Rezension über:

Ersie C. Burke: The Greeks of Venice, 1498-1600. Immigration, Settlement, and Integration (= Cursor Mundi; Vol. 24), Turnhout: Brepols 2016, XXVI + 239 S., 4 Farb-, 13 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-55926-1, EUR 80,00
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Rezension von:
Stephan Sander-Faes
Historisches Seminar, Universität Zürich
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Stephan Sander-Faes: Rezension von: Ersie C. Burke: The Greeks of Venice, 1498-1600. Immigration, Settlement, and Integration, Turnhout: Brepols 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 11 [15.11.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/11/30153.html


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Ersie C. Burke: The Greeks of Venice, 1498-1600

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Ersie Burkes nun vorliegende Studie behandelt die 'griechische' Gemeinde der Stadt Venedig im 16. Jahrhundert. Der sehr gut gewählte Einstieg in die Materie (xvii-xxvi) umfasst neben einer knappen Diskussion des Forschungsstands (xxi-iv) auch einen expliziten Verweis auf die gegenwärtig hochaktuellen Themen Migration, Einwanderung und Integration. Der weit verbreiteten Annahme, dass vollkommen klar und offensichtlich wäre, wer "ein Grieche" sei (xxiv-xxv), hält Burke entgegen, dass diese Frage feingliedriger behandelt werden müsste (sollte). Und genau dieser Nuancierung, die über die herkömmlichen plakativen Einteilungen ständischen Zuschnitts (in Venedig: Patrizier, cittadini originari, popolani) hinausweist und auf der Basis der reichlichen Archivtraditionen auch die 'normalen Menschen' berücksichtigt, geht die Autorin nach: ohne ideologischem Überbau, aber unter Verweis auf ihre eigene Migrationserfahrung. Ihre Studie ist in zwei große Teile gegliedert. Teil 1 mit dem Titel "Arrival and Settling" umfasst Abschnitte zu den Rahmenbedingungen in Venedig ("A Venetian Setting", 3-22), zur Ankunft der Neuankömmlinge ("New Ties and a New Community", 23-64) und zum Arbeitsumfeld der meisten "Griechen" ("The World of Work", 65-110). Der zweite Abschnitt ("Becoming Venetian") fokussiert die mehr oder minder erfolgreiche Integration und thematisiert die institutionellen Rahmenbedingungen ("A Community's Institutions", 113-142), hinterfragt die gängigen Annahmen über die 'griechischen' Bürgerinnen und Bürger Venedigs ("Venetian Greeks?", 143-181) und wagt sich zum Abschluss an eine ausführliche Diskussion der nach wie vor zum Teil heiklen Aufgabe, "Greekness" (etwa: Griechisch-sein) im 16. Jahrhundert genauer zu bestimmen ("Defining Greekness", 183-209). Die konzise Zusammenfassung (211-214) ist sowohl eine Art 'Bestandsaufnahme' als auch ein Aufruf zur vertieften, quellengesättigten Behandlung weiterer 'griechischer' Bevölkerungsgruppen im 16. Jahrhundert und darüber hinaus.

Burkes Studie zeichnet sich durch sorgfältiges Quellenstudium, ein klar umrissenes Thema und die Fokussierung von Einzelaspekten aus, die oftmals, wenn überhaupt, eher am Rande ähnlicher Abhandlungen [1] vorkommen: so etwa der Rolle von Kindern, die in Testamentsverfügungen in den Quellen sichtbar werden (48-54), das Feld der 'Freundschaft' im weiteren Sinne (55-62), die Gruppe arbeitender Frauen (90-95) [2] oder 'intellektueller' Eliten (95-100). [3]

Die Gliederung der Untersuchung in zwei große Abschnitte erwächst auch aus der Etablierung des institutionellen Rahmens der 'griechischen' Gemeinde in San Giorgio dei Greci, der die Scuola dei Greci (gegr. 1498) an die Seite gestellt wird. Die Integration vieler Neuankömmlinge verlief parallel zu deren institutioneller Verortung in Venedig, die sich, wie Burke festhält, der Kooperation von Griechen aus allen Schichten verdankte (123-124) und, wie ebenso betont wird, weder linear verlief noch sich in klare Narrative progressiver oder geplanter Integration einordnen lässt (vgl. hierzu die Episode um einen Ikonendiebstahl, 128-134). Entsprechend den jüngsten Trends zu Hybridisierung einzelner Personen bzw. Gruppen treten 'die Griechen' auch in der vorliegenden Studie als "transimperiale Untertanen" [4] auf, wenn auch der republikanische Charakter der Markusrepublik und der nach wie vor schwerlich als geklärt zu bezeichnende Aspekt der mehrfachen Bürger- und Aufenthaltsrechte im venezianischen Machtbereich (civis de intus/extus, habitator) mehr Ambivalenz nahelegen, was Burke im letzten Kapitel auf eindrucksvolle Art und Weise gelingt: 'Grieche' war, wer Griechisch sprach, mehrheitlich dem orthodoxen Ritus zuzurechnen war und sich dadurch sowohl in die ständische Gesellschaft Venedigs als auch auf individueller Ebene (mehrfach) zuordnen ließ. "Venezianisches Griechisch-sein" war vor allem durch seine transkulturellen Aspekte gekennzeichnet (pointiert auf 208-209).

