Eugenio Susi: Santi, porti e reliquie. Agiografia e culto lungo la costa tirrenica nell'alto Medioevo (= Uomini e mondi medievali; 50), Spoleto: Fondazione Centro Italiano di Studi sull'alto Medioevo 2016, XVI + 560 S., ISBN 978-88-6809-119-4, EUR 65,00
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Die Faszination Heiliger und ihrer Kultstätten ist ungebrochen - sowohl in religiös-kultischer als auch in geschichtswissenschaftlicher Hinsicht. Das mag in der Natur der Sache liegen, denn einerseits vermögen Heilige aus Sicht der Gläubigen auch über ihren Tod hinaus besondere Taten zu vollbringen, wohingegen Historiker andererseits den zuweilen schwer fassbaren Figuren und undurchsichtigen Ursprüngen ihrer Verehrung nachspüren.
Seit fast drei Jahrzehnten widmet sich auch Eugenio Susi der mittelitalienischen Heiligenverehrung des Mittelalters - so auch in dem hier zu besprechenden Sammelband, der sich aus sechs zwischen 2002 und 2010 veröffentlichten, überarbeiteten Aufsätzen und einer noch unveröffentlichten Abhandlung zusammensetzt. Es ist bereits der zweite Band in der wissenschaftlichen Reihe, der mehrere Arbeiten Susis zwischen zwei Buchdeckeln vereint. [1]
In seinen informationsgesättigten Studien, die mitunter fast schon monographische Länge erreichen, entfaltet der Verfasser ein eindrucksvolles Panorama der Heiligenkulte, die man im Früh- und Hochmittelalter zwischen dem ligurischen Luni im Norden und der einstigen Hafenstadt Porto an der Tibermündung im Süden an mittelitalienischen Küstenstädten pflegte. Anhand von minutiösen Untersuchungen unternimmt Susi, zumeist von einem philologischen Befund ausgehend, den Versuch, die häufig komplexen Entstehungskontexte verschiedener Hagiographien und Kultstätten zu erhellen. Die Arbeiten warten mit so mancher Neubewertung und zahlreichen, nicht selten vorsichtig formulierten Thesen auf. Wiederholt führt Susi Vitae und Passiones auf das in den Monti Sabini gelegene Benediktinerkloster Farfa zurück (z. B. 9-11; 69f.; 95-99; 119-121; 266f.; 415-417). Unabhängig davon, ob man jeder Zuweisung zustimmt, tritt das Farfenser Zönobium deutlich als wirkmächtiges Zentrum hervor, in dem Hagiographien unermüdlich gesammelt, abgefasst und umformuliert wurden. Im Folgenden können die unzähligen in den Kapiteln angerissenen Aspekte nicht eingehend gewürdigt werden, stattdessen sollen lediglich Kernthesen besprochen werden.
Im ersten Kapitel (1-46) schreibt Susi zwei Passiones der Heiligen Firmina, die sowohl im umbrischen Amelia als auch in Civitavecchia verehrt wurde, Farfenser Schreibern zu. Die Passio sanctae Firminae, die den Bestattungsort der Heiligen in die Nähe Amelias setzt, datiert er aufgrund festgestellter Abhängigkeiten und textimmanenter Hinweise zwischen 1080 und 1100. Bereits im frühen 12. Jahrhundert hätten die Mönche aus Farfa den Text umgearbeitet und den vermeintlichen Bestattungsort nach Civitavecchia verlegt.
Anschließend nimmt sich Susi des Kirchenvaters Augustinus an, der gemäß einer Legende, als er über die Dreieinigkeit sinnierend am Strand spazierte, einem im Sand spielenden Jungen begegnet sei, der sich letztlich als Engel herausstellen sollte (47-78). Nachdem er herausgearbeitet hat, dass sich der Bischof von Hippo erst spät als Protagonist dieser Erzählung etablieren konnte, rekapituliert der Verfasser, wie Augustinereremiten im 14. Jahrhundert diese Episode zur Behauptung ausbauten, ihr Ordenspatron habe sich einst in Civitavecchia niedergelassen und dort die Ordensregel verfasst. Diese Konfiguration wurde jedoch rasch wieder verworfen.
Das dritte Kapitel befasst sich mit dem Heiligen Secundianus (79-102). Vermittels einer textimmanenten Analyse datiert Susi die Passio sanctorum Secundiani, Mecelliani et Veriani in die zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts. Colonia, in der Beschreibung des Heiligenlebens als Ort angegeben, an dem Secundianus hingerichtet und bestattet worden sei, identifiziert er anders als bisher mit einem Strandabschnitt von Corneto - wo Secundianus kommunaler Stadtpatron werden sollte -, der ehedem Graviscae (Colonia Graviscos) genannt worden sei.
