschaftsschwestern gehörte die Eheschließung zur privaten Lebensplanung, und viele heirateten noch während des Krieges. Für zölibatär lebende Schwestern war hingegen die Mutterhausgemeinschaft von besonderer Bedeutung. Die Gemeinschaft half ihnen, im Heeressanitätsdienst "die Unwägbarkeiten, Überforderungen und Ängste zu kompensieren" (480).

Die Arbeit in den Lazaretten war - so Tewes - geprägt von Personal- und Materialmangel sowie hohen physischen und psychischen Belastungen. Insbesondere an der "Ostfront" war die Anzahl der Verwundeten hoch. Verletzungen mit schlechten Heilungsprognosen wurden nachrangig behandelt, da es keine ausreichenden Versorgungsmöglichkeiten gab. Die Schwestern waren in die Umsetzung der ärztlich festgelegten Behandlungsreihenfolge und damit in Entscheidungen über Leben und Tod eingebunden, auch wenn Ärzte die Verantwortung trugen. Unter diesen Bedingungen konnte der Heeressanitätsdienst bemerkenswerte Heilungserfolge verbuchen. Ein Viertel bis ein Drittel aller Verwundeten kehrte, so Tewes, nach kurzer Zeit als genesen zur Truppe zurück. Infektionskrankheiten, z.B. Fleckfieber, waren ein häufiges Thema in den Berichten der Schwestern und gefährdeten auch ihre eigene Gesundheit.

Der Heeressanitätsdienst war auf die Hilfe einheimischer Pflege- und Hilfskräfte angewiesen. In Smolensk wurden sogar Insassen von Gefangenenlagern regelmäßig zur Hilfe im Lazarett herangezogen. Über die Begegnungen mit einheimischen Pflege- und Hilfskräften im Lazarett hinaus hatten, wie Tewes herausarbeitet, die DRK-Schwestern kaum Kontakt zur Bevölkerung. In diesem Zusammenhang macht Tewes auf unterschiedliche "geschlechtsbezogene Einstellungen" von Schwestern und Soldaten zur einheimischen Bevölkerung aufmerksam. Seine Schlussfolgerung reproduziert hierbei allerdings eher Geschlechterklischees, als dass er Geschlechterverhältnisse sowie verschiedene Formen von z.B. sexualisierten Kontakten der deutschen Besatzer zur einheimischen Bevölkerung analysiert und einordnet. [1] So schreibt der Autor: "Wo der deutsche Soldat die hübsche Französin anblickte, grenzte sich die Rotkreuzschwester von ihr eventuell als Konkurrentin ab. Frauen reagieren unter Umständen emotionaler, Männer impulsiver." (146)

Zwischen Schwestern und verwundeten Soldaten kam es nach Tewes Darstellung häufiger zu engen und intimen Kontakten. Zugleich erhielten die Schwestern den Auftrag, Vorbilder in Disziplin zu sein und den "Durchhaltewillen" der Soldaten zu stärken. (476) Das Verhältnis zwischen Schwestern, Sanitätern und Ärzten wurde, wie Tewes ausführt, durch die physisch und psychisch stark belastende Arbeitssituation sowie "Kameradschaft" geprägt. Die Schwestern konnten hierbei als "berufsqualifizierte Spezialistinnen" in hohem Maß eigenständig arbeiten und ihren Kompetenz- und Entscheidungsbereich ausweiten. (475-477)

Ein Verdienst der Arbeit ist es, die Bandbreite des "Einsatzes" der DRK-Schwestern in allen Teilen des Heeres und damit ihre enge Zusammenarbeit mit der Wehrmacht und ihre Verstrickung in Krieg, Gewalt und Besatzung aufzuzeigen. Tewes' Quellenmaterial vermittelt Einblicke in Erfahrungen, Deutungen und Perspektiven deutscher Schwestern. So dokumentieren ihre Aussagen und Berichte ihre Zeugenschaft hinsichtlich der Ermordung der jüdischen Bevölkerung. Eine Schwester, die in Žitomir tätig war, berichtete z.B. im Interview: "Auch in unserem Lazarett hatten wir russische Hilfskräfte, zum Teil Juden, auch diese wurden mit ihren Kindern auf LKWs geladen und zur Erschießung gebracht." (200) Tewes verengt die Frage von Zeugenschaft und Mitwirkung der Schwestern bei Ausgrenzung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung auf die Aussage, "der Zwiespalt zwischen NS-Rassenideologie und den humanitären Idealen des Internationalen Roten Kreuzes" sei von den Schwestern "verdrängt oder zugunsten der NS-Ideologie ausgelegt" worden. (472) Damit verschließt er den Blick auf Ansätze wie z.B. den von Mary Fulbrook, Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung innerhalb eines gesellschaftlichen Systems im Sinne von "systemischer Gewalt" zu verorten und den Begriff des "Zuschauers" neu zu fassen. [2]

Das von Tewes ausgebreitete Quellenmaterial bietet vielfältige Anknüpfungspunkte an Forschungsfragen zu Erfahrungen, Profitieren und Indienstnahme von Frauen während des Zweiten Weltkriegs, zur Verschränkung von Epidemiologie und Rassenpolitik sowie zu alltags- und geschlechtergeschichtlichen Perspektiven auf Krieg und Besatzung. Umso bedauerlicher ist es, dass Tewes die Forschungen der letzten Jahre zu diesen Themenbereichen, etwa die Arbeiten von Elizabeth Harvey, Franka Maubach und Paul Weindling oder auch die Edition der Briefe der ehemaligen Soldatenheimschwester Annette Schücking, nicht einbezogen hat. Dies wäre für die Analyse gewinnbringend gewesen. Da Ludger Tewes auf eine substantielle Einleitung verzichtet, ist es empfehlenswert, bei der Lektüre mit der Zusammenfassung zu beginnen, um Fragestellung und Gliederung der Arbeit nachvollziehen zu können. Ein Lektorat des sprachlich nicht immer gelungenen Textes wäre wünschenswert gewesen.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Maren Röger: Kriegsbeziehungen. Intimität, Gewalt und Prostitution im besetzten Polen 1939 bis 1945, Frankfurt/M. 2015.

[2] Mary Fulbrook: Eine kleine Stadt bei Auschwitz. Gewöhnliche Nazis und der Holocaust, Essen 2015.

[3] Elizabeth Harvey: Women and the Nazi East. Agents and Witnesses of Germanization, New Haven / London 2003; Franka Maubach: Die Stellung halten. Kriegserfahrungen und Lebensgeschichten von Wehrmachthelferinnen, Göttingen 2009; Julia Paulus / Marion Röwekamp (Hgg.): Eine Soldatenheimschwester an der Ostfront. Briefwechsel von Annette Schücking mit ihrer Familie (1941-1943), Paderborn u.a. 2015; Paul Julian Weindling: Epidemics and Genocide in Eastern Europe, 1890-1945, Oxford 2000.

Wiebke Lisner