Rezension über:

Steffen Leins: Das Prager Münzkonsortium 1622/23. Ein Kapitalgeschäft im Dreißigjährigen Krieg am Rand der Katastrophe, 2., unveränderte Auflage, Münster: Aschendorff 2016, 208 S., ISBN 978-3-402-12951-7, EUR 29,90
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Rezension von:
Gerd Dethlefs
LWL-Museum für Kunst und Kultur / Westfälisches Landesmuseum, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Gerd Dethlefs: Rezension von: Steffen Leins: Das Prager Münzkonsortium 1622/23. Ein Kapitalgeschäft im Dreißigjährigen Krieg am Rand der Katastrophe, 2., unveränderte Auflage, Münster: Aschendorff 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 1 [15.01.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/01/30147.html


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Steffen Leins: Das Prager Münzkonsortium 1622/23

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Die 2009 an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen entstandene, von Matthias Asche betreute Magisterarbeit analysiert ein seit 1881/86 bekanntes, aber oft missdeutetes Ereignis zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges: die Verpachtung des landesherrlichen Münzrechtes in Böhmen, Mähren und Niederösterreich am 18. Januar 1622 durch die Wiener Hofkammer. Mit Wissen Kaiser Ferdinands II. durfte ein bisher weitgehend anonymes Konsortium unter Führung des calvinistischen Bankiers Hans de Witte und des Hofjuden Jakob Bassevi für ein Jahr gegen die Zahlung von 6 Millionen Gulden stark unterhaltige Münzen prägen, was Ende 1623 den kaiserlichen Staatsbankrott bewirkte.

Vor dem Hintergrund jüngerer Fragestellungen zur Kriegsfinanzierung und Katastrophenforschung (12, 27-29) [1] deckt der Autor in einem Quellen- und Forschungsbericht (20-27) Forschungsdefizite und deren geschichtspolitische Ursachen auf, untersucht dann "Das Netzwerk des Konsortiums" (31-66), dessen Tätigkeit (67-110) und die "Konsequenzen" (111-158). Während den Geheimvertrag (ediert 165-173) nur zwei Hofkammerbeamte und Hans de Witte für seine "Mitconsorten" - die Bassevi später auf 15 bezifferte (44) - unterzeichneten, rekonstruiert der Autor nach den Vorakten (ediert 173-183) und Indizien das Konsortium mit 15 weiteren Personen (44-66). Hauptverantwortlicher, Initiator und Kopf war Fürst Karl von Liechtenstein, seit dem 17. Januar 1622 allmächtiger kaiserlicher Statthalter in Böhmen, Hauptträger de Witte und Bassevi sowie ein Kreis von sieben verwandten oder verschwägerten Adeligen, die engsten Berater des Kaisers, fast alle aus Karrieregründen zum Katholizismus konvertiert (44-59). Neben Liechtenstein und dem Hofkammerpräsident Polheim waren es der Präsident des Geheimen Rates Eggenberg, der Obersthofmeister Harrach, der Obersthofmarschall Losenstein, der Statthalter von Niederösterreich Meggau, sowie Wallenstein, alle wohl auch Kreditgeber des Kaisers; ferner sechs Hofkammerbeamte, deren anfängliche Bedenken durch finanzielle Beteiligungen ausgeräumt worden sein sollen.

Der Vertrag sollte dem Kaiser Geld verschaffen durch eine Münzverschlechterung um 75%. Statt 19 Gulden aus der Wiener Feinmark zu 280 g (1618) sollten nun 79 Gulden aus der Feinmark geprägt werden, der Gulden also statt 14,7 nur noch 3,5 Gramm Silber enthalten, ohne dass die Konsorten dafür hafteten. Liechtenstein und Bassevi hatten 1621 schon 2000 Prager Mark Silber (zu 253 g) zu 46 Gulden pro Feinmark ausprägen lassen (81), was einen Feingehalt von 5,5 Gramm Silber bedeutete. Nun wurde das Geschäftsmodell ausgeweitet: Das Konsortium erhielt für ein Jahr das ausschließliche Recht auf Münzprägung, das Monopol auf den Silberhandel - Zuwiderhandlungen standen unter Todesstrafe (93) -, das Recht, alle auswärtigen und die guten alten Münzen aufwechseln zu dürfen, den Annahmezwang für die neue Münze sowie 400 Zentner Kupfer. Geldtransporte erhielten militärischen Schutz. Wöchentlich war die Summe von 115.000 Gulden an die Hofkammer zu bezahlen. Die Pachtsumme betrug das sechsfache der jährlichen Steuereinkünfte Böhmens (77). Während die Spitzenbeamten die Rechtsgrundlagen für das Geschäft schufen und absicherten, besorgten de Witte und Bassevi das Rohsilber und organisierten die Umprägung.

