Domenico Pezzini (ed.): Aelredus Rievallensis. Opera historica et hagiographica (= Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis; III), Turnhout: Brepols 2017, 197 S., ISBN 978-2-503-55278-1, EUR 260,00
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Francesco Marzella (ed.): Aelredi Rievallensis. Vita sancti Aedwardi Regis et Confessoris (= Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis; III A), Turnhout: Brepols 2017, 396 S., ISBN 978-2-503-55182-1, EUR 225,00
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Nathalie Bonvalot / Romain Joulia / Gérard Moyse et al.: L'abbaye de Bellevaux. Neuvième centenaire 1119-2019. Fondation et rayonnement d'une abbaye cistercienne. Volume I et II, Besançon: Presses Universitaires de Franche-Comté 2022
Gwilym Dodd / Craig Taylor (eds.): Monarchy, State and Political Culture in Late Medieval England. Essays in Honour of W. Mark Ormrod, York: York Medieval Press 2020
Philipp W. Rosemann (ed.): Mediaeval Commentaries on the Sentences of Peter Lombard. Volume 2, Leiden / Boston: Brill 2010
Ein großes Editionsprojekt ist zum Abschluss gekommen. Niemand konnte 1971 damit rechnen, dass weitere 46 Jahre ins Land gehen würden, bis die opera omnia eines der bedeutendsten Zisterzienserautoren der Frühzeit geschlossen in maßstabsetzenden Editionen vorliegen sollten. Der englische Zisterzienserabt Aelred von Rievaulx (1110-1167) gehört zu den großen monastischen Autoren des Mittelalters - und zu den Lieblingen einer Geschichtswissenschaft, die ihn für vielerlei Forschungsmoden der vergangenen Jahrzehnte vereinnahmte, wenn nicht gar missbrauchte. Vorreiter eines auf herzlicher Zugewandtheit, ja Freundschaft basierenden Umgangs mit den ihm unterstellten Mönchen und Konversen des im englischen Norden gelegenen Großklosters von Rievaulx, begnadeter, einflussreicher und diesen Einfluss auch durchaus für die Belange seines Klosters bzw. Ordens nutzender Prediger, verständnisvoller Seelenführer, ja gar früher Wegbereiter der Schwulenbewegung ("the gay abbot of Rievaulx") - jeder fand (und findet) andere Aspekte in dieser unbestritten faszinierenden Persönlichkeit. Nicht immer erfolgten die im Brustton der Überzeugung hervorgebrachten Äußerungen freilich auf einer genauen Kenntnis der Originaltexte. Vieles - insbesondere das umfangreiche Predigtcorpus - lag lange Zeit lediglich in ausgesprochen defizitären Textausgaben vor. Dies hat sich nun geändert. 2017 erschienen die letzten beiden Bände innerhalb der kritischen Edition seiner Werke. Sollte es nicht zu (eher unwahrscheinlichen) Neufunden kommen, steht der Forschung damit ein Quellencorpus zur Verfügung, dessen textliche Gestalt über jeden Zweifel erhaben ist.
Mit Aelred, der die Vita Sancti Edwardi Regis et Confessoris auf Betreiben des Abtes von Westminster kurz nach der Kanonisation des Königs 1161 verfasste und König Heinrich II. dedizierte, fiel die Wahl auf keinen Unbekannten, war er zu diesem Zeitpunkt doch der mit Abstand prominenteste Zisterzienser des Königreichs, in die hohe Politik und Diplomatie eingebunden und als Festprediger während der Kanonisationsfeierlichkeiten für dieses Projekt bestens ausgewiesen. Aelred bereicherte das bereits bestehende hagiographische Dossier zu Edward, indem er zwar große Teile der 1138 entstandenen Edwardsvita Osberts von Clare übernahm, diese jedoch um zusätzliche Wundererzählungen erweiterte und mit einer neuen politischen Botschaft versah. Der Erfolg stellte sich unmittelbar ein: Aelreds Vita wurde zum Maßstab für alle nachfolgenden Schriften über den heiligen König.
27 Textzeugen sind überliefert. Dem Editor Francesco Marzella, dessen am Istituto Italiano di Scienze Umani entstandene (und vom verstorbenen Freiburger Mittellateiner P. G. Schmidt mitbetreute) Dissertation Grundlage der vorliegenden Edition ist, gelingt mittels minutiöser Vergleiche die Identifizierung dreier Handschriftengruppen. Während die erste Gruppe die Vita zusammen mit weiteren Schriften Aelreds überliefert, findet sie sich in der zweiten Gruppe neben anderen, nicht von Aelred stammenden hagiographischen Texten. Die dritte Gruppe schließlich ist das Ergebnis von Kontaminationen innerhalb der beiden anderen. Die geographische Herkunft der den einzelnen Gruppen zugeordneten Handschriften spricht dabei für sich: diejenigen der ersten Gruppe stammen aus dem Nordosten Englands und stehen in Verbindung zur Abtei von Rievaulx, diejenigen der zweiten Gruppe sind im Umfeld der Abtei von Westminster zu verorten, während bei denjenigen der dritten Gruppe eine klare geographische Zuordnung nicht möglich ist.
