Rezension über:

Susanne von Falkenhausen: Jenseits des Spiegels. Das Sehen in Kunstgeschichte und Visual Culture Studies, München: Wilhelm Fink 2015, 270 S., ISBN 978-3-7705-5973-2, EUR 34,90
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Rezension von:
Kunibert Bering
Didaktik der bildenden Künste, Kunstakademie, Düsseldorf
Redaktionelle Betreuung:
Jessica Petraccaro-Goertsches
Empfohlene Zitierweise:
Kunibert Bering: Rezension von: Susanne von Falkenhausen: Jenseits des Spiegels. Das Sehen in Kunstgeschichte und Visual Culture Studies, München: Wilhelm Fink 2015, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 7/8 [15.07.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/07/28019.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Susanne von Falkenhausen: Jenseits des Spiegels

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Wenn zwei derartig unterschiedliche Ansätze wie die herkömmliche Kunstgeschichte und die Visual Culture Studies miteinander verglichen werden sollen, benötigt man ein tertium comparationis - Susanne von Falkenhausen findet diesen methodischen Schlüssel im Sehen als dem Phänomen, das beide Felder fundamental betrifft (15).

Methodisch nähert sich von Falkenhausen der angesprochenen Problematik durch die Lektüre von Texten, wobei mit Recht angemerkt wird, dass eine spezifisch kunsthistorische Kritik des Sehens zumeist indirekt erfolgt. Der Bogen spannt sich über Erwin Panofskys Überlegungen zur "Perspektive als 'symbolische Form'", Ernst Gombrichs "Art and Illusion", Otto Pächts "Methodisches zur Kunsthistorischen Praxis" zu Michael Baxandalls "Painting and Experience", Svetlana Alpers' "The Art of Describing" und Wolfgang Kemps Rezeptionsästhetik. Es ist der Autorin sicherlich zuzustimmen, dass es sich dabei um Basistexte kunsthistorischer Forschung handelt, die sich "explizit oder implizit" (30) mit dem Sehen beschäftigen.

Ein wesentlicher Punkt der Auseinandersetzung besteht in der Debatte um die Zentralperspektive - für die kunsthistorische Forschung der Gegenwart nicht unbedingt im Fokus stehend, aber für die Visual Culture Studies durchaus ein häufig angesprochener Konfliktauslöser: Der Zentralperspektive wird unter Einbeziehung von Gender Studies ein männlicher Blick unterstellt. Von Falkenhausen diskutiert in diesem Zusammenhang ausführlich die Position Norman Brysons, der seit den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts die vermeintliche Position des Subjekts im Zentrum der Welt, sichtbar im Modell der Zentralperspektive, dekonstruiert (152f.).

Der Kunstgeschichte allerdings generell pauschal zu unterstellen, das Sehen bleibe "meist [...] als Voraussetzung ihrer Praxis unausgesprochen" (30), blendet wesentliche Reflexionen und theoretische Ansätze aus: zu Beginn der künstlerischen Moderne denkt Konrad Fiedler über das "sehende Sehen" nach. In dessen Nachfolge entfaltet Max Imdahl seine weitreichende Methode der "Ikonik", das großangelegte Projekt zum Nachweis jener Phänomene, die ausschließlich das - gesehene - Bild jenseits der Sprache zu vermitteln in der Lage ist, und die Kunstgeschichte ist für Imdahl die Wissenschaft, die dieses erforscht, wie er selbst an einer Fülle von Fallstudien belegt. Hier knüpft Gottfried Boehm mit seiner Vorstellung vom "iconic turn" an, ein weiterer Beleg für die Reflexion von Sehen und Bild in der Kunstgeschichte der jüngsten Vergangenheit.

Besonderes Augenmerk widmet von Falkenhausen den Problemen um Visualität, Sehen und Repräsentation in den Visual Culture Studies. Dabei erörtert die Autorin ausführlich die Genese dieses Ansatzes im akademischen und im nicht-akademischen Bereich (100) vor allem unter dem Aspekt einer Verbindung von Kunst und Politik, und legt die besonderen Intentionen im Hinblick auf kulturelle Identitäten und emanzipatorische Konzeptionen, feministische Ansätze, Minoritäten-, Queer- und Genderproblematik dar. Den Verbindungen der Visual Culture Studies zu den bis in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts zurückreichenden Cultural Studies geht die Autorin begründet an mehreren Stellen nach, liegen doch hier in der Hinwendung zur populären Kultur entscheidende Differenzen zur konventionellen Kunstgeschichte. Andererseits sollte nicht unerwähnt bleiben, dass gerade diese Ausrichtung der Cultural Studies im Horizont der deutschen Wissenschaft eine bedeutende Parallele im kunstdidaktischen Ansatz der "Visuellen Kommunikation" der späten 60er- und 70er-Jahre fand.

Der zweite große Teil der Arbeit ist grundlegenden Texten der Visual Culture Studies gewidmet. In den Mittelpunkt ihrer Diskussion der Visual Culture Studies stellt von Falkenhausen eine Erörterung des "Modells des Gaze" (121), wobei sie die Herkunft dieser Debatte aus dem französischen Poststrukturalismus mit Wurzeln in Sartres Philosophie darlegt. Von Falkenhausen hebt insbesondere die von Lacan erarbeitete Spiegelmetaphorik und sein Modell des Blicks mit der zentralen "Gaze"-Metaphorik als "Gründungstheorem" der Visual Culture Studies (122) hervor, das zuvor bereits die Filmwissenschaften rezipiert hatten.

Der Gang der Argumentation führt die Autorin anschließend zu einer aufschlussreichen Darlegung unterschiedlicher Möglichkeiten des Blicks, verschiedene "Blickregime", Möglichkeiten optisch wahrnehmbarer Ordnungen, wie der "böse Blick", das Sehen von Diversität oder des "Anderen" oder das Sehen von Wirklichkeitsverhältnissen.

Gerade von dem Vergleich der Kunstgeschichte mit Visual Culture Studies ausgehend, ließe sich eine kritische Auseinandersetzung mit der Bildwissenschaft führen, die von Falkenhausen ausdrücklich ausklammert. In vergleichbarer Weise kommen neurophysiologische Studien zum Phänomen des Sehens und der Wahrnehmung - namentlich die hier exemplarisch herausgegriffenen Studien von Gregory und Singer - in der vorliegenden Studie nicht vor, obwohl diese Arbeiten insbesondere seit den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung auch für die Geisteswissenschaften gewonnen haben. Wenn sich von Falkenhausen vor allem auch für die Verwendung des für sie wesentlichen Begriffs des "Feldes" einsetzt, so sollten die Untersuchungen von James J. Gibson zum "visual field" Erwähnung finden, zumal die damit verbundene Vorstellung auch in der zeitgleichen bildenden Kunst, z.B. bei Richard Serra, zum grundlegenden Faktor von Formfindungsprozessen avanciert.

Insgesamt gelingt von Falkenhausen eine sehr gut recherchierte Studie zu jenem wenig bekannten Grenzgebiet zwischen Kunstgeschichte und Visual Culture Studies, Gebieten, deren jeweilige Vertreter sich zumeist polemisierend oder ignorierend gegenüber standen. Das "Sehen" ist - so die bedeutende Schlussfolgerung - nicht nur der kleinste gemeinsame Nenner beider Disziplinen, sondern fordert zugleich eine ethisch zu begründende Haltung ein, die das "Andere" respektvoll integriert.

Kunibert Bering