Insgesamt wurden mehr als 100 Tonnen Rohsilber beschafft - das meiste durch de Witte aus ganz Europa (402.000 Mark, 88) und durch Bassevi durch seine jüdischen Aufkäufer (145.000 Mark, 85). Die Silberlieferungen Wallensteins (5000 Mark), Liechtensteins (800 Mark), des böhmischen Hofkammersekretärs Michna (3000 Mark) und der übrigen Konsorten (4850 Mark) waren geringer, dafür aber die Gewinnspannen bis zu zwölfmal so hoch (Liechtenstein: 569 Gulden pro gelieferte Mark Silber, Wallenstein 123, die übrigen Konsorten 440 Gulden pro Mark) als die von de Witte und Bassevi (78 bzw. 46 Gulden pro Mark). Die Konsorten machten einen Umsatz von mindestens 42 Mio. Gulden, ihr Gewinn ist unbekannt, der Kaiser gewann gerade 6 Mio. (99). Zum Schluss wurde bewusst viel schlechter als vertraglich erlaubt gemünzt. Mit dem Geld kauften die Konsorten konfiszierte Güter der enteigneten Rebellen des böhmischen Aufstandes; Chef der Konfiskationskommission war Liechtenstein, der auch die Preise festlegte. Hauptgewinner waren Liechtenstein und Wallenstein (111-116). Die Folge war eine schwere Inflation und eine Hungersnot, da Lebensmittel unerschwinglich wurden (144-148) und diese etwa von Bassevi (85) mit schlechter Münze aufgekauft wurden.

Der Vertrag und die Transaktionen sind als systematischer Rechtsbruch und Verstoß des Kaisers gegen viele Grundsätze der Reichsmünzordnungen zu bewerten (127-132). Nach dem Staatsbankrott (124-127) musste die schlechte Münze bis 1626 eingezogen und in besseres Geld umgeprägt werden. Aufschlussreich ist die Kritik gegen diese Praktiken und die Bereicherung der Konsorten am Kaiserhof selbst ab 1623 (132-138). Erst lange nach dem Tod Liechtensteins (1627) liefen ab 1637 Schadenersatzprozesse (138-142), was zumindest einige der sonst wohl systematisch vernichteten Geschäftsunterlagen sicherte.

Der Erkenntnisgewinn der Studie ist erheblich; dass etwa die in Flugblättern und -schriften verbreiteten Schuldzuweisungen gegen jüdische Geldhändler das System des Geldaufkaufs spiegeln. [2] Die These, dass die Finanzkrise im Nebeneffekt den Staatsbildungsprozess in der Habsburgermonarchie "entscheidend" förderte, indem die wirtschaftliche Zerrüttung Böhmens die Landesordnung von 1627 ermöglichte (163), überzeugt indes nicht.

Das alles wird spannend erzählt, allerdings stören die vielen Superlative und eine effekthaschende Sprache. Ein kritisches Lektorat hätte dem Text gutgetan. Aussagen zu den Staats- und Militärbudgets der Erblande, Böhmens und Mährens fehlen fast ganz, auch die Kontextualisierung zu anderen Kipperprägungen im Reich; die entsprechende Literatur kennt Leins nicht. [3] Wofür genau wurde das Geld von der Hofkammer eingesetzt? Das bleibt ungeklärt. Etwa für die "Gegenreformation" (32/38), und wofür dabei? Handelt es sich dann um eine "Kapitalisierung des Krieges" (17)? Gehörten wirklich alle sieben beteiligten Hofkammerbeamte dem Konsortium an (44) und wie profitierten sie? Nur für drei ist es belegt, Michna, Muschinger und Unterholzer (98-100, 104, 114). Selbst bei dem böhmischen Münzmeister Vřesovec ist die Zugehörigkeit nicht gesichert (45, 65, 82). Waren die übrigen Mitwisser oder Mitkonsorten, zumal die Hofkammer 1623 die Untreue der Konsorten anprangerte (132)? Immerhin weist Leins noch auf das Erkenntnispotential bei Auswertung weiterer Archive hin. So erhellend viele Einsichten sind, so viele Fragen bleiben.


Anmerkungen:

[1] François Walter: Katastrophen. Eine Kulturgeschichte vom 16. bis ins 21. Jahrhundert, Stuttgart 2010; Peter Trawnicek: Münzjuden unter Ferdinand II. nach den Akten des Hofkammerarchivs in Wien, Kiel 2010; Julia Zunckel: Rüstungsgeschäfte im Dreißigjährigen Krieg, Berlin 1997.

[2] Vgl. Ulrich Rosseaux: Die Kipper und Wipper als publizistisches Ereignis (1620-1626), Berlin 2001.

[3] Herbert Rittmann: Deutsche Geldgeschichte 1484-1914, München 1975; Peter Ilisch: Geld und Münze im Europa des 30jährigen Krieges, in: Numismatisches Nachrichtenblatt 47 (1998), H. 12, 503-511.

Gerd Dethlefs