Burke legt ein sehr gut lesbares und vor allem sorgfältig ausgewogen fokussierendes Buch vor, das sowohl die griechischen (Händler-) Eliten (83-89), adelige Lebenswelten, inkl. Kunstpatronage (172-181) und exogame Heiratsmuster (95-110) umfasst, vor allem aber die Mehrheit der griechischen Einwohner Venedigs thematisiert. Positiv ist auch die in den Anmerkungen erfolgte Anführung der Originalpassagen aus der Vielzahl der Quellenzitate, die eine weiterführende Benutzung der Studie erlauben. Weniger gelungen sind, wiewohl gewiss auch den Verlagsvorgaben geschuldet, die bescheidene Qualität der vielen Abbildungen und die gerade in der englischsprachigen Forschung oft zu beobachtende kursorische Verortung in der weiterführenden Literatur (so fehlen etwa maßgebliche Hinweise auf die in jüngeren Jahren geradezu boomende Migrationsforschung [5]) sowie der Einsatz nicht immer umfassend bzw. klar definierter Begriffe (vgl. etwa den Abschnitt zu der Markusrepublik als Kolonialmacht, xviii-xix). Der wohl problematischste Aspekt ist jedoch nicht, dass seit den Publikationen von u.a. Luca Molà bzw. Brünehilde Imhaus [6] viele weitere Studien zu etwa 'Dalmatinern', Niederländern oder, weitaus traditioneller zugeschnitten, den 'Deutschen'[7] erschienen sind, sondern dass diese oftmals ohne wechselseitiger Berücksichtigung konzipiert scheinen. Und darin liegt, womöglich paradoxerweise, auch der 'Auftrag' von Burkes Studie: Nun liegen eine Vielzahl jüngerer Publikationen vor, so dass einer größeren Synthese über die (stadt-) venezianischen Minderheiten im 16. Jahrhundert nichts mehr im Wege steht.


Anmerkungen:

[1] Beispielhaft Bonazzo, Natalino, u.a. (Hg.): La chiesa di San Bartolomeo e la comunità tedesca a Venezia, Venedig 2013 (Chiese di Venezia: Nuove prospettive di ricerca 1).

[2] Etwa Chojnacka, Monica: Working Women of early modern Venice, Baltimore 2001 (Studies in Historical and Political Science 118, 3); vgl. Sperling, Jutta: Convents and the Body Politic in Late Renaissance Venice, Chicago 1999 (Women in Culture and Society).

[3] Vgl. Arbel, Benjamin: Translating the Orient für the Serenissima. Michiel Membrè in the Service of 16th-Century Venice, in: Fuess, Albrecht, und Bernard Heyberger (Hg.): La frontière méditerranéenne du XVe au XVIIe siècle. Échanges, circulations et affrontements, Turnhout 2013, S. 253-277 (Études Renaissantes); Sander-Faes, Stephan: Urban Elites of Zadar. Dalamtia and the Venetian Commonwealth (1540 to 1569), Rom 2013, S. 76-141 (I libri di Viella 156).

[4] Rothman, E. Nathalie: Brokering Empire. Trans-Imperial Subjects Between Venice and Istanbul, Ithaca, N.Y., 2012.

[5] Beispielhaft, wenn auch ab dem 17. Jh., Bade, Klaus, u.a. (Hg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zu Gegenwart, Zürich 2007 (NZZ Libro); s. Anm. 6.

[6] Etwa Imhaus, Brünehilde, Le minoranze orientali a Venezia (1300-1510), Rom 1997; Molà, Luca La comunità dei lucchesi a Venezia. Immigrazione e industria della seta nel tardo medioevo, Venedig 1994 (Memorie/Classe di scienze morali, lettere ed arti 53).

[7] Beispielhaft aus der jüngeren Literatur u.a. Čoralić, Lovorka: Barani u Mlecima. Povijest jedne hrvatske iseljeničke zajednice [Einwohner aus Bar in Venedig. Geschichte einer kroatischen (sic) Auswanderergemeinde], Zagreb 2006 (Biblioteka Povjesnica) dies.: Šibenčani u Mlecima [Einwohner aus Šibenik in Venedig], Šibenik 2003 (Knjižnica Faust); van Gelder, Maartje: Trading Places.

The Netherlandish Merchants in early modern Venice, Leiden 2009 (Library of Economic History 1); s. ebenso Anm. 1.

Stephan Sander-Faes