Rezension über:

Daniel Bellingradt / Bernd-Christian Otto: Magical Manuscripts in Early Modern Europe. The Clandestine Trade In Illegal Book Collections. Including a critical edition of a "catalogus rariorum manuscriptorum" from 1710 (= New Directions in Book History), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2017, VIII + 166 S., 4 s/w-Abb., ISBN 978-3-319-59524-5, EUR 53,49
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Rezension von:
Monika Frohnapfel-Leis
Erfurt / Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Monika Frohnapfel-Leis: Rezension von: Daniel Bellingradt / Bernd-Christian Otto: Magical Manuscripts in Early Modern Europe. The Clandestine Trade In Illegal Book Collections. Including a critical edition of a "catalogus rariorum manuscriptorum" from 1710, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 3 [15.03.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/03/30846.html


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Daniel Bellingradt / Bernd-Christian Otto: Magical Manuscripts in Early Modern Europe

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Wann stößt man schon einmal auf einen solchen Fund? Die Leipziger Universitätsbibliothek beheimatet einen Katalog, der von einem besonderen Schriftenverkauf Zeugnis ablegt: Der "Catalogus Rariorum Manuscriptorum" führt nicht weniger als 140 Manuskripte "gelehrter Magie" auf, die 1710 in Leipzig für den gewaltigen Betrag von 4000 Reichstalern veräußert wurden. Der Buchwissenschaftler Daniel Bellingradt und der Historiker Bernd-Christian Otto geben nun eine kritische Edition dieses Verzeichnisses heraus und verbinden sie mit einer Einführung in den geheimen Handel verbotener Buch- und Schriftensammlungen in der Frühen Neuzeit. Diese bildet den ersten Teil, die Edition des Katalogs den Anhang A, vier fotografische Abbildungen von Seiten aus dem Originalkatalog den Anhang B. Nachdem auch die einschlägige Forschung den Leipziger Catalogus bislang nicht beachtet zu haben scheint (55), liegt nun erstmals eine kritische Edition mit im Übrigen sehr erhellenden Erläuterungen vor.

In der Edition ergänzen Bellingradt und Otto die Nennung der meist umfangreichen Titel unter Beibehaltung ihrer Nummerierung um Angaben zu Format und Seitenumfang, Abbildungen, Autorschaft, Sprache und weiteren enthaltenen Titeln. Daran schließt sich die größte und umfangreichste Leistung der Herausgeber an: Anmerkungen zum jeweiligen Manuskript, die eine kurze Inhaltsangabe einschließen nebst weiteren Informationen zum Werk. Diese verdienstvolle Aufbereitung wird auch durch kleinere Schwächen im Lektorat wie etwa in Bezug auf Leerzeichen (z.B. 86, 91, 123f., 134) und Orthografie (144 oben) nicht geschmälert.

In ihrer Einführung nutzen die Herausgeber den Verkaufskatalog, um der Leserschaft Einblicke in den frühneuzeitlichen Büchermarkt sowie in die Verbreitung magischer Schriften in Westeuropa zu geben. Die Leipziger Sammlung selbst, so Bellingradt und Otto, stelle ein Beispiel an Außergewöhnlichkeit, Seltenheit und Illegalität dar. Nach diesen drei Schlagwörtern gliedern sich denn auch die drei Hauptkapitel der gut strukturierten Einleitung. Im Kapitel "Außergewöhnlichkeit" wird herausgestellt, inwiefern sowohl der Leipziger Sammlung als auch dem Katalog exzeptioneller Stellenwert zukomme, da sie herausragende Genre-Charakteristiken in sich vereinten. Dazu gehöre insbesondere die Eigenschaft des nicht festen, sondern ständig Veränderbaren, was eine gewisse Hybridität in sich berge, die Handschriften innewohne (8). Der vorgestellte Katalog, darauf sei in diesem Zusammenhang noch einmal hingewiesen, ist ein gedrucktes Verzeichnis handschriftlicher Werke. Inhaltlich liest er sich wie ein "Who is who" des vormodernen Erbes so genannter "westlicher gelehrter Magie", worunter eine interreligiös und transkulturell ausgerichtete, auf Texte wie auf Rituale bezogene Tradition von Elitenwissen über Theorie und Praxis von "Magie" im weiteren Sinne zu verstehen sei, mit einer deutlichen Tendenz zu Insiderwissen (7).

