Matteo Salvadore: The African Prester John and the Birth of Ethiopian-European Relations (1402-1555) (= Transculturalisms, 1400-1700), London / New York: Routledge 2017, XI + 235 S., ISBN 978-1-4724-1891-3, GBP 95,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Hans-Werner Goetz / Ian Wood (eds.): 'Otherness' in the Middle Ages, Turnhout: Brepols 2021
Monika Eisenhauer: Monastische Reformen des 15. Jahrhunderts als Mittel zur Konstruktion und Konsolidierung von Recht, Staat und Verfassung. Das Kloster St. Alexander in Grafschaft und die Umsetzung theoretischer Entwürfe in Sinne des Thomas von Aquin, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2016
Armin Kohnle / Thomas Krzenck (Hgg.): Johannes Hus deutsch. Unter Mitarbeit von Friedemann Richter und Christiane Domtera-Schleichardt, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017
Wer sich mit Fernreisen und Transkulturalität im Spätmittelalter beschäftigt, stößt bald unweigerlich auf den Reisebericht des Niccolò de' Conti. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts bereiste der venezianische Kaufmann über zwei Jahrzehnte lang den Orient und scheint auf seinem Rückweg auch kurz an der äthiopischen Küste gelandet zu sein. Nachdem er 1444 in seine Heimat zurückgekehrt war, schrieb der frühhumanistische Papstsekretär Poggio Bracciolini Contis Bericht nieder und nahm ihn in seine historisch-geografische Sammlung De Varietate Fortunae auf. In unmittelbarem Anschluss lässt Bracciolini seine Aufzeichnungen eines Interviews folgen, das er zur selben Zeit mit einer Gruppe Äthiopier geführt hatte, die wohl als Gesandte zum Konzil von Florenz angereist waren.
Das Nebeneinander der Berichte des Gereisten und der Angereisten bei Bracciolini verweist auf eine Dialektik, die die Basis sowohl für den thematischen Zuschnitt als auch für den methodischen Entwurf der vorliegenden Dissertation Matteo Salvadores bildet: Die Geschichte der äthiopisch-europäischen Beziehungen im 15. und 16. Jahrhundert ist die Geschichte einer gegenseitigen Entdeckung, die nur aus einer bilateralen Perspektive sinnvoll erzählt werden kann. Dementsprechend bewegt sich der Fokus der Studie nicht nur geografisch zwischen dem europäischen Mittelmeerraum und dem Horn von Afrika hin und her, sondern räumt äthiopischen und europäischen Akteuren den gleichen Entfaltungsspielraum ein.
Salvadores Anliegen ist es zum einen, die Etappen des Verhältnisses zwischen Äthiopiern und Europäern im 15. und 16. Jahrhundert im Kontext europäischer und osmanischer Expansion nachzuvollziehen. Zum anderen möchte er die im Laufe dieses Verhältnisses sich herausbildenden transkulturellen Wissensbestände rekonstruieren, wobei seine Aufmerksamkeit insbesondere einer abstrakt gedachten Ethiopianist library als erster Sammlung von Wissen über eine spezifische subsaharische Gesellschaft in Europa gilt.
Den Anfangspunkt der Untersuchung bildet der früheste greifbare Fall einer äthiopischen diplomatischen Gesandtschaft, die 1402 in Venedig eintraf. Den Schlusspunkt markiert der Beginn der jesuitischen Mission in Äthiopien 1555, durch die das bisherige "diffused, multi-centered set of relations grounded on mutual respect and curiosity" zu einer "binomial confrontation between Ethiopians and the newly founded Society of Jesus, determined to enforce Catholic orthodoxy in the country" (7) geworden sei. Die rund 150 Jahre dazwischen behandelt Salvadore in acht Kapiteln, von denen die erste Hälfte Wege und Wirken äthiopischer Akteure in Italien und auf der Iberischen Halbinsel im 15. Jahrhundert verfolgt, die zweite auf cultural brokers sowohl äthiopischer als auch europäischer Herkunft fokussiert, die sich vor allem im 16. Jahrhundert zwischen den Regionen hin und her bewegten.
