Elena Maccioni / Sergio Tognetti (a cura di): Tribunali di mercanti e giustizia mercantile nel tardo Medioevo (= Biblioteca Storica Toscana; LXXV), Florenz: Leo S. Olschki 2016, VI + 221 S., ISBN 978-88-222-6465-7, EUR 25,00
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Die kaufmännische Gerichtsbarkeit zieht schon seit einigen Jahren die Aufmerksamkeit der Rechts- wie der Wirtschaftsgeschichte auf sich. Die Frage, wie Kaufleute Rechtsstreitigkeiten beilegten, bietet RechtshistorikerInnen einen Anwendungsfall für die Diskussionen über Rechtspluralismus, da Kaufleute meistens zwischen verschiedenen Gerichtsbarkeiten wählen konnten. Zudem stammten die in einen Streitfall verwickelten Kaufleute insbesondere an den Knotenpunkten des europäischen Handels bisweilen aus Regionen mit unterschiedlichen Rechtstraditionen, was die Frage aufwarf, nach welchem Recht zu urteilen war.
Der hier anzuzeigende Sammelband aber steht in der institutionenökonomischen Tradition der Wirtschaftsgeschichte, die in der gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen einen Kostenfaktor sieht, den es zu senken galt: Alle Beiträge teilen die Annahme, dass spätmittelalterliche Kaufleute ihre Streitigkeiten möglichst schnell gelöst haben wollten und deshalb die ordentliche Gerichtsbarkeit mit ihrer umständlichen, auf dem ius civile basierenden Verfahrensordnung zu vermeiden trachteten. Die Aufsätze präsentieren umfangreiche Quellenkorpora, um auf die Schätze aufmerksam zu machen, die sich zum Thema kaufmännische Gerichtsbarkeit im Spätmittelalter noch heben lassen.
Fünf der acht Aufsätze fokussieren auf die Gerichtsbarkeit für Florentiner Kaufleute, zwei beschäftigen sich mit dem Kaufmannsgericht (Consulado del Mar) in Barcelona und einer nimmt das Rechtssystem des ehemals venezianisch regierten Ragusa (heute Dubrovnik) in den Blick. Weder die Auswahl der drei Städte noch ihre Gewichtung im Band werden dabei begründet. Zwei der fünf Beiträge über Florenz stellen Notariatsakten vor, die bisher noch zu wenig Beachtung gefunden hätten, weil sich die quantitativ orientierte Wirtschaftsgeschichte vor allem für Rechnungsbücher interessiert hätte. Sergio Tognetti stellt die Akten des Notars Ser Bartolo di Ser Neri da Ruffiano vor und konzentriert sich dabei auf einen besonderen Fall: Als die Compagnia der Perugini Ende 1336 in eine Liquiditätskrise geriet, versuchte sie, sich mit ihren Gläubigern aus Florenz und Umgebung zu einigen. So gelang es ihr, ihre Unternehmung kontrolliert abzuwickeln und einen spektakulären Bankrott zu vermeiden. Eine andere Notarsdynastie, die Familie Lutano, steht im Fokus des Beitrags von Lorenzo Tanzini. Familie Lutano arbeitete nämlich für die Florentiner Bischöfe, die keine eigene Kanzlei besaßen. Die informellen und vertraulichen Prozesse am bischöflichen Gericht passten laut Tanzini gut zur Welt der Kaufleute, die sich also nicht unbedingt Sondergerichte hätten schaffen müssen, sondern auch andere Gerichte genutzt hätten, wenn sie ihren Vorstellungen von Effizienz entsprochen hätten.
Die drei anderen Aufsätze zu Florenz stellen Akten der Mercanzia in den Mittelpunkt, des kaufmännischen Gerichtshofs in Florenz. Lorenz Böninger zeigt an einigen Fällen deutscher Unternehmer und Unternehmerinnen, dass sich auch fremde Kaufleute an die Mercanzia wandten, um ihre Angelegenheiten zu regeln. Aus dem Archiv der Mercanzia lässt sich sogar die Wirtschaftsgeschichte von Städten aufarbeiten, deren eigene Archive die Zeit nicht unbeschadet überstanden, wie Cédric Quertier für die Beziehungen zwischen Florenz und Pisa zeigt. Die Nation der Florentiner in Pisa wurde von der Mercanzia kontrolliert, weswegen die Korrespondenz zwischen Pisa und Mercanzia Einblicke in das schwierige diplomatische Verhältnis zwischen beiden rivalisierenden Städten gewährt. Luca Boschetto stellt ein besonderes Verfahren der Mercanzia vor, den Ricorso, der wichtige Fälle entschied. Boschetto zufolge konnte das republikanisch inspirierte Gericht auch in herzoglicher Zeit und bis ins 18. Jahrhundert überleben, da die große Erfahrung der dort urteilenden Kaufleute es stark machte.
