Rezension über:

Thorsten Süß: Partikularer Zivilprozess und territoriale Gerichtsverfassung. Das weltliche Hofgericht in Paderborn und seine Ordnungen 1587-1720 (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich; Bd. 69), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017, 570 S., ISBN 978-3-412-50534-9, EUR 90,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Sven Düwel
Fürstenwalde
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Sven Düwel: Rezension von: Thorsten Süß: Partikularer Zivilprozess und territoriale Gerichtsverfassung. Das weltliche Hofgericht in Paderborn und seine Ordnungen 1587-1720, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 3 [15.03.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/03/31221.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Thorsten Süß: Partikularer Zivilprozess und territoriale Gerichtsverfassung

Textgröße: A A A

Seit den 1970/80er Jahren gelten die Ordnungen des Reichskammergerichts (1495, 1555) und diejenigen des Reichshofrates (1559, 1654, 1714/66) als weitestgehend erforscht. [1] Doch wie verhält es sich mit den Ordnungen der reichsterritorialen Hofgerichte? Schließlich hatten spätestens seit dem 16. Jahrhundert einerseits deren Gerichtsordnungen wesentlich auf den Inhalten derjenigen der beiden Reichsgerichte basiert. Andererseits hatte das Gewohnheitsrecht jeweils Berücksichtigung finden müssen, sodass das Reichsrecht in diesen territorialen Gerichtsverfassungen gewissermaßen seine Partikularisierung erfuhr. An dieser Stelle setzt die ca. 290 Seiten starke und zumeist auf Akten aus Münster und Paderborn basierende Arbeit von Thorsten Süß an, der als "Prozessrechtshistoriker" (268) in seiner Dissertation aus dem Jahr 2015 das weltliche Hofgericht im Hochstift Paderborn und dessen Ordnungen (1619/66, 1720) untersucht, die der Publikation als Anhang auf 270 Seiten ediert beiliegen. [2] Schließlich sei die Paderborner Justiz- und Gerichtsgeschichte bislang praktisch nicht erforscht worden (267). Der Fokus der Arbeit liegt hierbei auf dem normativen Verfahren, auch weil Beispiele für die praktische Umsetzung aus den Prozessakten leider zumeist fehlen. Eine Ausnahme bildet der 1790er Reichskammergerichtsfall eines Alexius Bachmann im einleitenden Kapitel (15 ff.) - obwohl der Autor den Zeitraum 1587-1720 untersucht hat. Weitere Kapitel behandeln im Hauptteil die Hofgerichte ganz allgemein sowie die Anfänge des Paderborner Hofgerichts ab 1587 im speziellen, dann exegetisch und analysierend die 1619er Gerichtsordnung unter Bischof Ferdinand I. von Bayern und das Prozessrecht. Es folgt der problematische und wohl - zum einen aufgrund der konkurrierenden Rechtsprechungen der Kanzleibehörde und des geistlichen Offizialgerichts, zum anderen aufgrund der Widerstände der Landstände und deren Visitationswünschen - nicht umgesetzte Versuch von Bischof Ferdinand II. von Fürstenberg, im Jahr 1666 eine reformierte Hofgerichtsordnung vorlegen zu wollen. Schließlich klingt die Arbeit mit der 1720er Hofgerichtsordnung unter Bischof Clemens August I. von Wittelsbach aus. Die eigentlichen Reformversuche hatten originär aber die Bischöfe Dietrich IV. von Fürstenberg, Ferdinand II. von Fürstenberg und Hermann Werner von Wolff-Metternich zur Gracht getätigt.