Für die Europäer lag die besondere Bedeutung Äthiopiens, von dem sie sich noch lange nur ein unklares geografisches und kulturelles Bild machen konnten, über den gesamten Betrachtungszeitraum hinweg in der Figur des Priesterkönigs Johannes. Dieser wurde seit dem 14. Jahrhundert mehr und mehr als ein afrikanischer Souverän imaginiert, der unter anderem die Macht haben sollte, den Wasserfluss des Nils zu kontrollieren. Die Beherrschung des wichtigsten Flusses der arabischen Welt war für die Europäer eine äußerst attraktive Idee in Hinblick auf Strategien zur Rückeroberung des Heiligen Landes. Als die ersten äthiopischen Gesandten in Europa eintrafen und sich als Untertanen eines mächtigen christlichen Herrschers jenseits der muslimischen Welt identifizierten, sahen die Europäer ihre Vorstellungen von der Existenz des Priesterkönigs bestätigt (21-35). Fortan wurde dieser mit dem äthiopischen Negus in eins gesetzt. Salvadore führt überzeugend vor Augen, dass alle folgenden Annäherungen europäischer Mächte an Äthiopien zumindest ein Stück weit auf dem Wunsch gründeten, sich den Priesterkönig zum Verbündeten zu machen.
Die äthiopischen Herrscher, von denen in der Regel die Initiativen zum Aufbau von Beziehungen mit europäischen Mächten, namentlich dem Königreich Aragon (36-53), dem Papsttum (54-81), der Krone von Portugal (82-104) sowie verschiedenen italienischen Städten und Fürstentümern ausgingen, versprachen sich von den Kontakten zunächst einen Zugewinn an symbolischem Kapital, so etwa Dawit I. durch den Erwerb eines Stücks des Wahren Kreuzes (25). Vor allem aber hofften die Äthiopier auf Vorteile im Kampf gegen die Muslime im Norden und Osten, nicht nur mittels fortgeschrittenen technischen Wissens aus Europa, sondern später auch durch konkrete militärische Unterstützung. Dies kulminierte in der vielleicht bekanntesten Episode äthiopisch-europäischer Verflechtung in der Frühen Neuzeit, dem äthiopisch-portugiesischen Bündnis gegen das von den Osmanen unterstützte Sultanat Adal in den 1540er-Jahren (180-184). Äußerst stichhaltig kann Salvadore im Laufe der Arbeit seine bemerkenswerte These belegen, dass die Äthiopier sich immer wieder den Mythos des Priesterkönigs zunutze machten, um sich Wohlwollen und Beistand der Europäer zu sichern.
Aus den skizzierten Voraussetzungen ergab sich eine Reihe oft überraschender Verflechtungsmomente, so etwa ein von Alfons V. von Aragon 1427 ernsthaft in Betracht gezogener Vorschlag Yeshaqs von Äthiopien, die beiden Herrscherhäuser durch eine Doppelhochzeit miteinander zu verbinden (40-44), oder die Existenz einer "faranji community" (128-152), einer europäischen Minderheit am äthiopischen Hof bereits im 15. Jahrhundert. Diese und weitere Punkte, die Salvadore aus historiografischen Texten, Reiseberichten, Korrespondenzen und anderen Quellen sensibel rekonstruiert, verweisen die nach wie vor gängige Vorstellung einer äthiopischen Isolation in der Vormoderne ins Reich der Mythen und widersprechen zugleich dem Bild eines im Wesentlichen um sich selbst kreisenden lateineuropäischen Christentums.
Die penibel recherchierte, schwungvoll geschriebene und sauber argumentierende Studie ist eine große Bereicherung für eine florierende Transkulturalitätsforschung, die sich trotz aller anderslautenden Bekenntnisse nach wie vor schwertut, unilaterale Perspektiven zu überwinden, und sich überdies ganz hauptsächlich auf christlich-nichtchristliche Verflechtungen konzentriert. Aus einer Vielzahl von Quellen beider Seiten der christlich-christlichen encounter world von Äthiopiern und Europäern trägt Salvadore die verstreut vorliegenden Informationen über einen vielgestaltigen, anderthalb Jahrhunderte umfassenden Beziehungskomplex zusammen und kann dabei in beeindruckender Weise und gegen das alte Narrative eines europäischen Entdeckungszeitalters darlegen, "that the age of exploration was the result of complex transcultural relations." (204)
Zu kritisieren gibt es sehr wenig. Angesichts der Bedeutung des Themas, seiner geringen Bekanntheit und Salvadores imposanten Ergebnissen könnte man über die Sparsamkeit des Buches bei gerade einmal knapp 210 Textseiten etwas enttäuscht sein. Vor allem wäre eine ausführlichere Synthese wünschenswert gewesen, in der insbesondere die versprengten wissensgeschichtlichen Informationen zur Entwicklung der Ethiopianist library in Europa noch einmal konzise hätten zusammengefasst werden können. Am überaus positiven Gesamteindruck ändert dies jedoch nichts. Zukünftige Forschungen zur Transkulturalität der Vormoderne sollten sich an Salvadores wahrhaft bilateralem Zugriff ein Beispiel nehmen.
Christian Hoffarth