In seiner mit 84 Seiten überschaubaren Einleitung äußert sich Marzella zu den von Aelred verwendeten Quellen ebenso wie zu den Eingriffen des Zisterziensers in eben diesen Vorlagen. Die intendierte Stoßrichtung wird so deutlich: Der Hl. Edward aelredscher Färbung wurde zu einem Akteur der Heilsgeschichte, seinem Wirken kam providentieller Charakter zu. Auch den Prinzipien der Textherstellung werden einige Zeilen gewidmet. Eingriffe in das Erscheinungsbild des Textes ergaben sich zum einen mit Blick auf die Interpunktion und die Normalisierung der Orthographie, zum anderen hinsichtlich der Nummerierung und Titelgebung der einzelnen Kapitel. Der von Marzella hergestellte Text beruht auf den besten Textzeugen, wobei der Handschrift London, British Library, Cotton Vitellius F III besondere Bedeutung zukommt.
Neben der Vita Edwardi wurde ein weiterer Text ediert, die Vita sancti Aedwardi versifice. Bisher ging man davon aus, dass sich hinter der zwischen 1163 und 1173 von einem Anonymus verfassten Dichtung nichts weiter als die in Versform gezwängte Prosavita Aelreds verbirgt. Marzella gelingt jedoch der Nachweis, dass es sich trotz aller Anlehnung an das Vorbild Aelreds um einen originellen und eigenständigen Beitrag zur Kultpromotion handelt, der dazu genutzt wurde, Prärogativen und Privilegien der Abtei von Westminster in den schwierigen Jahren des Kampfes zwischen dem Erzbischof von Canterbury, Thomas Becket, und dem englischen König zu verteidigen.
Domenico Pezzini, einer der wohl besten Kenner der Schriften Aelreds, zeichnet für die Edition weiterer historischer Texte des Zisterziensers verantwortlich. In der Reihe des Corpus Christianorum (Continuatio Mediaevalis) sind umfangreiche, kontextualisierende Einleitungen unüblich. Pezzini bricht also gewissermaßen mit der Tradition, wenn er auf 277 Seiten die eigentliche kritische Edition vorbereitet, die wiederum "nur" 156 Seiten umfasst. Diese Entscheidung ist nachdrücklich zu begrüßen. Neben einer generellen Einführung in das Leben und Werk Aelreds (7*-28*) finden sich philologische Bemerkungen (29*-57*) und Erläuterungen zu den editorischen Prinzipien (58*-68*). Dringend angeraten sei aber vor allem die Lektüre der jeweiligen Einführungen zu den fünf edierten Werken (1. Genealogia Regum Anglorum; 2. Relatio de Standardo; 3. De sanctis ecclesie Haugustaldensis et eorum miraculis; 4. Vita Niniani; 5. De quodam mirculo mirabili) mit Verweisen auf vorhergehende Editionen, Übersetzungen und Untersuchungen.
Im Falle der Genealogia regum Anglorum - keine der 13 erhaltenen Handschriften überliefert diesen Titel - erfährt man so beispielsweise Erhellendes über die Entstehungsgeschichte des Werks, dessen Zweck nicht zuletzt darin bestand, die Königshäuser Englands und Schottlands in ihrer Komplementarität darzustellen. Es ging nicht um das Verfassen einer Genealogie in biologischem, sondern in moralischem Sinne, so dass die Positionierung einer Lamentatio über David I. von Schottland am Beginn der Genealogia nicht erstaunt. David wird zum speculum regie virtutis und damit zum (moralischen) Vorbild auch der englischen Könige.
Die Rezeption des Werk zeigt, welch unterschiedliche Erwartungshaltungen damit befriedigt werden konnten: waren einige allein am historischen Inhalt interessiert, griffen andere auf die darin entfalteten spirituellen Unterweisungen zurück. Jean Mabillon beispielsweise "reicherte" seine eigene ars moriendi (1702) mit Auszügen aus der Genealogia an. Die Entscheidung des Editors ist zu begrüßen: während die eingeführte Bezeichnung Genealogia als übergreifender Titel erhalten bleibt, werden die beiden Teile des Werks sehr viel deutlicher als bisher bezeichnet und so in ihrer Eigenständigkeit dargestellt: 1. Liber de vita religiosi Dauid regis Scotie; 2. De genealogia Henrici regis. Der Text zeigt, wie stark sich im Mittelalter die beiden Genera "Historiographie" und "Hagiographie" gegenseitig durchdringen und befruchten konnten. Pezzini ist unbedingt zuzustimmen, wenn er mit Blick auf die Genealoga von einem "Meisterwerk" spricht, beruhend auf Aelreds "ability to combine critical information, monastic idealism and political wisdom, along with his unquestionable skill as a rhetorician [...]"(120).