Maria Elisa Soldani und Elena Maccioni unterstreichen die wichtige Rolle des Consulado del Mar für Kaufleute nicht nur in Barcelona, denn der Llibro del Consolat del Mar, der gewohnheitsrechtliche Regeln und Normen der Kaufmannschaft vereinigte, sei in Europa weit verbreitet und rezipiert worden. Soldani vergleicht das Tribunal am Consulado del Mar mit schiedsrichterlichen Lösungen kaufmännischer Konflikte sowie mit dem Konsulat der Katalanen in Pisa und kommt zu dem Schluss, in diesen Formen kaufmännischer Gerichtsbarkeit habe man stets eine Einigung finden wollen, die niemandes Ruf schädigte, und sich dabei an Regeln orientiert, die für Kaufleute aus verschiedenen Regionen galten. Maccioni wertet ein bestimmtes Register aus dem Consulado aus, in dem der Diebstahl eines katalanischen Schiffes in Famagusta behandelt wird.
Francesco Bettarini schließlich macht darauf aufmerksam, dass sich die Wirtschaftsgeschichte Ragusas (Dubrovniks) aus einem bisher wenig gehobenen Schatz an institutionellen und notariellen Quellen erschließen lässt. Er skizziert Ragusas Rechtssystem, das sich von vielen anderen europäischen Handelsstädten markant unterschied: In Ragusa gab es keine Sondergerichte und auch keine korporativen Assoziationen von Kaufleuten. Zudem spielte das römischrechtliche ius commune in Ragusa keine Rolle. Stattdessen orientierten die Richter sich an den bisherigen Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen. Das so funktionierende System war attraktiv genug, eine Vielzahl von Kaufleuten nach Ragusa zu bringen. Leider zeigt nur der Beitrag von Bettarini die Stärke des Vergleichs, durch den sich die Charakteristika des Rechtssystems systematisch und prägnant herausarbeiten lassen.
So lässt der Band die Leserin zwar inspiriert von vielen interessanten Quellen und Fällen, aber doch etwas ratlos ob der analytischen Aussage des Werks zurück. Selbst wenn man die Annahme unhinterfragt akzeptierte, dass Kaufleute vor allem schnelle Gerichtsverfahren anstrebten, so bliebe doch offen, welches Rechtssystem das gewährleistete: Auch über kaufmännische Sondergerichte wie die Florentiner Mercanzia wurden Klagen laut, dass sie zu langwierig und umständlich arbeiteten, wie Böninger erwähnt. Bettarini schildert es als Vorzug des dalmatinischen Rechtssystems, dass in Ragusa gerade keine Sondergerichte existierten, sondern die Kaufleute in die ordentliche Gerichtsbarkeit einbezogen wurden.
Da die Einleitung lediglich zwei Seiten umfasst, kann sie solche Diskussionen nicht thematisieren. Sie macht allerdings die Stoßrichtung des Bandes klar: Egal ob Sondergerichte, Schiedssprüche oder Fallrecht, in der Hauptsache sei es den Kaufleuten darum gegangen, die komplizierten Verfahren nach römischem Recht zu umgehen. Keiner der Beiträge zieht diese Annahme in Zweifel. Die Forschung hat allerdings aus diversen Richtungen Zweifel an dieser Frontstellung angemeldet. So lässt sich fragen, ob man zwischen römischrechtlichen und kaufmännischen Gerichten überhaupt strikt trennen kann, ob sich nicht auch die kaufmännische Gerichtsbarkeit mindestens auf Ideen stützen musste, die aus dem römischen Recht stammten, um überhaupt von verschiedenen Kaufleutegruppen anerkannt zu werden. Ansonsten müsste begründet werden, woher denn die gemeinsamen Normen stammten, an denen sich die Kaufmannsgerichte orientieren konnten, um schnelle Verfahren zu gewährleisten. Wer über den aktuellen Stand der Debatte über kaufmännisches Recht, Rechtspluralismus und konfligierende Gerichtsbarkeiten aber bereits gut informiert ist, kann mit Hilfe dieses Sammelbands interessante und ergiebige Quellen für weitere Forschungen erschließen, die hier zugänglich und anschaulich präsentiert werden.
Ulla Kypta