Im Kapitel "Seltenheit" gehen Bellingradt und Otto auf die Gründe dafür ein, weshalb Manuskripte im Zeitalter des Buchdrucks noch zirkulierten und erklären dann im weiteren Verlauf des Abschnitts die Attraktivität seltener Bücher für Elitennetzwerke, die z.B. Paracelsus zugeneigt waren oder sich mit Alchemie beschäftigten (35). Als solche hatten sie wie andere rare Güter ihren Preis und folgten eigenen Regeln des Marktes. Bereits die Entscheidung, Schriften der "gelehrten Magie" nicht im Druck, sondern in handschriftlicher Form zu verbreiten, machte sie zu seltenen Objekten. Weitere Argumente dafür, in Zeiten des weit verbreiteten Drucks dennoch auf die Manuskriptzirkulation zu setzen, sehen Bellingradt und Otto in vier Punkten: 1. Ein Übergewicht an Manuskripten innerhalb der Gruppe der "westlichen gelehrten Magie" stellte eine Kontinuität bis ins späte 18. Jahrhundert hinein dar. 2. Die extrem kleine Auflage handgeschriebener Ausgaben bedeutete Risikominimierung für Autoren, Schreiber und Auftraggeber. 3. Die Seltenheit der Handschriften sorgte für eine Verknappung des nachgefragten Gutes. 4. Die Manuskriptform selbst ist als wesentlicher Teil des in der Schrift beschriebenen Rituals zu verstehen (29-32).

Um was aber geht es nun in den Manuskripten, dass sie derart "verboten" waren? Grundsätzlich um "gelehrte Magie", doch innerhalb dieses Themas zeigt sich ein breit gefächertes Spektrum: Da gibt es u.a. Anleitungen für die Herstellung magischer Spiegel (Nr. 128) oder für das Anfertigen von Ringen für diverse Zwecke (z.B. Nr. 75: Liebe, Heilen, Unsichtbarmachen), Handbücher für militärische Schutzzauber wie z.B. die sogenannte Passauer Kunst (Nr. 33, 103, 127), Liebeszauber (Nr. 114) oder zum Empfang von Träumen göttlichen Ursprungs (Nr. 125). Daneben finden sich mehrfach Werke zur Kabbala (z.B. Nr. 91, 115f.), sowie mehrere Ausgaben der 'Clavicula Salomonis', dem bestseller zur Geisterbeschwörung, in sechs Sprachen, aber auch Möglichkeiten, ein Gewitter umzulenken (Nr. 104) oder es zu "stillen" (Nr. 108). Ferner sind Anleitungen aufgelistet, den Teufel in Gestalt eines Ziegenbockes erscheinen zu lassen, der einem herbeibringt, was immer man sich wünscht (Nr. 107), wie man auf einem Mantel oder aber durch die Herstellung von "Sieben-Meilen-Stiefeln" "durch die Luft fahren" kann (Nr. 105f.) und schließlich gar wie die Vermählung mit einer Nymphe gelingt (Nr. 86).

Was alles "verboten" war an diesem Sammelsurium zeigen Bellingradt und Otto im Kapitel "Illegalität". Sie zeichnen zunächst Gesetzgebung und Polemiken gegen "Magie" im Europa früherer Jahrhunderte nach, um dann auf Märkte und Zensur für verbotene Bücher einzugehen, darunter auch auf die Zensur, die die Leipziger Sammlung selbst erfahren hat. Sie weisen darauf hin, dass es kein Zufall ist, dass sich die Sammlung gerade in Leipzig fand, im 18. Jahrhundert einem der wichtigsten europäischen Zentren für die Produktion, den Vertrieb und das Sammeln aller Arten von geschriebenen Medien und dem Hauptzentrum für deutschsprachige Publikationen. Vor diesem Hintergrund, so wird deutlich, waren Werke, die auf einem Index der Zensur standen, von besonderem Sammlerwert.

Wie rezente Forschungen bestätigten, war die verstärkte Beschäftigung mit Zaubereibüchern im von der Aufklärung geprägten 18. Jahrhundert nicht ungewöhnlich. Die Beschäftigung mit Magie scheint in dem Jahrhundert, in das die Abschaffung der Folter in der Rechtspraxis ebenso fiel wie das Ende der Hexenverfolgungen, ungefährlicher geworden zu sein. [1] Konnte man also leichter "Verbotenes" sammeln? Beispiele für das 18. Jahrhundert sind im Zusammenhang mit dem Clandestina-Schwarzmarkt zwar gut untersucht, doch bislang vor allem hinsichtlich illegaler Drucker. [2]

In dieser kritischen Edition zeigt sich Bellingradts und Ottos ausgezeichnete Kenntnis des Genres und der einzelnen Schriften deutlich. Mit dem handlichen Band wird der seltene Glücksfall der Dokumentation einer geschlossenen Sammlung an Magiemanuskripten zugänglich, die die weitere Beschäftigung der Forschung mit den aufgeworfenen Fragen nicht nur möglich, sondern auch wünschenswert macht.


Anmerkungen:

[1] Stephan Bachter: Anleitung zum Aberglauben. Zaubereibücher und die Verbreitung magischen "Wissens" seit dem 18. Jahrhundert, Hamburg 2005, hier 9.

[2] Martin Mulsow: Die Transmission verbotenen Wissens, in: Kulturen des Wissens im 18. Jahrhundert, hg. v. Ulrich Johannes Schneider, Berlin 2008, 61-80, hier 64, 71-75.

Monika Frohnapfel-Leis