Der Titel Relatio de standardo ist ebenso zweideutig wie derjenige der Genealogia. Bietet letztere eben keine erschöpfende Auflistung aller englischen Könige, handelt es sich bei der Relatio auch nicht um die Beschreibung eines einzelnen Schlachtengeschehens. Sie ist gleichermaßen historische wie theologische Abhandlung. Will man ausgehend vom Handschriftenbefund valide Aussagen über die Rezeption des Werks treffen, so ist der Hinweis darauf, dass es unter der Rubrik "Weisheitsliteratur" verbucht wurde, durchaus ernst zu nehmen, denn immerhin findet sich der Text in zwei (von drei erhaltenen) Handschriften innerhalb eines solchen Überlieferungskontextes. Worum geht es? Die Schlacht fand am 22. August 1138 rund 60 Meilen nördlich von York statt. Aufeinander trafen ein schottisches Heer unter Führung König Davids I. von Schottland und eine englische Armee, an deren Spitze Walter Espec stand. Entstanden zwischen 1155-1157 gewinnt Aelreds Werk seine Bedeutung weniger aus der detaillierten Beschreibung des Schlachtengeschehens als aus dem Blick auf das Figurenpersonal: "In a sense, it is like a drama, in which characters and speeches come to the fore" (151). Aelred zeichnet kein Schwarz-Weiß-Bild, war seine Loyalität doch gespalten: einerseits verdankte er dem Anführer der Engländer, Walter Espec, die Gründung "seiner" Abtei von Rievaulx, andererseits war er am Hof Davids I. von Schottland, der an der Spitze des schottischen Heeres stand, aufgewachsen.
Die Edition beruht auf einer Handschrift aus Rievaulx (York Minster XVI.I.8, fol. 195-199; 12. Jh.), Varianten einer zweiten, ebenfalls aus dem 12. Jahrhunderts stammenden Handschrift (Cambridge, Corpus Cristi College 139, fol. 133v-138r) werden im Apparat verzeichnet. Die Interpolationen eines späteren Textzeugen (London, BL, Cotton Titus A XIX, fol. 144v-149v; 15./16. Jh.) finden sich in einem Anhang (151-56) abgedruckt.
Das kürzeste, lediglich in einer Handschrift (Cambridge, Corpus Christi College 139) überlieferte Werk Aelreds, auch bekannt als "The Nun of Watton" (de sanctimoniali de Wattun), erscheint in der Edition unter dem Titel De quodam miraculo mirabili (253*-269* Edition: 135-146). Bei Watton handelt es sich um ein Priorat der Gilbertiner nahe York, gegründet von Gilbert of Sempringham, dem Aelred selbst freundschaftlich verbunden war. Der Bericht über eine von einem jungen Mönch geschwängerte Nonne, die von ihrer Kommunität aufs Grausamste für ihren Fehltritt bestraft wird - noch heute schockiert die äußerst detaillierte Darstellung - dient Aelred als Beispiel dafür, was geschehen kann, wenn es den Protagonisten an Weisheit und Barmherzigkeit mangelt, eröffnet ihm gleichzeitig aber auch die Möglichkeit, mittels eines Wunders auf die alle irdische Trübsal überstrahlende Gnade Gottes zu verweisen. Die Erzählung ist nicht allein als Exempel, sondern angesichts ihrer Struktur als veritables Drama zu begreifen.
Einige Auflistungen bzw. Schaubilder dienen der zusätzlichen Illustration des Gesagten (1. A synopsis of the genealogy of the English kings (272*f.); 2. A genealogy of the English kings (273*); 3. Aelred's known ancestors (274*)). Auf sie folgen eine Bibliographie der Primärquellen (275*-276*), zwei Appendices (I: De sancto rege Scotorum David Epitome (147-150); II: Relatio de Standardo (151-156)) und Indices der Bibelstellen, Quellen, Namen und Orte.
Beide Editionen präsentieren sich als philologisch äußerst vertrauenswürdig, die jeweiligen editorischen Entscheidungen sind in jedem Falle nachvollziehbar und in sich konsistent. Lediglich in Pezzinis Einleitung finden sich einige falsche Trennungen innerhalb der lateinischen Zitate (so z. B. S. 198*: sua-mque). Den beiden Editoren kann nicht genug dafür gedankt werden, der Forschung Texte zur Verfügung gestellt zu haben, auf deren Grundlage sich die Untersuchungen zu Leben und Werk einer der faszinierendsten Persönlichkeiten des 12. Jahrhunderts sowohl in Breite als auch in Tiefe weiterentwickeln dürften.
Ralf Lützelschwab