Der Autor bedient sich in der Publikation eines durchweg guten Schreibstils, leider aber auch zu vieler unübersetzt gebliebener Latinismen (außer 172) und juristischer Fachtermini, welche der Leser mangels Register nicht nachschlagen kann. [3] Der Anmerkungsapparat wirkt etwas zu knapp und wäre noch knapper ausgefallen, wenn geläufige Abkürzungen wie "Ebenda" oder "Ders." standardmäßig benutzt worden wären. Das "scil[icet]" (17, 26, 30) wirkt überflüssig. Zitate gehören zudem in Anführungszeichen gesetzt. Einige Stereotypen vom Alten Reich als eines "monströsen Gebilde[s]" (28) wirken antiquiert, gar von einem "Erschlaffen des Alten Reichs" (29) zu schreiben ist absurd, zumal man den Reiseberichten eines Joachim Heinrich Campe und Justus Gruner aus den Jahren 1790 und 1802 (23) das "sich abzeichnende[n] Ende des Alten Reiches" (23) durchaus noch nicht entnehmen konnte. [4] Im 4. Kapitel, das einen Exkurs zum Jüngsten Reichsabschied (1654) beinhaltet (198-211), rezipiert der Autor lediglich dasjenige, was Johann Gottfried von Meiern über diesen in seinen Acta Comitialia (1738-1740) einst publiziert hatte (237) - d.h. ja wohl, dass der Autor die eigentlichen Reichstagsakten 1653/54 überhaupt nicht eingesehen hat. Wieso dem Autor wiederum fraglich scheint, dass die Katholiken bei der Eidesformel auf das Evangelium hatten schwören müssen (100) und dies für ihn rein protestantisch gewesen sein soll, bleibt fraglich. Auch dass der Autor schreibt, die partikularen Gesetze hätten Vorrang vor den Reichsgesetzen gehabt (146), Beispiele aber dem Leser hierfür schuldig bleibt, lässt Zweifel aufkommen, denn warum war dann die Paderborner Gerichtsordnung an derjenigen des Reichskammergerichts orientiert gewesen? Einige Abbildungen sozusagen als "bildliche[s] Konzentrat" (182), ein Organigramm - welches als Analogie zum Verfahren am Reichskammergericht durchaus dem Leser hätte offeriert werden können -, Tabellen zum Personal an diesem Paderborner Hofgericht oder auch nähere prosopographische Angaben zu dessen Amtsinhabern wären durchaus angebracht gewesen.

Insgesamt handelt es sich um eine anerkennenswerte und zudem gut redigierte Arbeit, die eine Forschungslücke zu schließen hilft. Gleichwohl muss der Leser sich aber auch wohl berechtigterweise fragen, warum er sich nicht gleich die edierten Hofgerichtsordnungen durchliest, zumal diese vom Autor hauptsächlich normativ beschrieben werden. Zu monieren ist somit, dass in dieser Publikation etwas Entscheidendes fehlt und diese vielleicht etwas zu theoretisch ausgefallen ist. Den Lesern, insbesondere den Nichtjuristen, sei daher die Zusammenfassung (267-271) empfohlen. Der Autor hat also recht behalten, als er schrieb: "Das komplizierte und formalisierte Prozessrecht dürfte auf viele Historiker zunächst abschreckend wirken" (42). Wenn dies mit einer reinen Quellenexegese der Hofgerichtsordnungen einhergeht: Wohl wahr! Für die Zukunft sollten somit unbedingt die in den Akten des Reichskammergerichts befindlichen Abschriften der vorinstanzlichen Verfahrensprotokolle und -schriftstücke herangezogen werden, um dem Leser den interessanteren Prozess- und Rechtsalltag am Paderborner Hofgericht nahe bringen zu können.


Anmerkungen:

[1] Bettina Dick: Die Entwicklung des Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495 und 1555, Köln 1981. Wolfgang Sellert: Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat, Aalen 1973.

[2] Vgl. Hans Jürgen Brandt / Karl Hengst: Die Bischöfe und Erzbischöfe von Paderborn, Paderborn 1984. Die edierten Hofgerichtsordnungen hätte der Autor auch auf der Homepage des Verlages dem Leser als Download optional anbieten können, was jeweils die Hälfte an Papier und (für mögliche Käufer) an Geld hätte sparen helfen!

[3] Formulierungen wie "auf die Erwiderung zu erwidern" (122) oder "dilatorische Einrede um dilatorische Einrede" (187) sind ebenso ausgenommen wie die Schreibweise "Am 04. August 1623" (195) oder fehlerhafte Orthographien: "Bemühunen" (260) statt "Bemühungen", "zugutekämen" (261) statt "zugute kämen". Auch hätte das Schlusskapitel wohl eher in Präteritum/Passiv anstatt in Präsens/Aktiv geschrieben sein müssen, andernfalls es sich derart liest, als ob es sich um eine Einleitung handelt, und eben gerade nicht um eine Zusammenfassung. Hinterfragen muss man als Leser auch, ob hinsichtlich des Paderborner Hofgerichts eine Bezugnahme der Gerichtsverfassung auf das Grundgesetz überhaupt vertretbar erscheint (33).

[4] Auf (26) schrieb der Autor berechtigterweise: "Reiseberichte sind eine problematische Quelle."

Sven Düwel