Daraufhin werden im vierten Kapitel die Heiligen Regulus und Cerbonius näher beleuchtet (103-166). Susi argumentiert plausibel, dass die Passio des Regulus im 9. Jahrhundert in Lucca verfasst worden sei, um die Besitz- und Hoheitsansprüche im Cornia-Tal zu bekräftigen, wo die Luccheser den Kult zuvor durch die Überführung der Gebeine des Heiligen um die Mitte des 8. Jahrhunderts eingeführt hätten. Die Vita des Cerbonius habe man hingegen an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert in Massa Marittima niedergeschrieben, um sich erneut Rom anzunähern, nachdem der verstorbene Bischof Guglielmo II. zuvor offenbar eine kaiserfreundliche Position eingenommen hatte.
In die toskanische Frühzeit der Karolinger führt das fünfte Kapitel (167-251). Bereits die Langobarden hätten die Verehrung des Torpes in Pisa eingeführt. Die Passio sancti Torpetis offenbare indes, dass die Pisaner Stadtgesellschaft im Anschluss an den Herrschaftswechsel von den Langobarden zu den Karolingern gespalten gewesen sei. Denn der Text könnte eine polemische Reaktion von langobardischer Führungsschicht und Klerus sowohl auf den von oben bestimmten Bischof als auch auf die Ansprüche des Luccheser Herzogs Allo gewesen sein.
Im nächsten Kapitel (253-360) zeigt der Verfasser auf, wie der Heilige Mamilianus erst in der Passio sanctae Nymphae als Bischof von Palermo bezeichnet wird, wodurch eine ältere Identität verdrängt wurde. Die Lebensbeschreibung der Heiligen Ninfa sei, wie Textvergleiche nahelegen, in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts im Gebiet von Porto (bei Fiumicino) aufs Pergament gebracht worden. Möglicherweise gedachte man damit, dem Ausgriff der Nachbardiözese Silva Candida, der unter anderem durch Lancierung des Basilius-Kults begleitet war, zu begegnen.
Die Vita des Heiligen Venerius sei, so die These im letzten Kapitel (361-464), im Rahmen eines zwischen 1015 und der Mitte des 11. Jahrhunderts unternommenen, aber letztlich erfolglosen Versuchs der Obertenghi entstanden, sich in der Lunigiana gegen die Bischöfe von Luni zu etablieren. In Luni sei wohl Anfang des 12. Jahrhunderts der Heiligenkult des Bischofs Venantius von dessen Amtsnachfolgern lanciert worden, um den genannten hagiographischen Strategien der Obertenghi entgegenzuwirken.
Wünschenswert wäre eine Einleitung gewesen, die über die wenigen zusammenfassenden Anmerkungen von Emore Paoli (IX-XI) hinausgeht, um den dichten Einzelstudien eine verbindende Klammer zu verpassen. In einer solchen hätte man gebündelt die in den Aufsätzen immer wieder aufscheinenden gemeinsamen Elemente diskutieren können, etwa die maritimen Topoi in den Biographien der Heiligen, Abhängigkeiten zwischen hagiographischen Texten oder die Rolle des gar nicht an der Küste liegenden Farfa. Zweifelsohne wären auch Überblicks- und Stadtkarten sinnvoll gewesen, etwa um topographische Schilderungen und Rekonstruktionen zu veranschaulichen, denn selbst der Italienkenner muss bei den unzähligen Schauplätzen zuweilen zum Atlas greifen.
Ein Verzeichnis der gedruckten und ungedruckten Quellen wie der Literatur (465-516) sowie ein Personen- und Ortsregister (519-560) beschließen die Arbeit.
Wenngleich man vielleicht nicht jeder These beipflichten mag, gelingt es dem Verfasser insgesamt eindrücklich, die reichhaltige mittelitalienische Kultlandschaft des Mittelalters abzubilden. Sorgfältig, mitunter aber etwas zu weit ausholend, spürt er Heiligenfiguren nach, verortet hagiographische Niederschriften und ergründet die Motivationen der Beteiligten.
Anmerkung:
[1] Eugenio Susi: Geografie della santità. Studi di agiografia umbra mediolatina (secc. IV-XII) (= Uomini e mondi medievali; 10), Spoleto 2008.
Giuseppe Cusa